Ich kam langsam zur Besinnung. Mein Kopf brummte. Ich wusste nicht genau, wo ich war. Meine Sicht war verschwommen. Meine Umgebung dunkel. Ich versuchte mich zu orientieren. Ich saß auf einem Stuhl. Vor mir ein Tisch. Ich versuchte mich zu bewegen, doch plötzlich durchzog mich ein unbeschreiblicher Schmerz. Ich sackte wieder auf dem Stuhl zusammen. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich mit beiden Händen an den Tisch gekettet war. Ich versuchte zu lokalisieren, von wo der Schmerz herrührte. Langsam tastete ich mein linkes Bein ab. Der Schmerz durchzog mich erneut. Mit meinen Fingern konnte ich den groben Faden einer Naht erfühlen. Ich schien eine tiefe Wunde am Oberschenkel zu haben, aber ich konnte mich beim besten Willen einfach nicht mehr erinnern, wie sie mir zugefügt wurde.
Plötzlich hörte ich hinter mir ein Geräusch. Eine Tür schien sich zu öffnen. Ich hörte Schritte. Mit einem Mal ging über mir eine Glühbirne an und ergoss ihr Licht über mein Haupt. Ich zuckte krampfhaft zusammen. Es dauerte eine Weile, bis sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnten. Langsam konnte ich die Silhouette eines Mannes erkennen. "Wo bin ich?", stammelte ich leise, nachdem ich einen kurzen Blick auf den restlichen Raum geworfen hatte.
"Private James Davy? James Cullen Davy?", fragte der Mann streng. Ich nickte nur benommen. Ich war nicht im Stande, auch nur ein klares Wort herauszubringen. "Mein Name ist Inspector Jeuffroy Fowler. Scotland Yard.", stellte er sich vor. Ich hob ein wenig meinen Kopf, musste allerdings die Augen aufgrund der Helligkeit zusammenkneifen. Sein Auftreten war gepflegt. Der tiefschwarze Bart war kurz geschnitten. Er trug einen modischen schwarzen Anzug, an dem seine Marke angeheftet war. "Angenehm, und was mach ich hier?", stammelte ich unbeeindruckt- noch immer sehr geschwächt und benommen. Er blickte mich für einen Moment nur still an. "Hampstead Grove, klingelt da was bei ihnen?"
Es dauerte einige Sekunden, doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Alles. Crowley, der Kronleuchter, Laurel... "Was ist mit Laurel? Geht es ihr gut?", fragte ich hastig. "Laurel heißt sie also.", sagte Fowler kalt und notierte etwas auf seinem Notizblock. "Sagen sie doch was, Mann!", wiederholte ich meine Frage energisch. Er blickte mich nur an. Sein Blick hatte etwas angeekeltes. "Die Frau ist tot, Mr Davy. Und sie haben sie getötet." Erneut schnürte es mir die Kehle zu. Ich soll Laurel getötet haben? Unmöglich. "Was glauben sie eigentlich wer sie sind?", fragte ich entrüstet. "Ich habe diesen Menschen geliebt wie keinen anderen auf dieser Welt. Ich hätte ihr nie auch nur ein Haar krümmen können."
Fowler notierte sich erneut etwas auf seinem Notizblock. "Eine Tat aus Liebe also, ich verstehe. Wissen sie eigentlich, wie viele Männer schon vor mir saßen und mir exakt den gleichen Text heruntergebetet haben? Etliche. Sie machen da keine Ausnahme." Ich schwieg. Ich wusste ehrlich gesagt nicht, was ich auf diese Absurdität antworten sollte. "Hören sie, Davy. Sie können es sich einfach oder schwer machen. Entweder sie legen ein Geständnis ab und wandern direkt an den Strick, oder meine Jungs werden sie ein wenig aufmischen, bis sie gestehen. So einfach ist das." Ich war sprachlos. "Das können sie doch nicht einfach machen?! Sie haben nicht die geringsten Beweise?" "Sie haben blutüberströmt einen meiner Constables mit einem Degen bedroht. Das ist Beweis genug.", entgegnete Fowler. Ich blickte ihn nur an. Ich war fassungslos. Ich wusste nicht, was ich sagen könnte. Dieser Mann schien sich komplett auf mich eingeschossen zu haben.
"Sagt ihnen der Name Sir Robert Caulfield etwas?", fragte ich in letzter Hoffnung. Fowlers Blick schien augenblicklich einzufrieren. Seiner selbstgefälligen Miene wich ein eiskalter Ausdruck der Abneigung. "Sie dürften diesen Namen eigentlich gar nicht kennen." sagte Fowler kühl. "Sie kennen ihnen also. Beziehungsweise seinen Einfluss. Kontaktieren sie ihn. Sagen sie, dass sie mich hier festhalten. Dann werden wir weiter sehen."
Fowler stand auf. "Das können sie vergessen. Sie werden hängen und ihr jämmerlicher Versuch sich freizukaufen funktioniert nicht, nur weil sie einen wichtigen Namen kennen. Ich werde sie erst im Kerker verrotten lassen und dann werden sie baumeln, stellen sie sich darauf ein!", sagte er ohne mich überhaupt anzugucken und rief dann nach einem Constable. "Bringen sie diesen Herren in seine Suite.", sagte er und warf mir dabei einen letzten abfälligen Blick zu. Grob zog mich der Constable vom Stuhl. Erneut durchzog mich der Schmerz, doch ich versuchte ihn auszuhalten. Langsam humpelnd wurde ich dann vom Constable zu meiner Zelle gebracht.
Gewaltsam stieß mich der Mann auf den harten Boden einer kargen Zelle mehrere Meter unter der Erde. Während ich mich aufrappelte, schloss der Constable hinter mir klirrend die Tür. Mein Kopf brummte noch immer. Ein leises, aber unangenehmes Piepen im Ohr hatte sich dazu gemischt. Ich blickte mich um. In meiner Zelle stand nur eine hölzerne Pritsche und ein Eimer. Ich versuchte aufzustehen, aber der Schmerz betäubte mich. Keinen Augenaufschlag später fiel ich rückwärts auf die Pritsche. Ein wenig Blut rann mir das Bein hinunter. Die Naht schien sich gelockert zu haben.
"Geht es?", hörte ich plötzlich von der Zelle gegenüber. Meine Augen hatten sich noch nicht vollends an die Dunkelheit gewöhnt, wodurch ich nur Konturen wahrnahm. "Es muss irgendwie gehen. Ich bezweifle nur, dass man mir hier gerne hilft. Der Service ist nicht sonderlich empfehlenswert.", antwortete ich scherzhaft. Im nächsten Moment musste ich instinktiv an Wilde denken. Er schien abzufärben. "Ja, da haben sie sicherlich recht.", schmunzelte der Fremde. Seine Stimme klang jung. Ich schätze ihn ungefähr so alt wie mich. "Was haben sie denn angestellt, dass man sie so zugerichtet hat?", fügte er noch hinzu. "Versucht das Land zu retten, anscheinend sieht man das hier nicht so gerne.", sagte ich. Erneut dachte ich an Wilde. Wie erwartet nahm er meine Aussage nicht sonderlich ernst und lachte. Währenddessen blickte ich mich weiter in der Zelle um. "Nehmen sie die Decke, die dürfte ihren Zweck am ehesten erfüllen.", sagte der Mann plötzlich. "Wie bitte?", fragte ich verdutzt. "Sie haben sich gerade nach Dingen umgeschaut, welche sie zum Stillen ihrer Blutung nutzen können. Und ich würde die Decke vorschlagen. Reißen sie ein Stück Stoff aus der Decke und binden es sich um das Bein." Für einen Moment war ich wie eingefroren. Er hatte recht. Genau deswegen hatte ich mich umgesehen. Skeptisch tat ich, was er mir riet. Die Blutung schwächte langsam ab.
"Danke, Mr..?" Der Fremde schwieg kurz. "Joshua Milgram. Und sie sind?", fragte er mich. "James Davy. Freut mich, sie kennenzulernen." Der Fremde nickte. So langsam haben sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Es war tatsächlich ein junger Mann, welcher lässig auf der Pritsche zurückgelehnt saß und gegen die Wand starrte. "Weswegen sind sie hier?", fragte ich ihn. Ich würde vermutlich etwas längere Zeit hier verbringen, ein wenig Konversation konnte also nicht schaden. "Vermutlich das gleiche wie sie, Mr. Davy. Die Welt ein wenig besser machen." Ich schwieg. Das könnte alles bedeuten. Der Fremde musste Schmunzeln. Er beugte sich etwas zu mir. "Diese Stadt voll von reichen Menschen, die die Rechte der Ärmeren mit Füßen treten. Ich wollte ihnen eine Lehre erteilen- ihnen etwas von ihrem Reichtum entwenden und dadurch einigen anderen Menschen helfen.", sagte er ruhig. "Ein moderner Robin Hood, also.", antwortete ich zugegeben wenig beeindruckt. "So kann man es nennen, wenn man möchte. Ich nenne es Gerechtigkeit. Auch wenn ich damit nicht die Welt rette, wie sie Private Davy.", antwortete Milgram, für meinen Geschmack, etwas zu zynisch.
Wir sprachen noch eine Weile, hauptsächlich über soziale Gerechtigkeit und den Adel als solches. Alles ein wenig zu idealistisch und abgedreht, meiner Meinung nach. Irgendwann verlief das Gespräch im Sande und ich begann mich in dem Dunkel meiner Zelle zu verlieren. Ich fiel in einen dämmrigen, unangenehmen Schlaf. Langsam kehrte der Rest meiner Erinnerungen zurück. Jedes einzelne schreckliche Detail. Immer wieder huschte Laurel's Gesicht vor meinen Augen vorbei. Wie sie mich in ihren letzten Momenten angeblickt hat. Die Angst in ihren Augen.
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Three Pillars
AdventureDer junge Soldat James Davy staunt nicht schlecht, als er im März des Jahres 1882 zu seinem Vorgesetzten und persönlichen Helden Jonathan Peekhawk zitiert wird. Das britische Empire ist in Gefahr- und er soll helfen es zu retten! Zusammen mit dem da...