Kapitel 6

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72 Stunden...
Seit drei Tagen starte Tony Stark nun auf die Karte, die er sich auf seinen mobilen Bildschirm gezogen. Wakanda...
War irgendwie logisch gewesen, dass Steve sich dahin geflüchtet hatte... Oder war er nicht geflüchtet, sondern Gefangener?
Aber wie würde eine Gefangennahme dann den Einbruch in das Unterwassergefängnis erklären?
Nein...
Steve war definitiv, da wo er sein wollte...
Und bisher wusste Tony nicht, ob er ihn dafür hassen oder beglückwünschen sollte.
Der einzige Punkt auf diesem Planeten, wo er ihm nicht folgen konnte und Rogers fand ihn.
Natürlich...
Seufzend schloss der Milliardär die Augen und versuchte die Bilder aus seinem Kopf zu bekommen, die ihn seit Tagen und Wochen quälten.
*Du hättest uns retten können...*
Dieser verdammte Traum, den Wanda ihm eingepflanzt hatte, raubte ihm den Verstand.
Steve Rogers, Natascha und Clint tot zu sehen...
Rhodeys tatsächliche Querschnittslähmung aufgrund Visions Fehlschuss...
Dann dieses...GEFÜHL...
Das er immer wieder bekam, wenn er an Steve dachte.
Dieses Gefühl, das er einfach nicht haben wollte, denn er wusste, es würde bedeuten, er würde diesem verlogenen Mistkerl vergeben.
Er WOLLTE aber niemandem vergeben, er wollte wütend sein, er wollte Rache für seine Mutter nehmen...
Aber zeitgleich wollte er auch etwas anderes...
Etwas, das sich so tief in ihn hineingefressen hatte wie ein Parasit.
Ein Parasit in seinem Herzen, den kein Alkohol der Welt ertränken oder entfernen konnte.
Auch wenn Tony es verzweifelt versuchte.

"Sir, Natascha Romanoff wünscht Sie zu sprechen..."
"Sag ihr sie soll..." Ehe er den Satz zu Ende gesprochen hatte, trat Black Widow in den Gemeinschaftsraum und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.
"Verschwinde... Ich habe keine Zeit für doppelzüngige Verräter..."
"Schön auch dich zu sehen, Tony", murmelte sie sarkastisch und schüttelte den Kopf.
Wie konnten diese beiden Idioten so verdammt stur sein?
"Weißt du Stark, manchmal sollte man einfach mal das Ego beiseite schieben und zugeben, dass der andere recht hatte."
"Steve hat aber kein RECHT. Er hat das Gesetz gebrochen und er deckt dies..."
"Verdammt Stark, hör dir selbst doch mal einen Moment zu!
Dafür, dass du dich so gerne reden hörst, gibt‘s du sehr wenig auf deine eigenen Ratschläge..."
"Tut was ich sage, nicht was ich tue...", zischend, drehte er sich zum Fenster. "Romanoff... Ultron war mein Fehler.
Er hat eine Menge Menschen das Leben gekostet.
Es MUSS für uns Grenzen geben...
Einige von uns sind mental instabile Nuklearbomben auf zwei Beinen... Das..."
"Du solltest nicht immer von dir auf Andere schließen, Tony", seufzte die Rothaarige und versuchte ihre Stimme so neutral zu halten, wie irgend möglich.
"Du weißt selbst sehr genau, dass wenn wir das Abkommen nicht unterzeichnet hätten...
Man hätte uns früher oder später dazu gezwungen.
Oder Schlimmeres."
"Darin sind wir einer Meinung...", nickte sie ruhig und setzte sich auf einen der Sessel, die im Wohnraum verteilt waren.
"Worin wir beide uns nicht einig sind, ist die Art und Weise..."
"Hör zu. Das man Clint und die anderen ins Raft gebracht hat...
Das wusste ich nicht..."
"Aber du wusstest, dass man sie IRGENDWO hinbringen würde..."
Seltsamerweise hatte Tony das Gefühl eines Déjà-vus...
Er hatte diese Worte doch schon mal gehört!
"Sag mal, bist du sicher, dass Barton und du keine Geschwister seid?!"
Das leise Lachen der Assasina ließ Tony seufzen.
Tief in seinem Inneren wusste er, dass sie recht hatte.
Es war nur so verdammt schwer das einzugestehen.
"Secretary Ross hasst uns leidenschaftlich.
Insbesondere Banner...
Alles was er will, sind weitere Experimente...
Ich weiß nicht, wie weit er gehen wird, aber ich halte den Mann für sehr gefährlich..."
"Er ist der Außenminister der United States...", warf Tony nur halbherzig ein, wohl wissend, dass dies den Mann nur noch verdächtiger machte. "Und er war ein... Mitarbeiter meines Vaters."
Natascha brauchte Tony gar nicht erst anzusehen, um genau zu wissen, was er ihr damit sagen wollte.
Tony Stark war vieles, aber definitiv kein Freund der Politik.
Er hatte nur gelernt die Spielregeln soweit zu befolgen, wie es gerade noch legal war.
Ein Training, das Natascha seit ihrer Kindheit bekommen hatte.
"Für uns alle gelten Gesetze...", sagte sie vollkommen ruhig und gab Tony damit zu verstehen, dass sie wusste, was er meinte.
Alle sind gleich, aber manche sind eben gleicher als andere...
So hatte es Orson Welles bereits vor Jahrzehnten einmal ausgedrückt.

Tief durchatmend versuchte Tony seinen Stolz und all den Zorn, der so sehr an ihm nagte, einfach gehen zu lassen, doch der bittere Geschmack in seinem Mund blieb.
Mit langsamen und gemessenen Schritten begab er sich zu Nataschas Sessel, setzte sich ihr gegenüber und sah sie für ein paar Herzschläge lang einfach nur an.
Ihr leicht schmunzelndes Lächeln verriet ihm, dass sie nicht wirklich wütend auf ihn war.
Etwas, das er ihr hoch anrechnete.
"Ich hasse es uns so zu sehen", gestand sie und schüttelte den Kopf in einer ungläubigen Geste.
" Wir sind ein Team, eine Familie... Warum musste es so eskalieren?"
"Frag das Steve... Mein linker Arm ist immer noch taub und das Veilchen blüht wie ein Regenbogen..."
"Ist nicht zu übersehen...", nickte die Agentin zustimmend, sagte dann aber: "Du weißt, wieviel Barnes ihm bedeutet..."
Da war er wieder, dieser fiese Stich in der Brustgegend, wenn dieser spezielle Name genannt wurde...
Tony zuckte zusammen, als der Schmerz von seinen Rippen aus höher wanderte.
"Barnes hat meine Mutter getötet... Gehirnwäsche hin oder her."
Die Eiseskälte in Tony Stimme jagte der Agentin einen Schauer über den Rücken.
Der Mann vor ihr hatte gefährliche Ähnlichkeit mit der Romanfigur Jekyll und Hyde.
Und Natascha wusste in diesem Moment nicht wirklich, welche Seite die gefährlichere war.
"Ich vertraue Steve... "
"Ich habe dich nie als dumm eingeschätzt..."
"Tony, er tut einfach, was er für richtig hält.
Und... Um ehrlich zu sein...
Ich hätte es genauso gemacht."
"Nur weil Steve Rogers etwas für richtig hält, ist es das auch?"
"Nur weil Tony Stark das tut, ist es richtiger?"
Die Tatsache, dass der sonst so vorlaute Milliardär darauf keine Antwort gab, verbuchte die Rothaarige für den Moment zumindest mal als einen kleinen Sieg.
Sie konnte regelrecht sehen, wie in diesem hochintelligenten Hirn vor ihr die Zahnräder ratterten.

Nach gefühlten Minuten, in denen Tony vor sich hin grübelte, hob er den Kopf erneut und schien überrascht sein Gegenüber noch am selben Platz sitzen zu sehen.
"Warum bist du eigentlich hergekommen?"
Ihr Lächeln ließ das bis eben noch ernste Gesicht offener und wärmer wirken, als sie sagte:" Fury sagte, ich soll nach dir sehen.
Er macht sich Sorgen."
"Der macht sich höchstens Sorgen darüber, das noch eine mental instabile Bombe hier frei herumläuft...
So eine in schickem Rot und Gold..."
Mit einem kurzen hin- und herwiegen ihres Kopfes zeigte Natascha schmunzelnd, dass Tony mit seiner Annahme nicht ganz so falsch gelegen hatte.
Allerdings wussten beide, das Nick Furys Wortwahl eine dezent andere gewesen war.
"Sag dem alten Einauge, mir geht‘s gut und er soll sich um seine Angelegenheiten kümmern.
Die zwei Babysitter im Haus reichen völlig..."
"Wortwörtlich, oder diplomatisch..." Schmunzelnd erhob sich die Agentin in einer fließenden Bewegung.
"Ist mir egal... Schreib‘s ihm meinetwegen auf seine Augenklappe...", knurrte Tony in nur halbherzig gespieltem Tonfall. "Alles, was ich will ist meine Ruhe, etwas Scotch und..."
Vergessen, Schlaf... Frieden...
Die letzten Worte unausgesprochen in der Luft hängen lassend, verabschiedete er sich von Natascha und sah ihrem Motorrad durch die Frontscheibe des Hauptquartiers nach, bis sie auf der Straße verschwunden war.
*Warum musste das alles so eskalieren...*
Diese Worte beschäftigen ihn selbst seit Tagen...
Eine Antwort darauf, fand er jedoch nicht.

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