Ein markerschütternder Schrei durchzog mit einem Mal die Nacht. Wir waren für den Bruchteil einer Sekunde wie gelähmt, bevor wir realisierten, was wir gerade gehört hatten. Wir sprangen auf. Mit einem Satz hechtete ich Richtung Treppe. Harker und Wilde schauten sich kurz an und folgten mir kurz darauf. Mit lauten Schritten rannte ich die Treppe hoch und stürmte in den oberen Flur des 2-stöckigen Hotels. Ich rannte den langen Gang mit den gelb getünchten Wänden entlang. Ich griff nach meinem Revolver und rammte meine Schulter gegen die Tür von Burnwood's Zimmer. Der Raum war leer. Mit gezogener Waffe blickte ich kurz ins Badezimmer und ging dann Richtung Schlafzimmer. "Mr. Burnwood, ich komme jetzt rein!", sagte ich vorsichtig. Ich griff nach dem metallischen Türknauf. Er war eiskalt. Langsam drehte ich den Knauf und öffnete dann mit einer schnellen Bewegung die Tür. Direkt richtete ich den Revolver in das Zimmer. Ich betrat den Raum- auch wer war verwaist. Mein Blick fiel auf das Bett. Bettdecke und Kopfkissen waren zerwühlt, eine kurze Berührung der Matratze zeigte mir, dass er noch vor kurzem im Bett gelegen haben muss. Mein Blick glitt durch das Zimmer. Ein kalter Luftzug streifte meinen Nacken. Das Fenster war geöffnet und der Vorhang flatterte aufgrund des noch immer tobenden Gewitter. Ich lehnte mich an die Fensterbank und blickte hinaus in die kalte, stürmische Nacht. Ich blickte nach unten. Knapp 3 Meter unter dem Fenster befand sich das Vordach des Hotels. Als ich meinen Kopf wieder in das Zimmer zog, fiel mein Blick auf das Fensterbrett. Einige frische Kratzer befanden sich im Holz. Nun kamen auch Wilde und Harker in das Schlafzimmer von Burnwood. "Wo ist Burnwood?", fragte Wilde hastig. "Nicht hier.", sagte ich und blickte mich weiter im Zimmer um. Wilde sagte noch irgendwas, aber das hatte ich bereits ausgeblendet. Mein Interesse galt etwas anderem. Kaum zu erkennen befand sich an einer Wand ein paar Spritzer einer Flüssigkeit. Ich berührte mit zwei Fingern die Flüssigkeit. Die rote Farbe gab mir Gewissheit: "Das ist Blut! Ganz wenig, kaum an der dunklen Wand zu erkennen, aber eindeutig Blut! Kommen Sie, Burnwood kann nicht weit sein. Der Entführer hat ihn sehr wahrscheinlich durch das Fenster rausgeworfen und ist daraufhin selbst geflohen, dort sind Kratzer auf dem Fensterbrett." Ich zeigte mit einer schnellen Geste auf das Fenster und stürmte im nächsten Augenblick aus dem Zimmer. Ich rannte nach draußen. Noch immer beherrschte das Unwetter die Nacht. Binnen weniger Momente durchnässte der Regen meine Kleidung bis auf die Haut. Doch dies registrierte ich nicht einmal. Unterhalb des Dachvorsprungs, über welchem das Fenster von Burnwood lag, suchte ich nach Spuren- aber leider vergebens. Der Boden war so matschig und nass, dass jegliche Spuren innerhalb von Minuten sofort weggespült wurden. Harker, Wilde und ich suchten eine ganze halbe Stunde auf der gesamten Hauptstraße nach irgendwelchen verwertbaren Spuren.
"Es bringt nichts. Bei den Witterungsverhältnissen ist es unmöglich noch irgendwelche Spuren zu finden. Zudem holen wir uns hier draußen noch den Tod.", sagte Harker. "Das darf doch nicht wahr sein!", sagte ich wütend und trat erbost einmal fest in den Matsch. "Unser erster Einsatz und direkt verlieren wir den Außenminister, ein guter Start.", fügte Wilde ironisch hinzu. Dies hielt mein sowieso schon angespanntes Gemüt nicht aus. Mein Geduldsfaden riss und ich schrie Wilde an: "Das ist das Einzige, was sie dazu zu sagen haben, Wilde? Die Sicherheit Englands und Schottlands hängt von diesem Mann ab und sie haben nichts besseres zu tun als Witze zu reißen? Ist das ihr verdammter Ernst?! Wir stehen womöglich schon am Rande eines Krieges und sie können nicht einmal jetzt den Ernst der Lage erkennen?" Mit einem Mal war es ruhig. Nur das Plätschern des Regens war noch präsent. Wilde und ich starrten uns in die Augen. Seine Nasenflügel blähten sich rhythmisch auf. Man sah ihm an, dass er innerlich kochte. Nach einer gefühlten Ewigkeit, welche allerdings vermutlich lediglich nur ungefähr eine halbe Minute andauerte, drehte sich Wilde stumm um und ging Richtung des Hotels. Mit den Worten: "Schönen Abend noch, Harker.", öffnete er die Eingangstür des Hotels. Erst jetzt kam ich langsam zurück in der Realität an. Ich spürte wieder richtig meinen Körper. Mein Atem war schwer. Die Kleidung hing mir klamm am Körper. Meine Schuhe waren bis zum Hosenbein vollkommen vom Matsch verdreckt. Mein Adrenalinschub pegelte sich wieder Richtung Normalität. Ich spürte jeden einzelnen Knochen im Körper. Ich begann leicht zu zittern. "Ich denke sie haben recht, Harker. Es bringt nichts noch ewig sinnlos in der Dunkelheit zu suchen. Das ist verschenkte Zeit und vor allem Kraft. Wir werden manche Spuren, falls vorhanden, sowieso nur im Licht erkennen.", sagte ich schwach und verzweifelt zugleich. Langsamen Schrittes gingen Harker und ich in das Hotel. Als ich durch die Tür trat, kam mir ein unangenehmer Tabakgeruch entgegen. Ich schleppte mich langsam in Richtung Treppe nach oben. Auf dem Weg dahin begegnete mir Scottie, welcher anscheinend schon auf uns gewartet hatte. "Guten Abend, Mr Davy. Mr Wilde meinte, ich solle mich an sie wenden. Er wirkte auf mich sehr verstimmt.", begrüßte er mich. "Das kann ich mir vorstellen. Was kann ich für sie tun, Scottie?", antwortete ich. "Ich habe gehört was passiert ist, der Hotelinhaber hat mir sofort Bescheid gegeben. Haben sie Mr Burnwood gefunden?" Schweren Atems antwortete ich ihm, dass wir leider aufgrund des schlechten Wetters und der dadurch nicht mehr existenten Spuren keinerlei Ahnung über den Verbleib des Ministers hatten. Fassungslos lies sich Scottie in einen der Sessel in der Lobby fallen. "Das darf nicht wahr sein. Mr Davy, sie müssen ihn wiederfinden. Allein seine Anwesenheit könnte zwischen Krieg und Frieden entscheiden.", flehte er mich geradezu an. "Glauben sie mir, ich habe ähnlich reagiert, Scottie. Wir geben unser Bestes. Wir werden alles in unser Macht stehende versuchen um Minister Burnwood wohlbehalten zurück nach England zu bekommen.", versuchte ich ihn zu beruhigen. Dies gelang mir allerdings nur in einem begrenzten Rahmen. Kurze Zeit später verließ uns Scottie. Langsam ging ich die Treppe hoch. Jeder Knochen in meinem Körper schmerzte. Ich warf noch einen schnellen Blick in das Zimmer von Burnwood. "Wie konnte der Entführer Burnwood so schnell von hier wegbekommen?" Ich stand noch einige Minuten reglos in dem Raum, bevor ich langsam die Tür hinter mir schloss, in mein Zimmer ging und mich, ohne auch nur das Licht anzumachen, in mein Bett fallen lies. Obwohl ich todmüde war, fiel mir das Einschlafen zunächst schwer. Irgendwas hatte ich gesehen, was mich störte, doch ich konnte nicht zuordnen, was es war. Irgendetwas, was nicht ins Gesamtbild hineinpasste. Das fehlende Teil, welches es brauchte, damit alles Sinn macht. Während ich mir den Kopf über jedes Detail zerbrach, wurde der Regen im Hintergrund immer leiser bis er irgendwann komplett aufhörte. Langsam verfiel ich in einen bleiernen Schlaf, welcher von Albträumen versehen war.

DU LIEST GERADE
Three Pillars
AdventureDer junge Soldat James Davy staunt nicht schlecht, als er im März des Jahres 1882 zu seinem Vorgesetzten und persönlichen Helden Jonathan Peekhawk zitiert wird. Das britische Empire ist in Gefahr- und er soll helfen es zu retten! Zusammen mit dem da...