3. Kapitel

229 21 4
                                    

    Ohrenbetäubende Musik weckte mich. Sie war laut und schrill. Hart und wütend. Keine sanfte Melodie wie mein Wecker. Nein. Harter Rock. Damir hasste Rock. Vielleicht stand er deswegen mit diesem Lied auf. Ein Schlagzeug wurde in diesem Song getötet und eine harte, kalte Stimme schrie von Leid und Schmerz.
     Grummelnd öffnete ich die Augen. Erste Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster im Gästezimmer. Hinter der Wand lag Damirs Zimmer. Flüche und wütende Ausdrücke drangen an mein Ohr, dann verstummte das schreckliche Lied. Fußschritte waren zu hören. Schuldgefühle machten sich in mir breit.
    Wir waren noch lange wach gewesen und jetzt musste er zur Arbeit. Zwar hatte er mir immer wieder versichert, dass ihn das nicht störte, aber das konnte ich mir beim besten Willen einfach nicht vorstellen. Wirklich nicht. Müde rieb ich mir über die Augen und stand auf, als ich hörte, wie er sein Zimmer verließ.
     Mit nackten Füßen tappte ich über den flauschigen Teppich, fast gewillt meine Zehen darin zu vergraben. Aber nur fast. Gähnend öffnete ich die Tür. Überrascht sah er mich an. »Guten Morgen. Ich wünsche dir einen schönen Arbeitstag. Tut mir leid, dass du wegen mir so müde bist«, grüßte ich ihn.

     Verschlafen blinzelte Damir hinter seiner Brille, dann lächelte er, kam auf mich zu und schloss mich in seine Arme. Lächelnd schmiegte ich mich an ihn. »Es soll dir nicht leidtun. Mir tuts leid, dass ich dich nun auch geweckt habe. Das war nicht meine Absicht.« Stumm nickte ich und drückte meinen müden Körper enger an ihn.
     »Muss dir nicht leidtun. Es ist schön, dass ich dir guten Morgen sagen konnte«, wisperte ich. Damir lachte, dann löste er sich von mir. »Schlaf weiter. Im Kühlschrank findest du alles, was du brauchst und im Schrank sind Semmeln und etwas Brot. Wenn du noch mehr willst weißt du ja, wo die Läden sind. Von gestern sind noch Nudeln da. Die kannst du dir warm machen. Für heute Abend bringe ich etwas zu Essen mit.«
     In meinem Kopf ratterte es, während ich die ganzen Informationen zu verarbeiten suchte. Doch Damir war noch nicht fertig. »Soll ich Dardan sagen, dass du da bist oder schreibst du Mika selbst?«, hakte Damir nach. Im ersten Moment war ich etwas unsicher, dann lächelte ich. »Ich schreibe es ihr selbst. Vielleicht könnten sie heute Abend zum Essen auch kommen?«
     Damir sah mich wortlos an. Mist... »Also nur, wenn das in Ordnung ist. Sie müssen ja auch nicht kommen. Wirklich nicht. War nur eine Idee«, ratterte ich herunter. Diese verdammte Unsicherheit, weil ich es immer allen recht machen wollte. Damir verzog den Mund. »Ich mag die Idee. Du musst dich nicht rechtfertigen. Du musst es mir nicht rechtmachen und ihnen auch nicht. Wenn du sie nicht sehen willst, dann ist das so. Wenn du sie sehen willst, dann ist das so. Was auch immer du möchtest, Feniks.«

     Eine Lehre, die ich mir zu Herzen nehmen sollte. Leider war das gar nicht so leicht. Ich war 20 Jahre lang damit aufgewachsen, dass ich es allen recht machen musste. Allen. Mika hatte mir schon früh gezeigt, dass das sowas von unwichtig war. Damir hatte es mir dann auch gezeigt. Irgendwie hatte ich die Info aber nie ganz verarbeitet.
     In 20 Jahren hatte ich es alles recht machen wollen, hatte meine eigenen Wünsche hinten angestellt. Auch jetzt neigte ich noch dazu in alte Muster zu verfallen. Es war leichter... nicht gar so beängstigend. Denn es war mir vertraut. Diese Art. Selbstlos zu sein und immer das zu tun, was andere von einem wollten. Es war leichter, weil man... weil man sein wahres Ich nicht zeigen musste.
     Man musste sich nicht entblößen. Man wurde nicht verurteilt. Man versteckte sich. Sich zu verstecken war leichter. Besser. Einfacher. Schmerzfreier. »Gut. Dann lade ich sie später ein«, presste ich hervor. Die Worte fühlten sich komisch an. Gar falsch. Sie kamen zwar über meine Lippen und entsprachen meinem Wunsch, dennoch fühlte es sich komisch an. Mein unsicherer Teil wollte sie zurücknehmen.
     Wollte warten, was er wollte. Wollte hören, was er dachte. Wollte keine Befehle erteilen, doch Damir lächelte zufrieden und drückte einen Kuss auf meinen Kopf. »Ich kann heute um 18:30 Uhr aufhören, da kommt das letzte Boot rein. Such dir eine Zeit aus, die dir passt und schreib mir später, was du heute Abend gerne essen möchtest.«

Das Rätsel der GefühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt