In letzter Sekunde griff Wilde nach Harkers Hand. "Halten sie sich fest, Harker.", sagte Wilde angestrengt. "Sie schaffen das! Sie werden heute nicht sterben!" Mit aller Kraft hielt Wilde Harkers Arm. "Er wird sie töten. Sie haben noch eine Chance, wenn... Wenn sie mich loslassen, Oscar." "Um nichts in der Welt. Wir sind ein Team, ich werde sie nicht sterben lassen." Schwach versuchte Wilde, Harker hochzuziehen. Langsam trat Scottie von hinten an heran. Auf seinem Gesicht hat sich wieder sein überhebliches Grinsen gebildet. "Hören sie auf ihn. Ich verspreche ihnen, sie werden nicht leiden, wenn sie jetzt loslassen.", sagte er selbstsicher. "Ihr Versprechen ist keinen Pfifferling wert.", brüllte Wilde. "Womöglich, aber haben sie eine andere Wahl?", lachte er weiter. Wilde blickte Harker in die Augen. Er flüsterte ihm etwas zu. Dies gefiel Scottie sichtlich gar nicht: "Was flüstert ihr da so? Glaubt ihr, dass ihr hier noch lebend rauskommen könnt?" Er bekam keine Antwort. Harker nickte Wilde zu. Wilde schloss die Augen und atmete tief ein. Mit einem Mal nahm Wilde all seine Kraft zusammen und zog Harker hoch. Dieser griff sofort nach der Kante der Brücke. Im gleichen Moment drehte sich Wilde um und Scottie flog eine Klinge entgegen, welche ihn in die Brust traf. Wilde stand auf und zog mit zwei Schlagen nach. Scottie hatte diesen Angriff nicht erwartet. Er taumelte einige Sekunden auf der Stelle. Er atmete schwer. "Sie mieser Bastard, Wilde." "Doch nicht so einfach mit uns fertig zu werden, oder Großer?", grinste Wilde schnippisch. "Ich werde dich zerquetschen wie ein Insekt, du Wicht. Du bist tot.", tobte Scottie. "Versuch's doch, Riesenbaby.", fügte Wilde hinzu. Sein Lächeln machte Scottie nur noch wütender. Unkontrolliert stürmte er nach vorne und attackierte Wilde mit mehreren Schlägen. Wilde schaffte es allerdings spielend, denen auszuweichen. "Ist das alles, was du draufhast?", lachte Wilde.
In der Zwischenzeit hing Harker noch immer an der Kante der Brücke und versuchte mit allen Kräften sich hochzudrücken. Langsam, aber sicher stützte er sich mit seinen Oberarmen auf die metallische Brücke.
Dies fiel Scottie allerdings nicht auf. Wie ein Stier jagte er Wilde und versuchte ihn mit seinen Fäusten zu treffen, während Wilde einen Spruch nach dem anderen sagte, um Scottie immer wütender zu machen und ihm dann selbst einige Schläge zu verpassen. Doch plötzlich wurde Wilde durch ein Geräusch abgelenkt. Im nächsten Moment traf ihn Scotties Schlag frontal ins Gesicht. Darauf folgte ein zweiter. Und ein dritter. Wilde stürzte zu Boden. Sein Blick fiel auf Harker, welcher noch immer verzweifelt versuchte auf die Brücke zu klettern. Er würde es nicht mehr rechtzeitig schaffen hinaufzuklettern. Scottie stand nun direkt vor ihm. "Ich hatte meinen Spaß. Es wird Zeit, dass du bezahlst.", sagte er und griff in seine Tasche und holte eine zweite Waffe heraus. "Ich habe dir doch gesagt, wie das ausgeht. Aber du wolltest ja nicht auf mich hören. Ich schätze, du hast dich aber für die Kugel entschieden. Irgendwelche letzten Worte, Mr Wilde?", grinste er nun erneut.
Wilde blickte sich noch einmal um. Es gab nichts, womit er sich noch retten konnte. Auch Harker würde es nicht mehr schaffen auf die Brücke zu klettern. Der Wind wehte durch seine langen Haare. Er spürte das Blut aus seiner Nase fließen. Auch die Naht an seiner Schulter war aufgeplatzt und blutete. Er atmete tief ein und schloss die Augen.
"Fahr zur Hölle.", sagte Wilde ruhig. "Dann halt nicht.", antwortete Scottie.
Schüsse hallten durch die Mauern des Bergwerkes.
"Ahhhh", schrie Scottie. Wilde öffnete seine Augen. Scottie war zur Seite gekippt und wimmerte leise. Wilde verstand nicht recht, was gerade geschehen war. Erst jetzt erkannte er das Gesicht, welches am anderen Ende der Brücke mit rauchendem Revolver stand. "Davy, ging das nicht früher?", rief er. "Auch schön sie zu sehen, Wilde.", sagte ich, während ich zu Harker lief und ihn wieder auf die Brücke half. "Wir dachten sie seien tot.", keuchte Harker. "Ja, das dachte ich auch. Aber zu ihrem Glück bin ich es nicht!", erwiderte ich außer Atem. "Und es tut mir leid, dass ich erst jetzt hier sein konnte. Diese Gänge sind ein Labyrinth. Ich hätte sie nicht allein bei diesem Verräter lassen dürfen." "Moment, wollen sie mir erzählen, dass sie wussten, dass dieser Bastard nicht auf unserer Seite ist?", fragte Wilde fassungslos. "Ich hatte einen Verdacht. Erinnern sich an unsere nächtliche Suchaktion? Als wir aufgaben, haben wir in der Lobby Scottie getroffen. Mir war damals irgendetwas aufgefallen, aber ich konnte nicht genau deuten, was es war." "Was war es?", fragte Harker. "Moment. Die Schuhe.", sagte Wilde auf einmal. Ich nickte. Wilde sah Harkers verwirrten Blick und fuhr fort. "Seine Schuhe waren so gut wie trocken. Während unsere voller Matsch und Schlamm waren, waren seine nur leicht verdreckt. Heißt er konnte keine lange Strecke gelaufen sein. Ich schätze er hatte die ganze Zeit im Hotel gewartet und auf den Anbruch der Nacht gewartet. Im richtigen Moment ging er in das Zimmer von Burnwood und entführte ihn." "Und deswegen fiel ihm auch das Bergwerk nicht mehr ein.", fügte Harker langsam hinzu. "Genau. Und spätestens als er so darauf bestanden hat, dass wir uns trennen, war es mir aber klar." "Verdammt, er hatte uns die ganze Zeit an der Nase herumgeführt.", sagte Wilde wütend. Bevor ich etwas sagen konnte, bemerkte ich eine Bewegung hinter Wilde. "Aufpassen Wilde", schrie ich. Wilde reagierte schnell und wich dem heranrasenden Scottie aus, welchem meine Kugel wohl doch weniger Schaden angerichtet hatte als gedacht. Glücklicherweise hatte er enorm an Geschwindigkeit eingebüßt. Blutüberströmt stand er nun da. Keuchend wie ein Ochse, welcher den ganzen Tag schuften musste. "Sehen sie es ein, Scottie. Sie haben verloren. Sie haben keine Chance mehr.", sagte ich. "Es ist noch nicht vorbei, Davy. Noch lange nicht.", rief er. Mit einer Geschwindigkeit, welchem ich dem verletzten Mann bei Weitem nicht zu getraut hätte, stürmte er plötzlich erneut auf mich los. Er schob mich mit Sicherheit mehr als 10 Meter, bis es mir gelang, mich mit aller Kraft gegen ihn zu stemmen. "Ich habe es ihnen gesagt, sie sterben hier.", keuchte er mir entgegen. Trotz seiner mehr als schwerwiegenden Verletzungen besaß er noch immer übermenschliche Kräfte. Irgendwie schaffte ich es seinem Griff zu entkommen. Obwohl unsere Rangelei sicher nur einige Sekunden dauerte, fühlte sie sich wie Stunden an. Ich verpasste ihm einen Tritt. Er begann zu wanken. Sein rechtes Bein sackte weg und er kippte vorneweg über die Brücke. Mit letzter Kraft griff er im Fall nach einem herunterhängenden Seil. Ich kann mir bis heute nicht erklären, wie dieser Mann an solche Kräfte gekommen ist. Da hang er nun. Einen Meter unter uns, knapp 50 Meter über dem Boden. Langsam pendelte das Seil. Langsam traten wir an den Rand der Brücke und blickten auf ihn herunter. "Bitte Davy, lassen sie mich nicht sterben.", winselte er nun. "Ich weiß, dass sie ein guter Mensch sind. Ich werde ihnen auch alles sagen, was sie wissen wollen. Burnwood, er ist in einem der ersten Gänge der unteren Stollen in einem verschlossenen Verschlag gesperrt! Bitte, ich will nicht sterben.", stotterte er schnell. Ich kniete mich zu ihm hin. Um ehrlich zu sein genoss ich diesen Moment sehr. "Das hätten wir auch so herausbekommen. Erzähl uns etwas, was uns auch interessiert. Für wen arbeiten sie? Was hatten sie vor?", sagte ich langsam. "Ihr lasst mich nicht sterben, oder?", winselte er weiter. "Sie sind derjenige, der gerade am Seil hängt. Sie haben nicht das Recht irgendwelche Forderungen zu stellen.", antwortete ich kühl. "Na gut. Ich arbeite für eine Organisation. Eine Organisation, die England an den Abgrund treiben will. Wir wollten, dass Burnwood die Friedensverhandlungen mit einer Bombe frühzeitig beenden würde. Und wenn anderen Ländern zu Ohren gekommen wäre, dass das glorreiche britische Empire versucht seine Nachbarn mit Bomben zum Schweigen zu bringen, gäbe es nicht nur einen Krieg zwischen Schottland und England.", sagte er angestrengt. Ich konnte ihm sichtlich ansehen, dass seine Kräfte Sekunde für Sekunde schwanden. "Wie hätten sie ihn dazu bringen wollen? Selbst unter Folter hätte er England nicht verraten.", fragte ich nach. "Sie haben keine Ahnung, was Schmerz für eine Macht hat- nicht nur physischer Natur, Mr Davy." "Was meinen sie damit?" "Unsere Organisation hat genügend Macht. Würde er nicht kooperieren, hätte seine Familie darunter leiden müssen." Ich schluckte. "Nur damit sie es wissen, sie haben nicht die geringste Chance. Wir sind viele und ihnen immer einen Schritt voraus. Und jetzt lassen sie mich hoch, ich habe ihnen alles gesagt. Ich bitte sie, ich habe Familie." "Geben sie mir einen Namen. Wer ist ihr Verbindungsmann?" Er zögerte kurz. "Ich bekam einen Brief. Er war unterschrieben mit den Initialen L.H." "Sie können mir nicht erzählen, dass sie keine Namen kennen.", bohrte ich nach. "Nur so ein alter Zaus, er hatte mich kurz vor ihrer Ankunft besucht und mir von ihnen drei erzählt. Er hat mich vor ihnen gewarnt, Mr Davy. Dass ich sie nicht unterschätzen dürfe." "Sie haben versagt. Und nun leisten sie ein wenig Wiedergutmachung für ihre Taten. Sagen sie mir den verdammten Namen!", sagte ich sichtlich angespannt. "Crowley. Alleister Crowley nannte er sich.", sagte er hastig.
Wie ein Blitz durchschoss dieser Name meinen gesamten Körper. Ich erinnerte mich an den Abend auf dem Hügel. Meine Befürchtungen wurden mehr als übertroffen. In dem Moment nahm der Wind zu und eine kalte Böe streifte mir über den Rücken.
"Wissen sie, sie haben immer geglaubt sie wären stärker als wir. Schlauer als wir. Hätten alle Karten in der Hand." "Was, wovon reden sie. Ziehen sie mich gottverdammt nochmal hoch!", sagte er eilig. "Wie heißt es so schön? Je höher der Flug...", sagte ich mit gedämpfter Stimme. Ich sah in seinen Augen mit einem Mal Angst aufblitzen. "...desto tiefer der Fall.", beendete ich meinen Satz. In dem Moment durchschnitt ich das Seil, an welchem sich Scottie festhielt. Er stieß einen markerschütternden Schrei aus, welcher durch die Gebäude hallte. Er wurde immer leiser, bis er mit einem dumpfen Aufschlag in weiter Ferne plötzlich verstummte. Niemand wagte es auch nur ein Wort zu sagen. Auch der Wind hatte aufgehört zu Wehen. Kein Vogel war zu hören. Es war, als hätte die Natur für einen Moment den Atem angehalten.
"War das nötig?", fragte mich Wilde nach einer gewissen Zeit. "War es, wir hätten nicht mehr aus ihm herausbekommen.", sagte ich kalt. "Wer ist Alleister Crowley? Ihrem Gesichtsausdruck zufolge kennen sie ihn.", fragte mich nun auch Harker. "Später. später.", murmelte ich in Gedanken. Alles kreiste sich um diesen mysteriösen Mann. Dem Mann, mit dem alles mehr oder weniger angefangen hatte.
Wir befreiten Burnwood und verließen mit ihm diesen verfluchten Ort. Als ich zurückblickte, konnte ich sehen, wie ein Schwarm Raben über dem Bergwerk kreisten. Ich hoffte, dass ich diesen Ort niemals wieder betreten müsse. Wir schafften es noch rechtzeitig zu der Konferenz. Burnwoods Worten zufolge lief es mehr als gut. Am nächsten Tag verließen wir Edinburgh. In den ganzen Tagen sprach ich nur wenig. Auch wenn mich Wilde und Harker zusehends löcherten, woher ich Crowley nun kenne. Als wir in London ankamen, wurden wir direkt zu Sir Caulfields Anwesen gefahren. Er berichtete uns, dass dank unseres Einsatzes ein möglicher Krieg zwischen Schottland und England verhindert werden konnte. Dann kamen wir auf Crowley zu sprechen. Ich berichtete darüber, wie ich ihn das erste Mal begegnete. Und dass er vermutlich Teil jener Organisation war, welche noch kurz zuvor versuchte England in einen gewaltigen Weltkrieg zu verwickeln.
![](https://img.wattpad.com/cover/296851575-288-k311591.jpg)
DU LIEST GERADE
Three Pillars
AdventureDer junge Soldat James Davy staunt nicht schlecht, als er im März des Jahres 1882 zu seinem Vorgesetzten und persönlichen Helden Jonathan Peekhawk zitiert wird. Das britische Empire ist in Gefahr- und er soll helfen es zu retten! Zusammen mit dem da...