Kapitel 30

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Nach einer erneuten schlaflosen Nacht im Trainingsraum des Towers, fühlte Steve sich noch immer taub und stumpf.
Er hatte gehofft, mit Training seinen Körper zumindest halbwegs erschöpfen zu können, den inneren Stress abzuarbeiten, doch wie so oft in den letzten Monaten, war im keine wirkliche Entspannung vergönnt. Natascha hatte vor ein paar Stunden mal nach ihm gesehen, doch schnell gemerkt, dass er auch mit ihr nicht reden wollte.
Er wolle im Grunde nur eins: Frieden.
Geistigen und körperlichen Frieden...
Und genau das war es, was für ihn unerreichbar schien, seit so vielen Jahren.
Manchmal wünschte er sich in die Zeit im Eis zurück. Nichts fühlen, nichts wahrnehmen...
Nur Ruhe und die Hoffnung auf zumindest ein mentales Ende seines Ichs.
Wenn nicht wieder jemand kam, um ihn aufzuwecken...  
Den nächsten Sandsack aufhängend, streckte der Supersoldat den Rücken durch und atmete schwer. Bereit den nächsten Schlag auszuführen, wurde er unterbrochen, als Vision durch die Wand in den Raum glitt.
"Himmel..." Erschrocken fuhr Steve zusammen und schaffte es gerade noch die Faust zurückzuziehen, damit sie seinen Freund nicht mitten ins Gesicht traf. "Verzeihung Steve... Ich war auf der Suche nach dir und habe nicht auf die Wände geachtet."
Die Absurdität dieser Aussage schaffte es Steve Rogers ein überraschtes Lachen zu entlocken und seine Körperhaltung tatsächlich etwas zu lockern. "Manchmal beneide ich dich, Vision…", gestand er, den überraschten Blick der künstlichen Lebensform übergehend, in dem er nach seinem Handtuch griff und sich den Schweiß vom Gesicht und dem nackten Oberkörper wischte.
"Mister Stark sagte, ich soll dir das hier aushändigen..."
Vision reichte Steve eines von Tonys kleinen Smartphones, die er für private Zwecke produzieren ließ.
Sie waren an kein externes Netzwerk angeschlossen und ausschließlich mit Starktech zu betreiben.
"Er sagte, ich soll es auf deine... Bedürfnisse... Anpassen.  Daher habe ich die KI etwas reduziert." "Danke."
Im ersten Moment wusste der Blonde nicht, ob er darüber jetzt beleidigt oder erleichtert sein sollte. Offensichtlich trauten Tony und Vision ihm nicht zu, sich mit neuester Technik auseinander zu setzen. "Mister Stark sagte, es sei das starksche Äquivalent zu dem Telefon, das du ihm gegeben hättest..."
"Mit den Worten?", schmunzelte Steve, worauf Vision ertappt zurücklächelte.
"Nicht exakt..."
"Dachte ich mir..."
Für einen Moment sah Steve auf das kleine, handgroße, durchsichtige Display und schluckte.
So absurd das auch klang, aber für einen kurzen Moment fühlte er Erleichterung.
Erleichterung, dass Tony offensichtlich die Geste damals verstanden hatte und dass vielleicht doch noch nicht alle Hoffnung auf ein Gespräch unter ihnen vergebens war.
Dass er ihn noch nicht für immer verloren hatte... "Danke, Vision. Das bedeutet mir sehr viel", gestand er leise und fragte dann: "Wie geht es ihm? Ich meine... Wirklich, nicht die offizielle Fassung."
Für einen Moment schien Vision abzuwägen, was er sagen sollte, dann suchte er Steves Blick und sagte: "Sein Körper heilt. Aber ich glaube, dass es da etwas gibt, dass er... Dass er mehr braucht, als die körperliche Heilung."
Einen Moment zögernd verharrte Visions Blick auf Steves Gesicht, nur um dann auf das Smartphone zu sehen und den Kopf schief zu legen.
Dann entschuldigte er sich höflich und verschwand, wie er gekommen war.
Hinterließ einen ratlosen Steve Rogers, der den Fleck an der Wand betrachtete durch den sein Freund gerade geglitten war.  

Nach einer langen heißen Dusche fühlte Steve sich besser.
Er hörte Clint und Wanda in der Küche zusammen mit Sam .
Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee stieg ihm in die Nase , worauf sich sein Magen meldete.
Ein altes Armeeshirt und eine legere Jeans anziehend, ging er zu ihnen und lächelte verlegen, als er die Blicke von Sam und Natascha auffing, die ihm direkt in die Seele zu blicken schienen.
"Kaffee?" Die Rothaarige reichte ihm einen Becher voll und nickte in Richtung eines Brotkorbes, der mit Brötchen und Croissants gefüllt war.
"Mit Grüßen von der Botschaft..."
Der letzte Satz versetzt Steve einen Stich, worauf er nur den Kaffee nahm und sich eine Scheibe des Brotes nahm, das im Schrank lag.
"Du weißt schon, dass das nicht vergiftet ist?", schmunzelte Clint und biss wie zum Beweis in eines der Croissants.
"Würde eh nichts bringen...", murmelnd, trank Steve den Kaffee langsam aus und starrte zu Boden, während er die karge Mahlzeit zu sich nahm.
"Was war eigentlich los vorgestern...", sprach Sam endlich aus, was alle im Raum wissen wollten.
"Bucky und du... Was ist das?"
"War das...", kommentierte Steve trocken und suchte Sams Blick.
"Ist auch egal... Ich hab‘s verbockt. "
"Sieht eher so aus, als hättet ihr beide da was verbockt...", korrigierte Clint sanft, worauf Steve nur den Kopf schüttelte.
"Wie gesagt, spielt keine Rolle. Es wird das Team und die Botschaft nicht belasten, versprochen."
"Solang die Türen nicht wieder aus den Angeln fallen... Wobei sag Bescheid, dann bau ich dir ‘ne hulksichere Tür ein, wie bei Bruce..."
Was als Scherz von Nat gemeint war, brachte ihr nur einen giftigen Blick von Sam und Clint ein, den sie mit einer *Was denn?!* Geste kommentierte.
"Falls Shuri mich sucht, ihr wisst wo ihr mich findet..." Mit einem kurzen Blick auf seine Freunde zog sich Steve zurück und ging zurück in sein Zimmer.
Die Stille war unerträglich und doch Trost zugleich. Wie sehr sehnte er sich jetzt danach, einfach mit jemandem reden zu können...WIRKLICH reden zu können?
Und doch wusste er nicht, ob er wirklich Worte finden würde, um zu beschreiben, wie es in ihm aussah.
Er hatte gerade die Augen geschlossen, als ein leiser Ton ihn irritierte. Ein kurzes Klopfen, aber eher mechanischer Natur, als das es von der Tür her kommen konnte.
Instiktiv blickte er auf das kleine Display neben sich und erkannte, dass es fahl leuchtete.
Er hob es an und in schwarzen Buchstaben auf weißem Grund stand dort :  

Ich vermisse dich...  

Irritiert blinzelnd betrachtete er die Nachricht wieder und wieder.
Konnte das sein?
Aber...
Wer hatte diese Nummer außer...
War diese Nachricht wirklich für ihn?
Mit zitternden Händen ergriff er das Display, legte seinen Daumen darauf um es freizuschalten und schloss einen zitternden Atemzug lang die Augen.
Es gab nur diese eine Chance, es heraus zu finden...

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