Kapitel 70

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"Hey... Verrätst du mir irgendwann, warum du mir jetzt seit Tagen aus dem Weg gehst?"
Natascha zuckte unmerklich zusammen, als Clint sich in den Türrahmen des Kommandostandes lehnte, in dem sie gerade die Ergebnisse der letzten S.H.I.E.L.D Missionen durchging.
"Clint..." Ein dünnes, aufgesetztes Lächeln huschte über ihre Lippen, nur für jene zu erkennen, die sie so lange und gut kannten, wie der Mann vor ihr.
"Hast du jemand anderen erwartet?" Er betrat das Büro, setzte sich ihr auf einem der rollbaren Stühle entgegen und berührte sanft ihre Knie.
Eine Berührung, die sie normalerweise nicht einmal mit der Wimper zucken lassen würde, geschweige denn die Reaktion hervorrief, die sie gerade zeigte.
Sie zog sich sichtbar zurück und brachte Abstand zwischen ihren besten Freund und sich selbst.
Irritiert ließ Clint es geschehen, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete seine Freundin lange, bevor er schnaubend den Kopf schüttelte.
"Was ist passiert, Nat. Sag‘s mir."
Sie seufzte, schüttelte in einer unsicheren Geste den Kopf und zuckte mit den Schultern.
"Sag du es mir..."
Irritiert blinzelnd fragte er, was sie meinen würde, worauf sie kurz die Augen schloss und seufzte.
Es fiel ihr nicht leicht und doch wusste sie, dass es nicht vermeidbar war, wenn sie endlich dieses Gefühl loswerden wollte.
Dieses nagende Gefühl, das sich zwischen ihr und ihrem besten Freund etwas geändert hatte.
Etwas, von dem sie gehofft hatte, das sich nie entwickeln würde.
Als sie die Augen öffnete, sah sie Clint direkt in die Augen.
"Du bist mein bester Freund, Clint Barton."
Er nickte schluckend und als er ihren Blick erwiderte, wusste er, dass sie es bemerkt hatte.
Er wusste plötzlich, dass er es war, der Natascha in diese Situation gebracht hatte mit seinem Verhalten.
Mit seinem eigenen Gefühlschaos.
"Nat... Ich..."
"Clint, ich liebe dich. Als meinen Freund, als meinen Kampfgefährten... Du bist meine andere, vielleicht bessere Hälfte.
Aber ich liebe dich nicht... Nicht so, wie du es offenbar... Wie…"
"Nat, nein. " Er schüttelte energisch den Kopf, nahm ihre Hand und hielt sie fest, den Impuls, die Hand einfach zu küssen unterdrückend.
"Du bist mir unglaublich wichtig.
Scheiße, du bist die Patin meiner Kinder, meine Trauzeugin...
Meine beste Freundin und die einzige Person, der ich jederzeit, ohne mit der Wimper zu zucken, mein Leben anvertrauen würde.
Du bist die einzige Person, die mir ein Messer an den Hals halten könnte, und ich würde mich in die Schneide lehnen."
Sie schnaubte, als ihre Augenbraue sich wie von selbst fast schon zynisch hochzog.
Die Erinnerung an genau diese Situation während einer Mission, kam in ihr hoch und ließ ihre Augen unbewusst zu einer Narbe an Clints Hals wandern, die durch dieses Messer entstanden war.
"Deshalb habe ich immer das Gefühl, Bruce bekommt jeden Moment einen Pfeil in den Rücken, sobald er mich berührt."
"Ich gebe es zu, ich bin mit Bruce als potentiellen Partner für dich nicht wirklich glücklich...", seufzte der Bogenschütze entschuldigend.
"Oder mit irgendwem anderen?", mutmaßte die Assasina, was Clint mit einem Augenrollen kommentierte.
"Jetzt mach dich nicht lächerlich... Ja, ich wäre eifersüchtig, Und JA der Kerl würde von mir überprüft und beim geringsten Verdacht, dass er dich verarscht, würde ich ihm einen Pyropfeil in den Arsch jagen.
Aber..."
"Aber ich bin ein großes Mädchen, Clint", sagte sie ruhig, aber deutlich.
"Das weiß ich...", lächelte er sanft und drückte ihre Hand kurz. "Aber auch mein Mädchen..."
"Lass Bruce in Ruhe, Clint", bat sie nun ernst und suchte den Blick ihres Gegenübers. "Ich weiß, dass er.... Er ist ein unglaublich lieber Mensch. Und wenn die Situation anders wäre, ich glaube, er wäre der Mensch in den ich mich... Naja..."
"Bruce?" Clint schnaubte ungläubig.
"Nat, mal im Ernst, der Kerl hat ‘ne grüne Adrenalinphobie und du bist das lebende Adrenalin.
Das passt nicht!"
"Wir beide sind Monster, tief in unserem Inneren..."
Da war er, der Satz, der Clint bis ins Mark schockierte.
Hatte sie in all den Jahren noch immer diesen Unsinn in ihrem Kopf?
Er spürte an ihren Händen, wie sie zitterte, als sie den Blick senkte und die Augen schloss.
"Du bist kein Monster", flüsterte er zärtlich, doch sie schüttelte verneinend den Kopf.
"Doch bin ich... Das wissen wir beide. "
"Ich weiß das nicht, Nat. Für jeden, der dich kennt, bist du es nicht, Natascha Romanoff. Und ich will diesen verdammten Unsinn nie wieder hören."
Sie atmete tief durch, nickte langsam und seufzte, als er sie schließlich umarmte.
Sie ließ es geschehen, nickte, als hätte er sie aufgemuntert und schaffte es sogar ein ehrlich wirkendes Lächeln auf die Lippen zu legen, bis er offensichtlich überzeugt davon, sie getröstet zu haben, ihr einen Kuss auf den Scheitel drückte und das Büro verließ.
Erschöpft von ihrem eigenen inneren Kampf, ließ sie den Kopf nach vorne fallen und legte die Beine wieder auf die Konsole.
Sie war so müde...
So müde, ihnen immer wieder zu erzählen, dass ihre Vergangenheit sie nicht mehr belastete, dass ihre Taten nur noch auf dem Papier existierten.
Wie sollten sie auch verstehen, dass sie jede Nacht von ihren Opfern träumte...
Oder von ihrer Kindheit, die beherrscht war von Brutalität, Effizienz und Drill...
Gekrönt von körperlichen Misshandlungen, die sie bis heute verfolgten und zeichneten.

Der grüne Schimmer in seiner Hand verschwand, als Loki das Bild der trauernden Rothaarigen im Nebel vor sich verbannte.
Er schluckte hart, als er an die brechenden Augen dachte.
Die Augen, die er auf so seltsam wundervolle Weise leuchtend in Erinnerung hatte.
Seine Kieferknochen mahlten aufeinander, als er den Unterschied zwischen ihrem echten Lächeln und diesem aufgesetzten sah.
Waren Menschen wirklich so dumm, dass sie diesen Unterschied nicht wahrnahmen?
Für ihn war die Differenz zwischen diesen beiden Lächeln fast so groß, wie zwischen zwei Sonnensystemen!
Und ihre Augen...
Also er hielt diesen Bogenschützen ja ohnehin nicht für besonders intelligent, aber dafür, dass er vorgab Natascha so gut zu kennen...
Ihre Maskerade war gut, er selbst war bereits einmal auf sie herein gefallen...
Ein Umstand, der diese Frau für ihn überhaupt erst von der ganzen Masse der weiblicher Menschen separiert hatte, aber das die Menschen, denen sie tatsächlich so vertraute... Dass sie ihr Innerstes wirklich so wenig kannten, das betrübte ihn.
Er verstand zwar nicht warum er so empfand, und wenn er ehrlich war, irritierte ihn der Umstand, dass er sich überhaupt darüber Gedanken machte...
Aber wenn er sich eingestand, was er in diesem Moment wirklich wollte, war es eigentlich nur eins:
In dieses Büro gehen und ihr sagen, dass sie kein Monster war.
Nicht in seinen Dimensionen des Denkens...

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