Rue de la Fayette

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Der Moment fühlte sich wie eingefroren an. Ich starrte mit zittrigen Blick auf das, in der Mitte gefaltete Papier. Langsam bückte ich mich. Vorsichtig griff ich nach dem Zettel. Bevor ich ihn öffnete, blickte ich mich noch einmal im Gang um. Erneut war keine Menschenseele zu sehen. Ich wusste allerdings auch nicht, wie spät es war. Langsam öffnete ich das Papier. In der gleichen Handschrift wie am Vortag stand auf dem Zettel: "Kommen sie zu dem alleinstehenden Haus in der Rue de la Fayette. 10 Uhr. Ein unbekannter Freund."

Was sollte das? Dieses gesamte Versteckspiel? Ich ging zurück in mein Zimmer. Laurel schlief noch immer. Ich setzte mich auf einen der Stühle, die im Zimmer herumstanden. Wie einen Tag zuvor wog ich in Gedanken ab, was die richtige Entscheidung war. Ich wollte wissen, wer hinter all dem steckte. Ich warf einen Blick auf Laurel. Dieser unbekannte Freund hatte sie mir zurückgebracht. Was könnte er schon schlimmes wollen? Eine ganze halbe Stunde saß ich noch da und beobachtete sie. Dann, ich kann mich nicht mehr erinnern, was der Anlass dazu war, stand ich auf. Der Zettel zerknüllt in meiner Faust. Ich ging zum Bett. Ich setzte mich neben Laurel, strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht und gab ihr einen Kuss auf den Kopf. Dies schien sie geweckt zu haben, denn ihre Augen öffneten sich. "Guten Morgen James.", lächelte sie verschlafen. "Schlaf ruhig noch weiter.", sagte ich. "Ich muss noch schnell etwas erledigen." Ich gab ihr einen Kuss und sie schloss wieder die Augen.

Ich stand auf. Nachdem ich Weste und Jackett angezogen hatte, ging ich zur Tür. Ich warf noch einen schnellen Blick zurück, dann verließ ich das Zimmer. Ich hinterließ an der Rezeption noch eine kurze Nachricht an Wilde und Harker, bevor ich vor dem Hotel eine Droschke anhielt, die mich zur Rue de la Fayette bringen sollte. Die ganze Fahrt über kehrten die Gedanken, welche ich gestern verdrängt hatte, zurück. Die Angst vor der Ungewissheit. Vor all dem, was noch kommen mochte. Vor dem, was mich in der Rue de la Fayette erwarten könnte.

Ich blickte aus dem Fenster. In der Ferne sah ich den Eiffelturm kleiner werden. Mein Hinterteil begann zu schmerzen. Die Droschke war alles andere als gemütlich. Die Fahrt dauerte eine gute Viertelstunde. Irgendwann fuhr die Droschke in die Rue de la Fayette ein. Ich erkannte die Lagerhalle wieder, in welcher ich Neron das erste Mal begegnet war. Die Tür war noch immer offen. Ob es ein Zufall war, dass ich jetzt hierhin bestellt wurde? Wohl kaum. Wir passierten das Lagerhaus. Ein flaues Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Wir fuhren nur noch eine weitere Minute, bevor die Kutsche anhielt. Die Straße war doch länger als am Vortag angenommen. Zaghaft öffnete ich die Tür der Kutsche. "Dies ist das einzig leerstehende Haus in der Straße, Monsieur.", sagte der Kutscher. Ich bedankte mich bei ihm mit einem großzügigen Trinkgeld. Danach gab der Mann seinem Pferd die Peitsche zu spüren und fuhr davon. Die Straße war nun menschenleer, obwohl es bereits kurz vor 10 Uhr war. Ich sondierte die Umgebung. In dem Haus schien lange keiner mehr gelebt zu haben. Die Fenster waren blind vor Schmutz. Ein wenig erinnerte es mich an das Bergwerk in Schottland. Ein Schauder übler Erinnerungen durchzog meinen Körper, als ich daran denken musste. Das flaue Gefühl hatte sich zu einem ausgewachsenen Kloß im Magen entwickelt. Ich näherte mich der Eingangstür. Sie war nur angelehnt. Ich warf einen letzten Blick auf die Straße, bevor ich vorsichtig die Tür so weit öffnete, dass ich hindurch passte.

Ein Knarren hallte durch das leere Gemäuer. Langsam setzte ich einen Schritt in das Vorzimmer des Hauses. Wie von selbst glitt hinter mir die Tür ins Schloss. Es war totenstill. Nur mein Atmen war zu hören. Vorsichtig trat ich weiter nach vorne. Die Dielen knarrten unter meinen Schritten. Auf dem Boden konnte ich ein paar Fußabdrücke im Staub erkennen. Vor kurzer Zeit schien hier jemand entlang gegangen zu sein. Langsam fasste ich mit einer Hand in meine rechte Jacketttasche. Ich umklammerte den kalten Griff meines Revolvers. Obwohl nur spärliches Licht in den Raum fiel, betrachtete ich die Waffe für eine Sekunde, bevor den Haken zurück zog und den Revolver somit entsicherte. Das Einrasten des Mechanismus hallte erneut wie ein Gespenst durch das Haus. Die Waffe schützend vor dem Körper gehalten ging ich langsam voran. Nach wenigen Schritten kam ich in einer Art Foyer an. Zwei Türen führten rechts und links in andere Räume. Vor mir war eine breite Treppe, welche in die obere Etage des Hauses führte. Ich blickte erneut auf den Boden. Der Staub war verwischt worden. Ich konnte nicht mehr erkennen, wohin die Fußspuren führten. Bevor ich mich die Treppe hinaufwagen wollte, wollte ich zunächst die zwei anderen Räume begutachten. Die linke Tür führte in ein heruntergekommenes Wohnzimmer. Die Möbel waren von verstaubten Laken überdeckt, Spinnenweben überzogen die Decke. Überall lag fingerdick der Staub. Dieser Raum schien jahrelang niemand mehr betreten zu haben. Die zweite Tür führte in die Küche. Als ich die Tür öffnete, ertönte ein ohrenbetäubender Lärm, welcher mir mein Herz für eine Sekunde stoppen ließ. Einige Ratten hatten einige Kessel und Pfannen umgestoßen, wie ich später herausfand. Aber auch in diesem Zimmer fanden sich, abgesehen von den tierischen, keine verwertbaren, frischen Fußabdrücke. Langsam schloss ich auch diese Tür hinter mir.

Plötzlich hörte ich ein Geräusch. Es kam von oben. Das Gefühl des Unbehagens hatte mich nun komplett eingenommen. Noch vorsichtiger als vorher bewegte ich mich in Richtung der Treppe- Den Revolver noch immer fest umklammert. Die Stufen knarrten unheimlich bei jedem Schritt.

Ein Flur öffnete sich am Ende der Treppe. Links und rechts gingen jeweils eine Tür ab. Beide waren geschlossen. Auf dem Boden lag ein dicker Teppich, welcher es mir erneut unmöglich machte, etwaige Fußspuren zu erkennen. Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen. Der Teppich dämpfte meine Schritte, sodass ich beinahe lautlos durch den Flur wanderte. Beide Türen wurden augenscheinlich ebenso lange nicht mehr geöffnet. Auf den Klinken lag Staub.

Ich ging weiter. Am Ende des Flures war eine weitere Tür. Sie war nur halb angelehnt. Vorsichtig näherte ich mich der Tür. Hinter ihr war es ebenso dunkel wie bei mir. Das Haus machte im Hintergrund bedrohliche Geräusche. Aus allen Ecken schien es zu knacken und kratzen. Draußen hatte es zu regnen begonnen. Dicke Tropfen prallten gegen Mauer und Fenster des Hauses. Aus der Ferne hörte ich einen Donner rumoren. Aber da war noch etwas, was sich in die Geräuschkulisse mischte. Da... atmete jemand.

Ich machte einen weiteren einzelnen Schritt in Richtung der Tür. Plötzlich hörte ich ein Zischen. Ein Lichtschimmer schien den Raum zu erhellen. Wer auch immer in diesem Zimmer war, hatte ein Zündholz entfacht. Ich setzte mich erneut in Bewegung. Nun stand ich nur noch eine Armlänge vor der Tür. Vorsichtig legte ich meine Hand direkt auf die Tür. Zögerlich drückte ich die Tür auf. In dem Moment erlosch das Licht. Nun war es wieder dunkel.

Mit dem Revolver voran betrat ich den Raum. Mein Herz klopfte hörbar. In dem Moment zuckte ein Blitz über den Himmel. Durch ein einzelnes, geputztes Fenster erhellte er für den Bruchteil einer Sekunde den Raum. Ich konnte die Konturen eines Schreibtisches am hinteren Ende des Raumes erkennen. In dem Sessel hatte eine Gestalt Platz genommen- Das linke Bein auf das rechte gelegt. Plötzlich ertönte eine leise, kratzige Stimme. "Verzeihen Sie mir, es war ausgegangen."

Mein Blut schien augenblicklich zu gefrieren. In dem Moment, wo der Donner durch die Nacht raunte, entfachte die Gestalt ein weiteres Zündholz.

Three PillarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt