Bis, dass der Tod uns scheidet...

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Ich blickte nur auf das Stück Papier in meiner Hand. Ein Verräter? Noch vor wenigen Stunden war ich mit Wilde und Harker vergnügt am Trinken. Ich blickte den Butler an. „Was ist mit den beiden anderen?", fragte ich ihn. „Die soll ich schlafen lassen, hat der Bote gesagt.", beschwichtigte er mich. Ich nickte. Dann wies ich ihn an, zurück ins Bett zu gehen. Ich würde den Rest erledigen. Dann schloss ich die Tür hinter mir und musste erstmal durchatmen. Erst dann merkte ich, dass Laurel anscheinend aufgewacht war. „Was ist denn los, James? Du siehst so zerrüttet aus.", fragte sie. „Nichts, ich muss nur nochmal schnell raus.", stammelte ich, während ich mir schnell andere Klamotten anzog. „Um die Uhrzeit? Wovon redest du?" „Es ist dringend, Laurel." „Dann komm ich mit. Das letzte Mal, als du einfach so weggegangen bist, wurde ich von einem Psychopathen entführt. Ich werde dich begleiten.", sagte sie und sprang aus dem Bett. Damit war ich absolut nicht einverstanden: „Auf keinen Fall, du bleibst hier. Ich will nicht, dass dir irgendwas passiert." „Wird es nicht. Ich komme mit.", beteuerte sie hartnäckig. Ich hielt kurz inne, dann nickte ich einfach nur schnell und zog mich weiter um. Ich wusste, dass ich diese Diskussion nicht gewinnen würde. Als ich meinen Revolver greifen wollte, erinnerte ich mich an die Anweisung von Caulfield. Ich zögerte kurz, doch dann lies ich ihn, wo er war. Keine Minute später verließen wir auf Zehenspitzen das Zimmer. Der Butler schien bereits eine Kutsche geholt zu haben, in welche wir sofort einstiegen. „Hampstead Grove", rief ich dem Kutscher zu. Die Kutsche setzte sich in Bewegung. Ich blickte aus dem Fenster. Der Vollmond stand in all seiner Pracht am Firmament. In meiner Hand hielt ich noch immer zerknäult das Telegramm. Laurel schien meinen besorgten Gesichtsausdruck gesehen zu haben, denn sie nahm meine Hand und blickte mich verständnisvoll an. Erst jetzt setzte ich sie darüber in Kenntnis, warum wir so plötzlich das Haus verließen.

Die Fahrt zum Hampstead Grove dauerte eine knappe Viertelstunde. Als wir die Kutsche verließen, ließ uns ein eisiger Windstoß erschaudern. Während sich die Kutsche entfernte, wurde es immer dunkler um uns herum. Es gab keine Straßenlaternen und meine kleine Öllampe erfüllte ihren Zweck auch nur zu Teilen. Hastig suchten wir nach der Nummer 23. Die Häuser hier waren selbst für die Londoner Verhältnisse alt. Die Mauern um die Grundstücke hatten auch definitiv schon bessere Tage gesehen. Langsam gingen wir den Gehweg entlang. Keine Menschenseele schien in der Gegend zu sein. Nur aus der Ferne hörte ich das Wimmern einer Eule. Wir passierten Haus für Haus. 13, 15, 17, 19, 21... dort. Hampstead Grove 23. Das Haus stand etwas entfernter von seinen Nachbarn. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass Caulfield solch ein Gebäude besitzen würde. Umgekehrt ist es ein fantastisches Versteck. Die Mauern waren deutlich höher als die der angrenzenden Grundstücke. Langsam näherten wir uns dem Haus. Das Tor war nicht verschlossen und öffnete sich mit einem unheimlichen Quietschen. Spätestens jetzt wäre Caulfield über unsere Ankunft in Kenntnis gesetzt worden. Die Tür des Hauses war ebenfalls unverschlossen. Vorsichtig drückte ich sie auf und blickte in eine tiefe Dunkelheit. Ich meine irgendwo im Haus eine Ratte gehört zu haben. Langsam machte ich einen Schritt in das Haus. Der Boden schien stabil zu sein und machte beinahe keine Geräusche. In diesem Moment wünschte ich mir meine Waffe zurück. Obwohl ich wusste, dass ausschließlich Caulfield hier auf mich warten würde, fühlte ich mich überaus unbehaglich. Vorsichtig betrat ich mit einem weiteren Schritt den Eingangsbereich des Gebäudes. Laurel folgte mir leise. Hier half meine Lampe schon mehr. Mit einem schwachen Glimmen fiel ein schwach-orangenes Licht auf die Wände. Der äußerliche Schein schien uns getäuscht zu haben. Die Wände waren mit schönem Eichenholz getafelt und auch der Boden war aus stabilen Bohlen gefertigt. Langsam bewegten wir uns weiter voran. Nirgendwo konnte ich eine Fackel oder gar einen Lichtschalter oder Glühbirnen erkennen. Nach einigen Schritten löste sich eine große Tür aus der Dunkelheit, welche anscheinend in einen weiteren Raum führte. Ich staunte nicht schlecht, als sich dahinter ein kleiner Saal auftat. Es schien ein Ballsaal oder etwas in der Art zu sein. An der Decke hing ein gewaltiger Kronleuchter, in dem sich das schwache Licht von einigen Kerzen brach. Ich stellte meine Lampe ab, da die restlichen Kerzen genug Licht spendeten. Am anderen Ende des Saales gab es sogar eine Treppe, welche zu einer kleinen Empore führte, von welcher der Hausherr vermutlich Reden hielt. Es würde zu Caulfield passen, wenn er gleich dekadent wie die Königin persönlich auf diesen Vorsprung treten würde und auf mich hinabblickte. Ich drehte mich zu Laurel. Auch sie schien einigermaßen überrascht über unsere Entdeckung zu sein. Langsam trat ich in die Mitte des Raumes. Ich blickte nach oben. Ich hatte selten einen solch epochalen Kronleuchter gesehen. Das Seil, welches an einer der Wände befestigt war, war mit Sicherheit so dick wie meine Faust. „Meintest du nicht, dass Caulfield hier auf dich warten würde?", fragte Laurel mich unsicher. Ihre Worte hallten in dem Raum. „Er wird schon noch kommen. Er ist niemand, der sich mal so eben einen Spaß erlaubt.

Three PillarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt