Paris

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Die folgenden Wochen zogen ins Land. Angestrengt versuchten wir, irgendwelche Informationen über diese ominöse Organisation und expliziter Alleister Crowley herauszufinden. Doch jegliche Ermittlungen verliefen im Sande. Es schien, als würde Crowley schlichtweg nicht existieren. Als hätte man seinen Namen aus jeglichen staatlichen Unterlagen gestrichen. Auch von der Organisation gab es keinerlei Anzeichen auf Existenz.

Die Tage waren lang. Es gab keinen Auftrag und wir hatten rein gar nichts zu tun. Immer wieder traf ich mich mit Harker auf einem ausgedehnten Spaziergang im Hyde Park. Zudem fiel mir auf, dass Harker immer mehr Zeit mit Wilde verbringen zu schien. Generell verstanden wir uns untereinander viel besser. Immer wieder saßen wir die gesamte Nacht vor dem Kamin- tranken und sprachen. Außerdem lud mich Colonel Peekhawk des Öfteren zu einigen Trainingseinheiten ein. Dabei kamen wir ab und zu ins Gespräch und ich erfuhr etwas mehr über ihn und seine Vergangenheit. Ich kannte ihn bisher ausschließlich aus den zahlreichen Berichten seiner, ich vermag schon fast Heldentaten zu sagen. Er stammte aus widrigen Verhältnissen und schaffte es nur mit Mühe und Not aus dem Waisenhaus. Mir fielen bereits relativ früh die gravierenden Ähnlichkeiten unserer frühen Lebensjahre auf. Irgendwann trat er dann in die British Army ein. Dann nahm sein Leben letztlich Fahrt auf. Er wurde schnell befördert und lernte nach einiger Zeit auch seine zukünftige Frau kennen. Als ich ihn weiter auf seine Frau ansprach, wurde er still. "Ich kann nicht darüber reden, es tut mir leid.", sagte er kalt. Ich schwieg. Ich blickte ihn nur an. Noch vor einigen Monaten hatte ich diesen Mann bewundert. Dann traf ich ihn in Wirklichkeit und das Bild des "perfekten" unerschütterlichen Soldaten schwand. Er zeigte sich von einer harten, reizbaren und vor allem ungeduldigen Seite. Und jetzt.. wurde er langsam zu einem Menschen. Ich nickte zögerlich. Wir trainierten weiter, doch die Stimmung war kühl.

Einige weitere Wochen vergingen. Eines Tages, es war der 3. November, zitierte uns Caulfield zu sich. Als ich die Nachricht übermittelt bekam, verließ ich sofort mein Zimmer. Ich hatte es satt, Tag für Tag nichts zu tun. Da ich Wilde und Harker nicht auffinden konnte, fuhr ich bereits mit einer Droschke vor. Mein Blick fiel aus dem Fenster und ich beobachtete die an mir vorbei eilenden Straßen London. Gehüllt in einen silbrig-weißen Mantel wirkten die eigentlich trostlosen Wege geradewegs malerisch. In dicken, langsamen Flocken sank der Schnee Richtung Boden. Verträumt ließ ich die gesamte Szenerie auf mich wirken. In dicke Mäntel eingepackt eilten die Menschen die Straßen entlang. Ein Bettler humpelte auf der Straßenseite seines Weges. Die gesamte Szenerie strahlte eine Ruhe aus, welche sich schwerlich in Worte fassen lässt. Mein Blick blieb weiter an dem Bettler hängen. Er sprach einige Passanten an und fragte sie nach Geld. Plötzlich blickte er mich direkt an. Mit einem Mal durchzog mich ein eiskalter Schauer. Ich traute meinen Augen kaum. Ich hätte schwören können, dass dieser abgehalfterte, schäbig aussehende Mann das Gesicht von Alleister Crowley trug. Reflexartig rutschte ich auf meiner Bank zurück. Obwohl diese gesamte Szene nur wenige Sekunden füllte, fühlte es sich wie eine halbe Ewigkeit an. In der nächsten Sekunde rückte ich wieder an meinen alten Platz und blickte zurück. Der Bettler blickte mich noch immer an. Das Gesicht war durch zwei mittelgroße Narben gezeichnet. Ein zotteliger, verfilzter Bart umrahmte den Rest seines Gesichts. Meine Augen hatten mir tatsächlich einfach nur einen Streich gespielt. Trotz dessen gab mir dies zu denken. Perplex saß ich in meinem Sitz versunken. Die restliche Fahrt dauerte noch knapp 5 Minuten. Ich bezahlte den Kutscher und ging auf das imposante Anwesen von Sir Caulfield zu. Der Schnee knirschte unter meinen Schuhen. Ich klopfte zweimal kurz an der Tür. Kurz darauf öffnete mir sein Butler Alfred, den ich bereits kennengelernt hatte. Er führte mich zum Büro von Caulfield und öffnete mir die Tür. "Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend, Sir Caulfield.", sagte ich freundlich, während ich mich in einen der drei Sessel setzte. "Guten Abend, Davy. Ich hatte damit gerechnet, dass sie gemeinsam mit Mr Wilde und Dr Harker eintreffen würden.", antwortete er überrascht. Ich verneinte dies und sagte, dass ich die beiden nicht auffinden konnte und deswegen bereits vorgefahren war. Mit einem leisen Grummeln nahm er meine Aussage zur Kenntnis. Seine Miene war ernst. In seinen Händen hielt er verkrampft ein Telegramm. Mich überkam ein schlechtes Gefühl, doch ich schwieg. Eine gute Viertelstunde später klopfte es erneut an der Tür und meine geschätzten Mitarbeiter betraten den Raum. "Wilde. Harker. Wir haben bereits auf sie gewartet.", sagte Caulfield ernst. Man merkte seinem Tonfall an, dass er nicht sonderlich erfreut über das Zuspätkommen der beiden zu sein. "Verzeihen Sie, Sir.", entgegnete Harker. Nachdem sich die beiden hingesetzt hatten, begann Caulfield zu sprechen. "Heute Morgen hat mich ein Telegramm von einem Agenten in Paris erreicht. Es gibt Hinweise auf eine mögliche Aktivität unserem neuem Feind." "Von dem wir noch immer nicht den Namen kennen.", unterbrach ihn Wilde. Ungeachtet dessen fuhr Caulfield fort. "Ich habe zumindest ein Telegramm erhalten. Einer meiner Angestellten in Paris hat berechtigte Indizien für ein baldiges Aktivwerden unseres namenlosen Gegners. Uns liegt die Kopie einer Nachricht vor, welche beinhaltet, dass unsere Feinde nach einer Waffe suchen, welche die moderne Kriegsführung komplett verändern soll.", fuhr er fort. "Heißt für mich, wir sollen ihnen eine hochgradig gefährliche Waffe besorgen, von der wir weder den Standort kennen, noch das Aussehen oder die Funktionsweise, ist es das? Zudem bekommen wir es erneut mit einem sehr gefährlichen Gegner zu tun, welcher diesmal vermutlich wirklich alles daran setzen wird, an diese Waffe zu gelangen. Was wir haben, sind ein Minimum an Informationen und eine durchaus geringe Überlebenswahrscheinlichkeit. Na bravo.", fasste Wilde zusammen. Widerwillig bejahte dies Caulfield. "Fantastisch. Auf ein weiteres Himmelfahrtskommando, würde ich sagen.", fügte Wilde schnippisch an. "Das ist nunmal ihr Job. Das es einfach wird, hat keiner gesagt." "Alle paar Wochen sein Leben zu riskieren? Nein, das wurde mir nicht gesagt. Und wenn wir gerade dabei sind: Bis auf unseren lieben Mr. Davy, haben wir uns diesen Job nicht ausgesucht. Also tun sie nicht so, als ob wir das Ganze hier freiwillig machen würden.", meinte Wilde zunehmend wütender. "Sie können auch gerne zurück in das Loch gehen, wo ich sie gefunden habe.", sagte Caulfield kalt. "Osc.. Wilde! Überspannen sie den Bogen nicht.", griff Harker ein. Wilde grummelte, unterließ allerdings eine weitere Bemerkung. "Nun gut, wenn wir das geklärt hätten: Ihr Schiff fährt morgen früh um sechs von Dover. In einer guten Stunde wird Sie eine Droschke abholen, also beeilen sie sich."

Three PillarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt