Kapitel 62

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Als die Nacht sich über New York legte, wurde es still im Tower.
Steve hörte wie Clint auf den zerstörten Ebenen einen Pfeil nach dem anderen in imaginäre Ziele schoss und seufzte leise in seinem Bett.
Tony und Bruce waren ins Labor gegangen und Steve hatte den leisen Verdacht, dass der Wissenschaftler sich bei seinem besten Freund über Lokis Verhalten ausheulte.
Es war zum Verrücktwerden mit den Dreien...
Insgeheim fragte sich der Blonde, ob das Team auch so über ihn ,Bucky und Tony gedacht hatte, bevor er sich endlich für sein Herz und damit für Tony entschieden hatte.
Loki hatte es nahezu genossen, Bruce und Clint zu provozieren.
Immer wieder hatte er Natascha berührt, ihr den Arm um die Schultern und die Hüfte gelegt oder so getan und sie nicht mal berührt.
Nat hatte ihn zwei Mal zurückgewiesen, doch je später der Abend geworden war, desto mehr hatte sie sich einfach fallen lassen.
Sie flirtete einfach gern, das war ihre Natur...
Ebenso wie die des Gottes des Schabernackes.
Steve kannte den Unterschied zwischen ihrem tatsächlichen Zeigen von Interesse und einfachem spielerischen Verhalten.
Mit Loki war es deutlich Letzteres gewesen, doch das hatten Clint und Bruce offensichtlich nicht mitbekommen.

Tony hatte mit Shuri gesprochen und sie gebeten, Kontakt zu Scotts Familie aufzunehmen, damit er diese wenigstens auf dem Botschaftsgelände sehen konnte.
Für Clint hätte er gerne das gleiche gemacht, doch der hatte abgelehnt.
Er wollte nicht, dass Laura und seine Kinder irgendwie öffentlich wurden.
Nicht, dass Tony das nicht bedacht hätte, doch respektierte er den Wunsch des Bogenschützens vollends.

In Steves Kopf drehte sich seit Stunden ein und derselbe Gedankengang.
Wie sollte es von nun an mit Buck und ihm weiter gehen?
Tonys Vorstoß Natascha zur neuen Leiterin der Initiative zu ernennen, hatte ihn auf der einen Seite sehr überrascht, doch nach ihrem Gespräch letzte Nacht auch wiederum nicht.
Tonys Wunsch nach Ruhe und dem Ablegen seiner Bürde schien wesentlich ausgereifter zu sein, als Steve vermutet hatte.
Oder hatte er, wie so oft, einfach die Gunst der Stunde genutzt?
Tief durchatmend verschränkte er seine Arme hinter seinem Kopf und starrte die Decke seines Zimmers an.

Immer wieder hörte er Sams Worte in seinem Kopf und die Verehrung die Captain Amerika zuteil wurde.
Er wusste, dass das Schild und der Anzug für viele ein Inbegriff der Hoffnung waren.
Oft genug hatte er diese Last selbst auf den Schultern gespürt...
Immer wieder hatte er sich die Worte von Dr. Erskine zitiert:
Kein guter Soldat, aber ein guter Mann.
Tief in seinem Inneren hatte er immer Zweifel gehabt, was von beidem wirklich auf ihn zu traf.
Er hatte versucht immer ein guter Mensch zu sein und ein noch besserer Soldat.
Ein Vorbild für die ganzen Menschen in der Army, die für ihr Vaterland kämpften und oft genug auch den letzten Preis dafür zahlten.
Sam hatte ihm immer wieder von seiner Arbeit im Veteranenzentrum erzählt, in dem er als Berater tätig war, um ihnen bei rechtlichen und auch emotionalen Fragen zur Seite stand.
War diese Arbeit nicht ebenso wertvoll, wie der Dienst an der Front?
Für Steve war diese Arbeit sogar fast noch mehr wert.
Sam half Menschen über das hinwegzukommen, dass sie für ihr Land getan hatten.
Er war seine Definition eines 'guten Mannes'.
Wenn das Schild, und alles wofür Captain Amerika also stand, nur mit den Insignien verbunden war...
Hieß das nicht auch, dass der Mensch hinter dem Banner im Grunde nur eins sein musste: Ein guter Mensch, zu dem andere Menschen aufblicken und sich eventuell wiedererkennen konnten?
Sein Blick glitt nach links, wo der Sternenschild lange Jahre gehangen hatte und wo jetzt nur ein leerer Fleck mit einem Aufhänger geblieben war.
Darunter lag der breite Armreif, den Tony ihm gegeben hatte, zusammen mit dem dunklen Anzug, den er ihm zur Verfügung gestellt hatte.
Ob Tony ihm den Schild geben würde, damit er ihn weiter reichen konnte, wenn er es ihm erklärte?
Und wenn Sam den Schild annahm...
WENN er ihn annehmen würde, wie würde es dann mit ihm selbst weiter gehen?
Würde er wirklich zurücktreten können?
Würde er das müssen?

Diese ganzen Hypothesen drehten sich in seinem Kopf wie ein Karussell und doch kam er nicht zu einem Ergebnis.
Er musste mit Tony darüber reden, denn ein Alleingang wie mit Bucky kam für ihn nicht mehr in Frage.
Er hatte begriffen, was ihn solche Aktionen wirklich kosten konnten und wenn er ehrlich zu sich selbst war, diesen Preis war er nicht mehr bereit zu zahlen.

Irgendwann tief in der Nacht hörte er, wie seine Tür geöffnet und ganz leise wieder geschlossen wurde.
Das leichte Glimmen des ArcReaktors auf Tonys Brust wurde heller, als dieser sein Shirt auszog.
Das leise Rascheln von Stoff folgte und nur Sekunden später spürte Steve, wie eine warme Hand über seinen Bauch strich und die Matratze sich leicht neben ihm neigte.
"Hi..."
"Oh, habe ich dich geweckt?"
"Nein... Ich war noch wach."
Die Hand auf Steves Bauch fuhr tiefer, streifte den Stoff des Achselshirts hoch und begann langsam über die weiche Haut darunter zu streicheln, bis Steve sich drehte und Tony zuwandte.
"Wie geht es Bruce?"
"Ich habe ihm gesagt, er soll sich endlich entscheiden..."
"Nicht so einfach...", mutmaßte Steve leise und ließ seine Nase über die seines Gegenübers wandern."Besonders für jemanden, der bei Adrenalin halt schon mal grün wird..."
"Und Adrenalin ist Nataschas zweiter Vorname...", sagte Tony schnaubend, worauf Steve ihm kichernd zustimmte.
Treffender konnte man Natascha Romanoff kaum beschreiben.
"Aber bei dir ist er auch völlig ruhig, selbst wenn du ihn provozierst..."
"Ich bin nicht sein Liebesinteresse..." Tonys Atem stockte, als Steves Hand über seinen Rücken wanderte und an seinem Steißbein liegen blieb.
"Nein, du gehörst definitiv mir..."
"Tu ich das?" Die Art, wie Tony diese Frage stellte, ließ Steve schlucken.
Es war keine Beschwerde, mehr ein unsicheres Versichern, dass Steve dazu veranlasste, ihn näher an sich zu ziehen und seinen zweiten Arm unter Tonys Kopf zu legen, so das er in seinen Armen lag.
"Buck hat mich damals, als er das zwischen uns herausgefunden hat, als neues starksches Eigentum bezeichnet..."
Das deutliche Schnauben des Schwarzhaarigen ließ Steve schmunzeln.
"Naja, du hattest mir einen Knutschfleck auf den Hals gemacht... Und so, wie ich dich kenne, war das kein Versehen."
Steve spürte an seinem Arm wie Tony schmunzelte und nahm das als Bestätigung, worauf er ebenfalls kurz lächelte.
"Also... Bin ich jetzt Rogers Eigentum?", fragte der Milliardär neckend, worauf Steve leicht den Kopf schüttelte.
"Du hast mein Herz...", wisperte er sanft und spürte wie Tony heftig schluckte, bevor er sich ein Stück aufrichtete ihm direkt in die Augen sah.
Das leichte Glimmen des Reaktors auf der Brust beleuchtete die schimmernden Augen des Milliardärs, zeugte davon, dass dort leichte Feuchtigkeit schimmerte.
"Das... Das trifft sich gut", hauchte er brüchig.
"Ich habe meins gerade verloren", hauchend, küsste er ihn innig und ließ sich auf den starken Körper ziehen, der ihn mit Beinen und Armen umfing.

Im Morgengrauen hatten beide noch keinen Schlaf gefunden.
Sie lagen einfach eng umschlungen nebeneinander, genossen die Nähe des anderen und redeten.
Steve hatte ihm seine Gedanken mitgeteilt, hektisch und unsortiert zunächst, dann, als er merkte, dass Tony ihm wirklich zuhörte und auch wirklich an dem interessiert war, was er sagte, immer ruhiger und strukturierter.
Sie diskutierten auf völlig ruhiger und gleichberechtigter Weise die Situation und spürten irgendwann, dass es genau das war, was sie beide so lange im Leben vermisst hatten.
Sie hatten einander nichts mehr zu beweisen...
"Also, ich verstehe das richtig.
Du gibst... Vorausgesetzt Sam Wilson stimmt zu, der neue Captain Amerika zu sein... ihm deinen Posten.
Nur um dann deinen Tod..." Immer wieder musste Tony bei diesem Gedanken schlucken, sich der Nähe zu Steve nicht nur körperlich sondern auch mental klar werden. "…beizubehalten.
Und James Barnes macht dasselbe, damit die Politik euch endlich in Ruhe lässt?"
"Zusammengefasst ist das richtig, ja. Buck will Shuri einen Antrag machen, also wird er wohl kaum noch als aktiver Soldat in der Öffentlichkeit stehen."
"Höchstens in ein paar Jahrzehnten als König von Wakanda eventuell...", nickte Tony und hoffte, dass dieser Zeitpunkt noch viele Jahrzehnte weit weg sein würde.
"Und bis dahin... Tony, wenn die Not besteht, dass ich aktiv werden muss, werden wir einen Weg finden.
Aber ich muss diesen Sumpf im Weißen Haus austrocknen.
Und das kann Steve Rogers wesentlich besser, als Captain Amerika das jemals könnte..."
"Da ist was dran...", stimmte Tony ihm nachdenklich zu und ließ seine Wange auf Steves Brustkorb wandern, während dieser seinen Rücken entlang strich.
"Der Gedanke an eine Beerdigung mit deinem Namen..."
"Glaub mir, ich weiß, was du meinst...", murmelnd, lehnte er sein Kinn auf die Haare des Schwarzhaarigen.
"Lass es uns als Beerdigung unseres alten Lebens sehen... Und als Beginn eines neuen. Ok?"
Tonys Kopf hob sich, als er Steves Worte hörte und spürte, dass dort zwischen den Zeilen eine tiefere Bedeutung lag.
Nickend suchte er Steves blaue Augen, die so unglaublich liebevoll in seine blickten, dass Tony spürte, wie er schon wieder feuchte Augen bekam.
Seit wann zum Teufel war er so emotional am Wasser gebaut?!
"Damit kann ich leben..."
Mit einem erleichterten Lächeln zog Steve ihn erneut in seine Arme, hielt ihn einfach fest und schloss die Augen.
Jetzt musste nur noch Sam zustimmen...
Und Bucky, aber das hielt er praktisch nur noch für eine Formsache...

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