Ein Quäntchen Glück

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„Sie haben bitte was getan?", schrie uns Caulfield an. „Ich hoffe wirklich, dass ich sie gerade falsch verstanden habe?" „Wir haben Neron in Frankensteins Obhut gegeben.", antwortete ich. „Ich verstehe sie richtig, sie haben eine unkontrollierte Waffe in die Hände eines gesuchten Verbrechers gegeben, ist das ihr Ernst?" Bevor ich etwas sagen konnte, meldete sich auch Wilde zu Wort: „Neron ist doch keine Waffe?! Alles, was er ist, ist ein verwirrter Junge, der nicht weiß, wohin mit sich. Er hat doch keine Ahnung von sich selbst." „Und ich bin mir absolut sicher, dass Frankenstein ihn mit seinem Leben verteidigen wird. Wir können ihm vertrauen.", fügte ich hinzu. Caulfield rümpfte die Nase. Er war sichtlich nicht begeistert. Er blickte zur Seite zu Peekhawk, der sich an einem der Schränke gelehnt hatte und uns mit verschränkten Armen beobachtete. „Wissen sie wenigstens, wo er sich gerade aufhält?", fragte er skeptisch. Ich verneinte. Auf Caulfields Gesicht lag eine ernste Miene. Nach einem langem Schweigen sagte er ruhig: „Ich bin bei Gott nicht zufrieden mit ihrer Entscheidung, aber wir können es vorerst nicht ändern. Ich hoffe für sie, dass sie mit ihrer Aussage Recht behalten. Neron darf auf keinen Fall in feindliche Hände geraten. Ob Waffe oder nicht- er ist gefährlich!" Wir nickten nur. Danach schickte er uns hinaus. Bevor ich den Raum verlassen konnte, stoppte er mich noch kurz. Nervös drehte ich mich um. „Könnten sie bitte noch einmal die Tür schließen, Davy?" Nachdem ich die Tür geschlossen hatte, setzte ich mich auf meinen Stuhl. „Ihre Flucht war sehr riskant.", sagte er langsam. Bevor ich auch nur den Mund öffnen konnte, fiel er mir bereits ins Wort. „Ich kann ihre Beweggründe durchaus nachvollziehen, aber das war schlichtweg fahrlässig. Sie haben sich dem Königreich verpflichtet, da müssen ihre persönlichen Belange hintenanstehen." Ich schluckte. Ich wusste, egal was ich sagen könnte, es wäre falsch. Ich nickte nur. „Ich erwarte mehr von ihnen." Ich schwieg. Dann deutete er mit einer Kopfbewegung auf die Tür und ich verließ den Raum. Wilde und Harker waren bereits gegangen und ich ging allein durch den riesigen Eingangsbereich nach draußen.

Auf einer Bank nahe des Hauses wartete Laurel auf mich. Binnen weniger Sekunden löste sich meine negative Stimmung auf und weichte einem breiten Lächeln. Nachdem sie mich umarmt hatte, hakte sie sich bei mir ein und wir spazierten eine nahegelegene Allee entlang. Noch immer lag der Schnee fußhoch auf den Wegen. Es war wie in einer Märchenlandschaft. Irgendwann hielten wir eine Droschke an, welche uns zum Themseufer nahe des Westminster Palace fuhr. Von dort gingen wir entlang des Victoria Embankment, passierten den Yard, bis wir irgendwann Richtung Buckingham Palace abbogen. Von dort gingen wir zum Hyde Park Wir setzten uns in ein Café und aßen ein Stück warmen Apfelkuchen. Aber eine Sache machte mir Gedanken. Obwohl ich mich förmlich dazu zwang, nicht daran zu denken, schwirrte Crowley noch immer in meinem Kopf herum. Verloren blickte ich auf den kleinen See. Einige Enten schwammen ihrer Wege und erzeugten dabei einige Wellen, welche wiederum mit anderen kollidierten. Es hatte etwas hypnotisches.

„Alles gut, James?", hörte ich plötzlich besorgt von rechts. „Hm?", antwortete ich noch in Gedanken versunken. „Was geht dir durch den Kopf? Du bist so abwesend." Langsam kam ich wieder zu mir. Laurel blickte mich besorgt an. „Verzeih mir, Schatz. Es ist nur...", ich musste kurz schlucken, „Crowley. Ich kann nicht aufhören daran zu denken, was er dir angetan hätte, wenn wir es nicht geschafft hätten. Und was er mit dir macht, wenn er dich findet." Langsam greift sie nach meiner Hand. „Hat er aber nicht. Ihr habt es geschafft. Das Einzige, was gerade zählt, ist, dass wir endlich wieder zusammen sind. Und ich weiß, dass du mich beschützen wirst, wenn dieser Mann wiederkommt. Ich werde nicht wieder gehen. Ich bleibe bei dir." Ich lächelte. Die letzten Monate waren die reinste Hölle. Nicht selten sah ich mich im Angesicht des Todes. Es hatte an meinen Kräften und meiner Seele gezehrt. Doch dieser Moment, dieses Quäntchen Glück. Dafür hatte es sich gelohnt.

Der Wind frischte auf. Laurel legte ihren Kopf auf meine Schulter. Ich merkte, wie jeder Gedanke augenblicklich verblasste. Ich spürte die Kälte auf meiner Haut und die erfrischende Luft in meinen Lungen. Ich spürte das Herz in meiner Brust pochen. Ich spürte eine unbekannte, aber angenehme Sicherheit, die uns... diesen Ort umgab.

Ich weiß nicht, wieviel Zeit vergangen war, bis sich mal wieder ein Gedanke in meinen Kopf traute. Der Rest des Kuchens war bereits kalt geworden und die Sonne stand bereits tief am Himmel. Da es langsam unangenehm kalt wurde, traten wir unsere Heimreise an. Es führte uns durch einen anderen Teil des Hyde-Parks, welcher komplett von schneebedeckt eine atemberaubende Kulisse bot. Auf einem halb zugefrorenen See bahnten sich einige Enten ihre Wege, während einige Amseln auf ihrem Weg nach Hause durch die Luft glitten. Durch einen Torbogen drang bereits orange-rote Licht der Dämmerung, als wir den Park verließen. Wir hielten eine Droschke an und fuhren über einige Umwege zurück nach Kensington. Es war bereits kurz nach 7, weswegen ich Laurel bei der Villa absetzte und direkt weiterfuhr. Ich war mit Harker und Wilde zum Dinner verabredet. Einige Minuten später kam ich zur vereinbarten Uhrzeit pünktlich am Corners Inn an. Ich war wenig überrascht, als ich feststellte, dass Wilde und Harker noch nicht eingetroffen waren. Ich wartete noch eine gute Viertelstunde, bis ich eine Kutsche vor dem Lokal vorfahren sah. Wenig später betraten Wilde und Harker das Restaurant und setzten sich an meinen Tisch.

„Wilde, Harker. Wie schön, dass sie es so pünktlich einrichten konnten. Wo waren sie denn so lange, ich habe auf sie gewartet.", fragte ich forsch. Ich sah Harkers verlegenen Blick, bevor Wilde selbstsicher wie eh und je antwortete: „Hier und dort. Ein wenig im East End, einen alten Freund besuchen, den ich lange nicht gesehen hatte." „Freund?", fragte ich skeptisch. „Sie beide gemeinsam? Dorian Gray, oder was?" Wilde musste lachen. „Nein, nein. Den Decknamen kann ich leider in letzter Zeit etwas seltener nutzen. Spaßbeiseite, der gute Doktor wollte aufpassen, dass ich nicht zu spät zum Dinner komme. Deswegen hat er mich begleitet." „Oder überhaupt.", fügte Harker noch hinzu. „Hat ja gut verklappt.", murmelte ich in mich hinein. „Das passiert nun mal. Ich und mein alter Freund Sebastian Melmoth haben uns ein wenig verquatscht." Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Harker eine einzelne Schweißperle die Schläfe hinunterrann. „Sebastian Melmoth also.", sagte ich leise.

„Und wie war ihr Nachmittag, Davy? Wo wir gerade dabei sind?", fragte Wilde, während er einen Kellner an unseren Tisch winkte. „Schön.", sagte ich und begann ein wenig zu erzählen. Der restliche Abend verlief ziemlich angenehm. Wir lachten, aßen, tranken und machte uns nicht zu knapp über Caulfield lustig. Nachdem wir bezahlt hatten, liefen wir den restlichen Weg zur Villa zu Fuß.

„Sie tut ihnen gut, Davy.", sagte Wilde plötzlich aus dem Nichts. Ich realisierte zunächst nicht, was er meinte. „Laurel. Ich sehe, wie sie sie ansehen. Als ich sie kennenlernte, Davy, waren sie verschlossen wie eine Auster. Mit einer Finsternis in ihnen, die meiner Konkurrenz macht. Doch jetzt- sie sind ein anderer Mensch. Ein besserer. Jeder in ihrer Umgebung merkt, wie sie aufblühen. Wie glücklich sie sind, mein Freund. Das kann selbst Caulfield nicht abstreiten. Ich begann zu lächeln. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Er hatte schlichtweg recht. Mir ging es so gut, wie lange nicht mehr. „Sie wissen gar nicht, wie viel mir das bedeutet, Wilde." Er legte seine Hand auf meine Schulter. „Ich freu mich wirklich für sie." „Das aus dem Mund von Oscar Wilde zu hören, ist etwas Besonderes. Sie sollten sich das aufschreiben.", lachte Harker. Ich schmunzelte. „Haben sie sie eigentlich schon gefragt?", fragte Harker daraufhin. „Nein. Ist das überhaupt passend? Wir haben uns grad erst wieder. Wer weiß, ob sie das überhaupt so schnell will." „Davy, wir haben Augen im Kopf. Ihrem Blick nach will sie nichts lieber.", sagte Harker. Ich schwieg. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. „Hören sie. Wenn sie es jetzt nicht tun, tun sie es nie. Wir wissen, wie schnell es vorbei sein kann. Wir leben ein gefährliches Leben und wenn sie jetzt zögern, werden sie es bereuen.", meinte Wilde ruhig. Ich nickte. Ich wusste noch immer nicht, was ich sagen sollte.

Danach verlief das Gespräch im Sande. Nach einer weiteren halben Stunde kamen wir an der Villa an. Langsam ging ich auf mein Zimmer, ich war doch etwas erschöpft vom Tag. Laurel lag bereits im Bett und schlief. Ich legte mich zu ihr und schlief binnen weniger Sekunden ein.

Mitten in der Nacht klopfte es plötzlich an unserer Tür. Noch immer in der Kleidung vom Abend stand ich auf und ging vorsichtig zur Tür. Der Butler stand davor. „Mr. Davy, ein Bote hat das gerade für sie abgeben. Er sagte, es sei dringend.", flüsterte er und gab mir ein Telegramm. Ich entfaltete das Papier.

„An James Davy. Ich vermute einen Verräter in unseren Reihen. Kommen Sie unverzüglich zum Hampstead Grove 23. Seien sie unbewaffnet. Sir Robert Caulfield."

Three PillarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt