Ich kann. Das selbst wenn ich sie nicht überzeugen kann. Ich kann das. Immer wieder sagte ich mir diese Worte, doch sie halfen nicht. Oder halfen kaum. Denn ich war nervös. Viel zu aufgedreht stand ich an der Rezeption und wartete darauf, dass sie meine Mutter in ihrem Zimmer kontaktieren würden.
Eine gefühlte Ewigkeit hob meine Mutter nicht ab und ich fürchtete schon, dass sie nicht da wäre oder noch schlafen würde, doch dann meldete sich eine Stimme und die Dame an der Rezeption sprach mit meiner Mutter im gebrochenen Englisch, dass ich da sei und gerne mit ihr sprechen würde.
Stille folgte und die Dame an der Rezeption sah mich einen Moment lang an. Das Herz sank mir in die Hose. Ich kann sie ja nicht dazu zwingen mit mir zu reden, sagte ich mir. Das kann ich ja nicht. Dann aber hörte ich die Stimme meiner Mutter und die Dame schenkte mir ein Lächeln.
Sie verabschiedete sich von meiner Mutter und nannte mir die Zimmernummer und sagte mir, wie ich dort hochkommen würde. Dankend verließ ich sie und stieg die Treppen nach oben in den zweiten Stock.Die Geduld auf den Aufzug zu warten hatte ich einfach nicht gehabt. Oben angekommen suchte ich nach der Zimmernummer. 201. 206. Ah. Da. 208. Schnell klopfte ich an der Zimmernummer und spürte das wilde Pochen meines Herzens. Bitte mach auf, dachte ich, als es für meinen Geschmack viel zu lange dauerte, bis meine Mutter die Tür öffnete. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen.
Das Lächeln wirkte hoffnungsvoll und bereits jetzt ahnte ich, dass sie nicht verstand, warum ich hier war. Doch das schüchterte mich nicht ein. Durfte mich nicht einschüchtern. Meine Gefühle fuhren zwar Achterbahn, doch ich hatte ein Ziel.
Ein Ziel, das ich nicht aus den Augen verlieren durfte. Ich durfte einfach nicht. »Schön, dass du da bist. Komm doch rein«, flötete sie und trat zur Seite. Mit Magenkribbeln trat ich ein und sah mich um.Sie hatte eines der besten Zimmer ergattert. Meerblick und Balkon. Zudem war das Zimmer riesig. Mit ihrer Hand deutete sie auf den Tisch, an den wir uns setzten sollten. Mit wackligen Beinen lief ich darauf zu und war froh, als ich mich auf den Stuhl sinken lassen konnte.
Zufrieden atmete ich innerlich auf, doch meine Erleichterung blieb nicht lange, als meine Mutter sich zu mir setzte und mich anlächelte. »Du hast es dir also anders überlegt. Wie schön«, sagte sie und das Lächeln auf ihren Lippen war so breit, dass es mich an das Lächeln der Katze aus Alice im Wunderland erinnerte.
»Nein. Ich habe es mir nicht anders überlegt. Ich bin hier, weil ich nicht im Streit mit dir auseinandergehen möchte.« Ihr Lächeln verblasste schlagartig und sie runzelte die Stirn. »Wie willst du den Streit klären, wenn du nicht mit mir mitkommst?« Da. Diese Worte hatte ich befürchtet, doch sie schreckten mich nicht ab. Nicht mehr.
»Du bist meine Mutter und ich möchte dich nun wirklich nicht verlieren. Das liegt mir fern. Wenn du dich aber so verhältst, dann kann ich es nicht ändern. Ich liebe Damir und ich möchte in Kroatien bleiben. Du musst das nicht verstehen, nur respektieren. Nicht alle wollen ein Leben wie du führen. Bereits von unserer Geburt an hast du Mika und mir alles aufgedrängt. Unser Zimmer musste pink sein, weil wir ja Mädchen sind. Es durfte nicht blau oder grün oder sonst was sein. Es musste pink sein. Unsere Spielsachen mussten Barbiepuppen oder Pferde sein. Wenn Mika ein Spielzeugauto wollte oder andere Dinge, bist du durchgedreht. Von Anfang an wolltest du uns in eine Schiene locken, die keiner von uns beiden wollte.«Tief holte ich Luft und sah sie weiter an. Ihr Blick wurde mit jedem Wort dunkler, doch das konnte ich nicht berücksichtigen. Ich konnte es einfach nicht. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Ich wollte es auch gar nicht wissen.
»Mika mochte keine Kleider und das hast du nicht akzeptieren wollen. Bei jeder Gelegenheit hast du sie in ein Kleid gesteckt, obwohl sie das einfach nicht wollte. Sie mag eben keine Kleider, doch das war ja schlimm für dich, weil sie das weniger zu einer Frau gemacht hat. Mika ist trotzdem eine Frau, auch wenn sie keine Kleider mag. Doch das hast du noch nie verstanden. Wenn wir aufmüpfig wurden, weil uns etwas nicht gepasst hat, hast du immer gesagt, dass man als Lady nicht widersprechen darf. Mika war klüger und hat dir nicht geglaubt oder hat einfach keine „Lady" sein wollen. Ich wollte aber weiterhin deine Liebe und es hat mich ins Verderben gestürzt, denn dadurch habe ich meine wahre Identität verloren. Jetzt habe ich sie wieder gefunden und werde sie nicht hergeben.«
Empört schnappte meine Mutter nach Luft, doch ich war noch nicht fertig. Jedenfalls noch nicht.
»Die magst das vielleicht alles nicht verstehen, doch du wirst uns beide verlieren, wenn du uns nicht so akzeptierst, wie wir sind. Ich lieb Damir und sie liebt Dardan. Damir ist ein guter Mann und das weißt du auch. Ja, ich hatte meinen ersten Orgasmus mit 14 Jahren, aber das hat er nicht geplant gehabt. Es ist einfach passiert. Es war einfach so. Daran kannst du nichts ändern und ich auch nicht. Damir hat das wirklich nicht geplant, aber das kannst du ja nicht glauben, weil du denkst, dass er der Böse ist.«
Sie wollte etwas sagen, doch ich sprach bereits weiter.
»Mika und ich sind deine Töchter, doch es wird Zeit, dass du uns wie Töchter behandelst. Denn du liebst uns nicht so, wie wir sind und das ist nicht gut. Du möchtest uns ändern, wir wollen uns aber nicht ändern lassen.« Meine Mutter holte tief Luft und sah mich lange an. Sehr lange.
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Das Rätsel der Gefühle
RomanceNach einer Veranstalung mit Will ist für Phoenix eins klar: Sie hat ihn nie geliebt und wird ihn auch nie lieben. Ihr wird klar, was ihr Herz wirklich will. Also tut sie genau das, was ihr Herz will. Überstürzt ändert sie ihr Leben und fliegt nach K...