Wie gelähmt stand ich noch eine gute halbe Stunde da. Ich blickte einfach ins Leere. Er hatte mich komplett in der Hand. Ich war ihm hoffnungslos ausgeliefert. Irgendwann merkte ich, wie wieder Leben in meine Glieder floss. Ich konnte mich wieder bewegen. Jeder Muskel in meinem Körper schien zu schmerzen. Obwohl es stockdunkel war, manövrierte ich mich langsam durch das Zimmer. Meine Gedanken kreisten um Allister Crowley. Ich ging durch die Tür und den Flur entlang. Noch immer peitschte der Regen hart gegen das Fenster. Langsam ging ich die knarrenden Treppenstufen hinunter. Jeglicher Funken Energie schien aus meinem Körper verschwunden zu sein.
Ich trat auf die Straße. Innerhalb weniger Momente weichte meine Kleidung durch den anhaltenden Sturzregen auf. Doch ich registrierte dies kaum. In meinem Kopf entbrannte zu dem Zeitpunkt ein Kampf zwischen meinem Wunsch Laurel zu retten und meinem Patriotismus, der diesem Scheusal von Crowley nicht das geben wollten, was er will.
Eine halbe Stunde irrte ich durch die Gassen dieser Stadt, bevor ich wieder einen halbwegs klaren Gedanken fassen konnte. Ich blieb stehen. Ich blickte gen Himmel. Der Regen prallte kalt auf meinem Gesicht auf. Ich wusste ganz genau: Ich musste handeln!
Hastig versuchte ich auszumachen, wo ich war. Orientierungslos suchte ich nach der nächstbesten größeren Straße in meiner Umgebung. Dort angekommen hielt ich eine verirrte Droschke an. Durch ein schnelles „Zum Grand Hotel Paris" wusste der Kutscher mein Ziel. Der Regen prasselte auf das Dach der Kutsche, während der Kutscher auf dem Bock die Pferde durch die Straßen von Paris hetzte. Langsam begann ich die Kälte meiner Kleidung so richtig wieder zu spüren, die klamm an meiner Haut hang. Ich blickte aus dem Fenster. Obwohl es gerade ungefähr Mittagszeit sein müsste, lag die Stadt im Dunkeln. Eine dunkle Wolkenwand hatte sich vor die Sonne geschoben und hüllte Paris somit in Schatten. Der Kutscher trieb die Kutsche wie ein Besengter durch die Straßen. In manchen Kurven sah ich mich schon im Straßengraben liegen.
Nach einer 10-minütigen, zum Glück unfallfreien Fahrt kam ich an dem Hotel an. Der Regen hatte ein wenig nachgelassen. Ohne mit irgendjemandem zu reden schleppte ich mich die Treppen hinauf. Nicht einmal den Gruß des Portiers erwiderte ich. Vor meinem Zimmer blieb ich kurz stehen. Für einen Moment hoffe ich, dass ich mir das alles nur eingebildet hatte. Dass ich jetzt einfach diese Tür öffnen würde und Laurel würde auf mich warten. Mit der rechten Hand griff ich nach der kalten Klinke, während ich mit der linken den Schlüssel in das Schloss einführte. Ich drehte ihn zur Seite. Ich hörte, wie sich der Bolzen im Schloss drehte und die Tür entsperrte. Ich atmete einmal tief ein und drückte dann langsam die Klinke hinunter. Vorsichtig betrat ich den dunklen Raum. Das Bett war gemacht. Es gab keine Anzeichen eines Kampfes oder eines gewaltvollen Eindringens. Ich setzte mich auf das Bett. Das Bettzeug färbte sich aufgrund des Regenwassers auf meiner Kleidung dunkel. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Erst jetzt bemerkte ich eine kleine weiße Visitenkarte, welcher in die Falte des Kopfkissens gelegt wurde. Ich wusste bereits von wem sie war, noch bevor ich danach griff. Auf ihrer Rückseite stand: „14.01.1883, Hafen von Calais, Pier 14. Das Mädchen gegen den Jungen. A. C." Mein Puls schnellte schlagartig hoch. Wütend ballte ich meine Faust und zerdrückte somit die Visitenkarte. Ich musste handeln!
Ich wechselte hastig meine Kleidung und stürmte dann aus dem Zimmer. Eilig stolperte ich die Treppen des Hauses hinunter und kam keine Minute später im Speisesaal an, wo Wilde und Harker gerade ihr Mittagessen zu sich nahmen. „Ich weiß, wie wir Neron aus der Stadt bekommen!", sagte ich, bevor einer der beiden etwas sagen konnte. „Über die Katakomben. Paris ist mit ihnen durchzogen. Und es bräuchte eine Armee, um alle Gänge gleichzeitig zu überwachen." Ich setzte mich hin und musste erst einmal wieder zu Atem kommen. „Wenn wir einen Plan der Gänge bekommen, können wir Neron damit ohne Probleme aus der Stadt geleiten."
Noch eine halbe Stunde saßen wir da und besprachen, wie wir vorgehen würden. Danach machte ich mich mit Wilde auf den Weg, um eine Karte der unterirdischen Gänge aufzutreiben, während Harker anonym ein Telegramm an Frankenstein aufgab.
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Three Pillars
AdventureDer junge Soldat James Davy staunt nicht schlecht, als er im März des Jahres 1882 zu seinem Vorgesetzten und persönlichen Helden Jonathan Peekhawk zitiert wird. Das britische Empire ist in Gefahr- und er soll helfen es zu retten! Zusammen mit dem da...