Ich betrat den schmalen Vorraum der Lagerhalle. Überall lag fingerdick der Staub. Um ehrlich zu sein erinnerte mich die Atmosphäre ein wenig an das Bergwerk in Edinburgh. Hinter mir betraten und auch Harker und Wilde das Lagerhaus. Mit einem gewaltigen Lärm fiel die Tür hinter ihnen zu. Danach war es still. Nur unsere Schritte hallten durch die kargen Räume, in welchen nicht viel mehr als einige Regale und Kisten standen. Mit einer vorsichtigen Bewegung vergewisserte ich mich, dass ich meine Waffe bei mir trug. Wir durchkämmten vorsichtig Stück für Stück die einzelnen Räume. "Gespenstisch, finden Sie nicht auch?", flüsterte Wilde mir zu. "Ich denke jetzt ist nicht die Zeit für Späße, Wilde.", entgegnete ich leise. Eingeschnappt verlangsamte er seine Schritte. Plötzlich nahm ich eine Bewegung hinter einer der Türen wahr. "Da war etwas, haben sie das auch gesehen?", fragte ich die anderen. "Da hat sich was bewegt.", bestätigte Harker. Langsam griff ich nach meiner Waffe. Meine Begleiter taten es mir gleich. Langsam griff ich nach der Tür, hinter welcher ich die Bewegung wahrgenommen hatte. Dem Schild auf der Tür konnte ich entnehmen, dass sie zu einer Verladehalle führen würde. Ich drückte die Klinke hinunter und hechtete mit der Waffe voran durch die Tür. Die Halle war riesig. Überall standen Kisten herum. An der Mindestens 20 Meter hohen Decke hingen teils an einfachen Seilen schwere, metallische Brücken, welche zum Transport von Kisten genutzt wurde. "Dieser Ort wäre fantastisch für einen Hinterhalt.", dachte ich mir. Auf einmal nahm ich erneut eine Bewegung hinter einer der Kisten wahr. "Hände hoch! Und keine falsche Bewegung.", rief ich und richtete die Waffe auf die Kiste. Ich hatte mich nicht getäuscht, hinter der knapp 1,5m hohen Kiste erhob sich tatsächlich ein Schatten. "Kommen sie dahin, wo ich sie sehen kann!", fügte ich meiner vorherigen Anweisung hinzu. Meine Kollegen hielten nun auch die Waffen auf die Person gerichtet, welche nun langsam in das Licht eines der Dachfenster trat. Ich traute meinen Augen kaum, als das Licht das Gesicht des Unbekannten traf. Es war ein junger Bursche, höchstens in meinem Alter, wenn nicht sogar jünger. Er hatte tiefschwarze Haare und, ich konnte es zuerst kaum glauben, rote Augen. Ich hatte eine solche Augenfarbe noch nie in meinem Leben gesehen. Ansonsten sah er abgehalftert aus. Sein rotes Hemd war überseht von Dreck und zu Teilen schon zerrissen. Bei seiner schwarzen Hose sah es nicht anders aus.
"Was wollen sie von mir? Ich habe ihnen nichts getan.", stotterte der Mann. Ich ging langsam auf den Mann zu, noch immer mit der Waffe auf ihn zielend. "Wer sind sie?", fragte ich langsam. Wilde und Harker blieben auf der Stelle stehen. "John... John Vincent.", stotterte er weiter. Ich war ehrlich gesagt ziemlich verwirrt. Dieser Mann war absolut harmlos. Langsam ließ ich die Waffe sinken. "Was tun sie hier, John?", fragte ich ihn. "Ich wurde verfolgt. Und das hier ist der Ort, wo ich sicher bin.", sagte er nun etwas ruhiger. Meine Stirn legte sich in Falten. Ich verstand nicht ganz. "Von wem verfolgt, wissen sie das?", fragte nun auch Wilde und ging auf den jungen Mann zu. "Nein. Ich wusste nur, dass ich verfolgt wurde. Ich habe versucht sie abzuschütteln und hierher zu flüchten. Hier war ich immer sicher." "Sie leben hier?", fragte Harker verwundert. "Ja. Ein Freund hat mir diese Unterkunft eingerichtet. Er meinte, dass man mich hier nicht finden würde.", führte er fort. Noch immer setzte sich das Puzzle in meinem Kopf nicht zusammen. "Ich fürchte, ich muss sie enttäuschen. Dieser Ort ist keinesfalls mehr sicher.", sagte Wilde mitfühlend. Ich war einigermaßen verwirrt, über diesen spontanen Anfall von Empathie.
Doch die Zeit einen zweiten Gedanken zu fassen, blieb mir nicht. Ein Schuss hallte durch die Hallen und bohrte sich in die Schulter des Jungen. Aus der Ferne konnte man eine leise Stimme hören. "Die verfluchter Idiot, du solltest die Tunte treffen." Ich ließ keine weitere Sekunde verstreichen. Ich fing den Mann auf, bevor er schmerzverzerrt auf dem Boden aufschlug und hechtete mit ihm hinter eine nahegelegene Kiste. Wilde und Harker taten es mir gleich. Während sie mir Feuerschutz gaben, untersuchte ich den Jungen grob. Er hatte das Bewusstsein verloren. Er blutete stark- die Kugel hatte sein Schulterknochen komplett zerschmettert und steckte noch in der Wunde. Binnen weniger kurzer Momente bildete sich eine Blutlache um uns. Währenddessen lieferten sich die anderen ein heftiges Feuergefecht. "Wir müssen den Jungen hier rausbringen. Er muss dringend zu einem Arzt.", schrie ich den beiden zu. "Das ist ja eine ganz großartige Idee, Davy. Aber haben sie zufällig bemerkt, dass unser Gegner gerade mit etlichen Kugeln auf uns feuert?", entgegnete Wilde schnippisch. In dem Moment hörte ich es beinahe synchron klicken. Die Waffen meiner Kollegen waren leer. "Bitte sagen sie mir, dass sie noch weitere Munition dabeihaben.", sagte ich vorsichtig. Ihr Schweigen gab mir die Antwort. Diese Tatsache schienen wohl auch unsere Gegner gemerkt zu haben. Ein hochgewachsener Mann betrat den Punkt, wo vor wenigen Augenblicken noch John Vincent stand. "Übergeben sie uns den Jungen, wir werden ihren Tod kurz und schmerzlos machen.", sagte er mit einer Selbstgefälligkeit, welche ich zuletzt bei Scott McFarlane vernommen hatte. "Sie haben ihm die Schulter zertrümmert, ich denke, wenn er nicht schnellstmöglich zu einem Arzt gebracht wird, wird er verbluten.", schrie ich aus meinem Versteck. "Lassen Sie das ruhig unsere Sorge sein, Mr Davy." Ich stockte kurz. Er kannte meinen Namen. Während ich noch am Überlegen war, was man als Nächstes machen könnte, sah ich aus dem Augenwinkel Harker aus seinem Versteck kriechen. "Dr. Harker, eine Freude sie einmal persönlich kennenzulernen!" Ich verstand nicht recht, was er damit bezweckte. "Was soll das werden, Harker? Sind sie des Wahnsinns?", rief Wilde erzürnt. "Ich denke, Dr. Harker wird verstanden haben, dass sie keine sonderliche Wahl haben." Harker schwieg. In der nächsten Sekunde machte er eine Handbewegung, welche ich dem Mann niemals zugetraut hätte. Er richtete seinen Revolver Richtung einer der Seile an der Decke und drückte ab. Getroffen. Während Harker hinter meine Kiste hechtete, sah ich zu, was Harker damit bezweckte. Eine der Übergangsbrücken löste sich, schwang nach unten und... Und schlug dem Mann schlichtweg den Kopf ab. "Seine Überlegungen waren etwas... kopflos.", meinte Harker, während er einen Arm des bewusstlosen John Vincent über seine Schulter legte. Ich tat dasselbe. So schnell es ging rannten wir zu einer nahegelegenen Tür. Diese führte uns zu dem verschachtelten Kellergewölbe. Einige Männer verfolgten uns, nach dem sie realisierten, was gerade mit ihrem Anführer geschehen war. In dem Keller war es dunkel- Man könnte seine Hand kaum vor Augen sehen. "Darf man wissen, was Ihr Plan ist, Harker?", fragte ich ihn, als wir mit Vincent auf unseren Schultern durch die Dunkelheit gingen. "Wir müssen an einen geschützten Ort! Dieser Mann muss schnellstmöglich versorgt werden, sonst stirbt er.", sagte er mir hastig. Hinter einer Wand suchten wir Schutz vor unseren Verfolgern. Wilde hatte uns in der Zwischenzeit eingeholt. Unter Hochdruck gab uns Harker Anweisungen, wie wir den Bewusstlosen zu behandeln hatten. Mit einem Fetzen Stoff und etwas Alkohol aus Wildes Flachmann sterilisierte er die Wunde notdürftig und stoppte die Blutung so gut es ging. "Haben sie Wasser dabei, Davy? Wir müssen ihn herunterkühlen, sonst wird er am Fieber sterben.", fragte mich der Doktor. Plötzlich hörte ich ein Geräusch hinter uns. Erschrocken drehte ich mich um und hielt meine Waffe in Richtung Dunkelheit.
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Three Pillars
AdventureDer junge Soldat James Davy staunt nicht schlecht, als er im März des Jahres 1882 zu seinem Vorgesetzten und persönlichen Helden Jonathan Peekhawk zitiert wird. Das britische Empire ist in Gefahr- und er soll helfen es zu retten! Zusammen mit dem da...