Kapitel 2

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Tony Stark wusste nicht, wie oft er die Zeilen des Briefes in den letzten drei Tagen bereits gelesen hatte.
Sein erster Impuls nach dem ersten Mal war ein Wurf in den Mülleimer.
Der Zweite, den Brief wieder heraus zu fischen, glatt zu streichen und ihn samt Umschlag wieder in das Paket zu dem kleinen Klapptelefon zu stecken.
Der dritte Impuls war gewesen, das Paket zurück zum Absender zu schicken mit der Aufschrift: Fick dich, Rogers...
Doch auch das hatte Tony nicht übers Herz gebracht.
Alles, was er seit drei Tagen tat, war das kleine Telefon zu öffnen und wieder zu schließen.
Immer wieder, als würde ein erneutes Nachsehen vielleicht eine Nachricht von Steve Rogers zeigen.
Natürlich hatte er versucht die Nummer zu tracken...
Und natürlich war das fehlgeschlagen.

Tony hielt eine Wette mit sich selbst, dass nicht Steve auf die Idee mit der nicht nachvollziehbaren Simkarte gekommen war, sondern einer seiner Freunde...
Bestimmt Clint... Der war schon immer gut gewesen, wenn es ums Untertauchen ging.
Verdammte Topspiontechnik...
Oder dieser... Bucky...
Allein der Gedanke an Barnes ließ das Blut in seinen Adern kochen.
Das Video ging ihm nicht aus dem Kopf.
Barnes, der seiner Mutter die Kehle zupresste und seinen Vater kaltblütig erschlug.
Steves Arm, der ihn zurück hielt... Er konnte den Griff noch immer spüren.
Die blauen Augen des Soldaten, die sich zunächst mitfühlend, dann immer härter in seine bohrten, als er ihn fragte, ob er es gewusst habe.
Tony hatte sofort gewusst, dass Steve log, als er behauptete, nicht gewusst zu haben, dass es James Barnes gewesen war, der seine Eltern getötet hatte.
Das simple, völlig distanzierte: "Ja...", als er ihn erneut fragte.
Tony war schon von vielen Menschen in seinem Leben enttäuscht worden.
Doch gerade von Steve Rogers hatte er einen solchen Zug am allerwenigsten erwartet.
Echtes Vertrauen war etwas, das Tony nur sehr selten und sehr wenigen Menschen jemals entgegenbrachte.
Das ihn einer dieser Wenigen derart verraten würde...
Das tat weh.

Schmerz war Tonys jahrelanger Begleiter
Und wenn es um seinen Vater gegangen wäre...
Er hätte James Barnes wahrscheinlich noch für die scheinbare Erlösung gedankt.
Aber seine Mutter...
Das würde Tony diesem Bastard niemals verzeihen können.
Seine Mutter war auf diesem Planeten der einzige Mensch, der ihn wirklich jemals geliebt hatte.
Selbst Pepper hatte ihn verlassen...

Den dritten Scotch an diesem Morgen in einem Zug herunter kippend, steckte der Milliardär das Klapptelefon in seine Hosentasche und trat zu Rhodey, der zwischen zwei Laufstangen mit seinem Training begann.
"Guten Morgen..."
Tonys nur gebrummte Antwort ließ seinen besten Freund den Kopf schütteln.
"Hast du überhaupt geschlafen?"
"Ja, klar... So... Ein oder zwei Stunden, nach der Flasche Wodka..."
"Die Flasche?" Mit dem Daumen zeigte der Colonel auf eine der fünf Wodkaflaschen, die geleert auf dem Küchentisch standen.
Achselzuckend folgte Tony dem Blick, nickte abwägend und beschloss dann, dass es eh keinen Sinn machte sich darüber jetzt auch noch Gedanken zu machen.
"Tony..."
"Komm, Glucke kannst du später spielen... Lass sehen, was wir noch umstellen müssen."
Ganz vorsichtig half er seinem besten Freund zurück in die Laufstangen und beobachtete, wie er die ersten freihändigen Schritte mit den Exobeinen machte.
Froh, sein Gehirn für ein paar Minuten mit etwas anderem zu beschäftigen als mit Steve Rogers...

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