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Ich kehrte in meine Unterkunft zurück. Als ich die Türklinke herunterdrückte und sich die Tür mit einem leichten Knarren öffnete, starrte ich in eine tiefe, dunkle Leere. Wie jeden Tag bekam ich ein flaues Gefühl in der Magengegend. Alte Erinnerungen kamen hoch, noch immer so schmerzhaft wie damals. Ich atmete einmal tief ein und trat ein. Mein Zimmer war kalt und trist. Ein Feldbett in der Ecke, einen kleinen Schrank und einen minimalistischen Schreibtisch. Tag ein und Tag aus trat ich in dieses Zimmer und nie fühlte es sich ansatzweise heimelig, geschweige denn nach einem Zuhause an. Doch heute war etwas anders. Bereits im halbdunkel erkannte ich, dass irgendwas nicht stimmte, aber ich konnte nicht ausmachen, was es war. Ich trat einen Schritt weiter in den kleinen Raum. Akribisch musterte ich jede Ecke des Raumes. Als ich auf den Schreibtisch blickte, stockte ich. Das Foto- es war weg. "Na, wie lief es beim Colonel, James?", sagte auf einmal jemand hinter mir. Erschreckt zuckte ich zusammen. Ich drehte mich rasch um und blickte in ein mir wohl bekanntes Gesicht. "Musst du mich denn so erschrecken, Fred?!", meinte ich erleichtert. Vor mir stand Fred Gibbins, ein hochgewachsener blonder Offizier, mit einem stets breiten Grinsen. Schon seit meinem Beitritt war ich mit ihm bekannt. "Das Treffen... war speziell. Aber ich darf nicht allzu viel darüber verlauten lassen.", meinte ich knapp. "Top Secret, ich verstehe. Du bekommst wohl langsam deine Beförderung, richtig?", meinte er lachend. "Wie gesagt, ich darf darüber nichts sagen!", betonte ich erneut. "Verstehe, dann werde ich dich jetzt auch in Ruhe lassen, ich muss noch zu einer Besprechung. Man sieht sich, James", sagte er. Ich nickte. Bevor er das Zimmer verließ, drehte er sich noch einmal um: "Du hast es hier immer so dunkel. Mach dir doch mal Licht." Mit diesen Worten betätigte er den Lichtschalter und das Zimmer wurde durch eine einzelne, an der Decke hängenden, Glühbirne erleuchtet. Leicht genervt lächelte ich und drehte mich um, als Gibbins den Raum verließ. Nun war es wieder still.

Ich blickte auf den Schreibtisch und... das Bild lag mit dem Gesicht voran auf der Tischplatte. Ich schien es im halbdunkel nicht erkannt zu haben, auch wenn mein Misstrauen noch immer anhielt. Ich konnte mich nicht daran erinnern, es umgedreht zu haben. Erneut drehte ich mich im Kreis, um zu überprüfen, dass alles an seinem Platz war. Es schien sonst alles dort zu sein, wo es hingehört. Langsam griff ich nach dem Bilderrahmen. Ich merkte, wie meine Hand anfing zu zittern. "Was war gerade mit mir los? Hat mich dieses Gespräch so schnell paranoid werden lassen?", fragte ich mich. Ich nahm den Bilderrahmen auf und blickte auf die blasse, vergilbte Fotografie. Ungewollt rollte mir eine einzelne, schimmernde Träne die Wange hinunter. Ich schluckte. Ich hatte das Bild lange nicht mehr so intensiv betrachtet. Erinnerungen kamen hoch. Obwohl das Foto lediglich Schwarz-Weiß war, konnte ich die Farben ganz klar erkennen- das Saphirblau ihrer Augen, das Rosa ihrer Lippen und die Rotbräune ihrer Haare. Ich blickte in ihre Augen und merkte, wie mein Herz kurz vorm Zerreißen steht. Mein Griff um den Bilderrahmen wurde fester. Ich merkte, wie es mir immer schwerer fiel ordentlich zu atmen. Es fühlte sich so an, als ob sich meine Kehle zusehends zuschnürte. Ich musste mich hinsetzten, meinen Blick noch immer auf ihre Augen fixiert. So saß ich da: Meine Wangen fühlten sich kühl an, mein Atem war flach. Ich weiß nicht wieviel Zeit vergangen ist, bis ich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Langsam löste sich der krampfhafte Griff von dem Bilderrahmen. Langsam ließ ich ihn sinken. Ich schloss die Augen, atmete tief ein und wandte all meine Kraft dafür auf, von dem Bett aufzustehen. Ich stellte den Bilderrahmen auf seine gewohnte Position auf meinem Schreibtisch. Ich blickte auf die Taschenuhr, welche ebenfalls auf dem Tisch lag. Es war 18:13 Uhr. Meine Paralyse dauerte also anscheinend gerade mal knapp 10 Minuten an. Ich verlies mein Zimmer und steuerte die Essensräume meines Ausbildungslagers an. Nachdem ich mein Abendbrot zu mir genommen hatte, unternahm ich noch einen Spaziergang in dem nahegelegenen Waldstück. Ich musste meinen Kopf freibekommen und mir im Klaren kommen, was ich eigentlich wollte. mein Leben in den Dienst der Krone stellen und vermutlich auf ein Himmelfahrtskommando geschickt werden oder einfach weiter als Soldat dienen und letztendlich das Gleiche tun, nur mit etwas besseren Überlebenschancen. So sicher wie nach dem Treffen war ich mir auf einmal gar nicht mehr. Ich blickte Richtung Westen und sah die Sonne langsam am Horizont verschwinden. Langsam kamen erneut ungewollt einige Erinnerungen hervor. Ich sah zwei Silhouetten auf einem Hügel sitzen. Die eine hatte ihren Kopf auf der Schulter der anderen abgelegt. Eine Decke umschloss die beiden. Eine erneute Träne bahnte sich ihren Weg über meine Wange. Mit einem Mal verschwammen diese Bilder, als ich hinter mir eine Stimme vernahm. Sie klang leicht kratzig. "Wunderschön, nicht wahr?" Ich drehte mich um. Keine fünf Meter von mir entfernt stand ein Mann, vermutlich Ende 40. Er trug einen modischen schwarzen Anzug, eine rote Krawatte und einen dunklen Mantel. Er stütze sich auf einen, ebenfalls schwarzen Spazierstock. Sein ganzes Auftreten ähnelte dem von Sir Caulfield, doch wirkte er nicht wie ein Aristokrat, sondern vielmehr... wie ein Reptil. Er wirkt verschlagen, leicht unheimlich.

Three PillarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt