Das Feuer erhellte das Gesicht des Mannes im Stuhl. "Lange nicht mehr gesehen, Mr Davy." Meine Kehle schnürte sich zu. Hastig zielte ich auf den Mann im Stuhl. Meine Hand zitterte.
"Nehmen sie die Hände hoch, Crowley!", stotterte ich. Ein Lächeln huschte über das Gesicht von Alleister Crowley. Er hatte sich kein bisschen verändert. Ich hatte gehofft, dieses Gesicht nie wieder sehen zu müssen, doch dort saß er. "Bitte setzen sie sich doch. Wie heißt es so schön? Mi casa e su casa." Meine Hand zitterte noch immer, aber der Revolver war auf Crowley gerichtet. "Mi casa? Ist das ihr Haus hier? Könnte eine Renovierung gebrauchen.", würgte ich heraus. "Nicht direkt. Es gehört der Organisation. Wir haben überall solche Häuser für Zwecke wie diesen.", antwortete er, während er eine auf dem Tisch stehende Kerze anzündete. "Der Organisation? Das ist tatsächlich etwas, womit sie meine Aufmerksamkeit hätten, sobald sie ihre Hände hochgehoben haben." Crowley atmete genervt aus. "Lassen sie doch endlich diese albernen Spielchen sein, Davy. Seien sie doch mal etwas zivilisierter." "Sie haben gerade kein Recht, irgendwelche Forderungen zu stellen. Wenn ihr Blut nicht gleich die Wand neu dekorieren soll, würde ich ihnen raten, ihre verfluchten Hände hochzunehmen." Crowley verzog keine Miene. Er schien genau zu wissen, dass ich dazu nicht im Stande wäre. Er griff nach seinem Stock und stand von dem Stuhl auf. Ich ging einen Schritt zurück und zielte genau auf seinen Kopf. Langsam stellte er sich vor den Tisch und lehnte sich an diesen. "Merken sie nicht, dass ich keine Angst vor ihren bedeutungslosen Drohungen habe? Sie würden nicht auf mich schießen, das weiß ich." Für den Bruchteil einer Sekunde stellten sich meine Nackenhaare auf und der bekannte kalte Schauer glitt meinen Rücken hinunter. "Wollen sie es herausfinden?", fragte ich provokant und deutete mit der Waffe auf ihn. "Sie wissen es doch genauso gut wie ich, also lassen sie den Unsinn." Ich hielt die Waffe oben. Spöttisch schüttelte Crowley den Kopf. "Ich bitte sie erneut, Davy. Ich bin unbewaffnet. Und sie sehen sich selbst als Ehrenmann. Als gerechten Soldat. Und als solcher würden sie niemals auf einen Unbewaffneten schießen.", antwortete er gelassen. "Sie sind der Drahtzieher hinter einer der wohl gefährlichsten Organisationen Englands. Zudem vermutlich verantwortlich an etlichen Morden. Glauben sie wirklich, ich würde sie nicht erschießen, wenn mir die Gelegenheit bietet?" Ich wusste nicht genau, woher dieser Mut kam. Wahrscheinlich versuchte ich ihn mir lediglich einzureden. Crowley schien keines meiner Wörter sonderlich viel Beachtung beizumessen.
"Was wollen sie überhaupt? Was soll die ganze Farce?", versuchte ich abzulenken. Crowley legte den Kopf zur Seite. "Sie wissen ganz genau, was ich von ihnen will, Davy- den Jungen." "Der ist in Sicherheit. Sie werden nie an ihn herankommen." Ein erneutes Lächeln legte Crowleys Gesicht in Falten. "Aber sie können es." "Und warum sollte ich mit ihnen kooperieren?" Crowley schwieg für eine Sekunde.
Dann wurde das selbstgefällige Grinsen auf seinem Gesicht breiter. "Wissen sie, was paradox ist, Davy? Es ist interessant, dass Menschen wirklich alles für einen anderen Menschen tun würden, wenn sie ihn nur genug lieben." Schlagartig schien jegliche Flüssigkeit in meinem Mund zu trocknen. Ich machte einen Schritt nach vorn und hielt ihm die Waffe einen halben Meter vor die Stirn. "Woher zum Teufel...?", stammelte ich lauthals. Crowley musste lachen. "Was glauben sie wer die Zettel geschrieben hat?" Mein Puls erhöhte sich schlagartig. "Denken sie, ich hätte nicht gewusst, dass sie mit ihnen ins Hotel gehen würde? Oder dass sie sie nicht mit hierher nehmen würden? Übrigens, wie war ihre Nacht?" Mein Blut begann zu kochen. Ich machte einen weiteren Schritt auf ihn zu und drückte ihm den Revolver direkt gegen den Schädel. "Ich habe ihnen in Aussicht gestellt, was sie verlieren können, Davy. In diesem Moment müssten meine Mitarbeiter ihre doch so zarte Freundin aus ihrem Zimmer begleiten." Mein ganzer Körper begann zu zittern. "Wenn sie ihr auch nur ein Haar krümmen, sind sie dran. Das schwöre ich ihnen." "Das liegt nun ganz allein bei ihnen. Wenn sie mir den Jungen bringen, kriegen sie ihr Mädchen. So einfach ist das." Ich schwieg. Mit zitternden Augen betrachtete ich diesen Mann. Ruhig stand er da. Er blickte mich mit ruhigen, selbstgefälligen Augen an. Auch wenn er ein solches Gefühl niemals zeigen würde, strahlten seine Augen das heitere Feuer des Triumphes aus. Langsam ließ ich den Revolver sinken. Mir war klar, dass ich ihn nicht umbringen konnte, da dies sonst automatisch den Tod von Laurel zur Folge hätte. Er hatte mal wieder die Überhand.
"Ihnen ist schon bewusst, dass Wilde und Harker damit nicht einverstanden sein werden?", fragte ich Crowley. "Natürlich." "Wie stellen sie sich das dann überhaupt vor?", fragte ich mit bebender Stimme. "Heißt das, sie stimmen zu?", lächelte er diabolisch. "Meine Antwort kannten sie doch bereits, als sie den ersten Zettel vor meine Tür legen ließen.", antwortete ich. Crowley schien die Antwort zu gefallen. "Dann werden sie ihre Kollegen wohl oder übel an der Nase herumführen müssen. Verlassen sie mit ihnen die Stadt und in Calais werde ich mit meinen Männern auf sie warten und sie übergeben mir den Jungen. Im Gegenzug werden sie dann ihre Freundin bekommen." Entsetzt starrte ich ihn an. "Und sie glauben ernsthaft, dass das funktionieren soll? Wenn wir einfach so die Stadt verlassen, ohne einigen von ihren Männern zu begegnen, werden sie Verdacht schöpfen. Das wird unmöglich funktionieren." Crowleys Augen funkelten. Es kam mir so vor, als hätte er genau gewusst, was ich sagen würde. "Die Katakomben.", sagte er in dem Moment. "Die Katakomben?", wiederholte ich seine Worte, um sie zu begreifen. "Ja, sie durchziehen die Pariser Unterwelt zu großen Teilen. Viele von ihnen führen auch aus Paris heraus. Wenn sie ihren Kollegen diesen Fluchtweg vorschlagen, wird sie das nicht sonderlich irritieren." Skeptisch blickte ich ihn an. Darauf hätte ich auch selbst kommen können. Andersherum hätte es nichts gebracht, da Crowley jede erdenkliche Eventualität mit eingeplant hätte. "Sehen sie es ein, Davy. Ich habe sie am Haken.", lächelte er mich an. Seine Arroganz brachte mein Blut nur noch weiter in Wallung. Am liebsten hätte ich ihm mehrere Kugeln in den Schädeln verpassen wollen. Aber ich musste zustimmen. Ich konnte Laurel kein zweites Mal verlieren, das würde meinem verkrüppeltes Herz den letzten Schlag verpassen. Missbilligend stimmte ich dem sogenannten Angebot zu.
Aus jetziger Perspektive war es gruselig zu wissen, dass Crowley vermutlich jedes einzelne Wort in unserem Gespräch bereits vorher in seinem Kopf erdacht hatte. Es war wie damals auf dem Hügel. Dass er meine Reaktionen kannte. Dass er genau wusste, was ich tun würde und mit welchen Elementen er mich am besten führen konnte, wie eine Marionette. In jederlei Hinsicht würde ich verlieren, das wusste ich zu dem Zeitpunkt. Er spielte mit mir Schach, mit dem Unterschied, dass er mit 16 Damen und ich nur einen einzelnen Bauern hatte.
Crowley drehte sich um. Mit einer Hand entzündete er ein weiteres Zündholz. Mit der anderen drückte er mit bloßen Händen die Kerze aus. Dann richtete er noch ein letztes Wort an mich: "Ich erwarte die Ware in 2 Tagen am Hafen von Calais. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag, Davy." Dann schlängelte er sich an mir vorbei und verließ das Zimmer. Ich hielt ihn nicht auf. Ich konnte nichts tun. Ich stand wie versteinert da. Mein Puls beruhigte sich erst einige Minuten später wieder. Es brauchte eine Weile, bis ich begriff, was sich gerade in diesem Zimmer abgespielt hat. Es hat sich wie eine Ewigkeit angefühlt, obwohl es mit Sicherheit keine 10 Minuten gedauert hat. Dieser Mann hat mit mir gespielt wie mit einer Puppe. Er wusste, wo er ansetzen musste- Was mein wunder Punkt war. Und ich war ihm wie ein naiver Narr ins Netz gegangen. Er hatte mich in eine Ecke getrieben: Das Leben des Menschen, welchen ich über alles in der Welt liebe, gegen mein eigenes.
Er hatte mich in der Hand wie ein verfluchter Puppenspieler.

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Three Pillars
AdventureDer junge Soldat James Davy staunt nicht schlecht, als er im März des Jahres 1882 zu seinem Vorgesetzten und persönlichen Helden Jonathan Peekhawk zitiert wird. Das britische Empire ist in Gefahr- und er soll helfen es zu retten! Zusammen mit dem da...