Unschlüssig stand ich einige Minuten in der Badezimmertür und starrte auf den Gang, ehe ich das Bad wieder verließ und zur Wohnungstür ging. Dort griff ich nach der Klinke. Kurz davor hielt ich inne. Was wenn das ein Test war? Oh, wie ich diese psychologische Kriegsführung hasste. Vorsichtig legt ich die Hand auf die Schnalle und drückte sie langsam hinunter. Mit angehaltener Luft öffnete ich die Tür.
Unschlüssig stand ich vor der speerangelweitoffenen Tür und sah in das heruntergekommene Stiegenhaus. Am Treppengeländer bröckelte der schwarze Lack ab und der Boden war von Staub und Dreck bedeckt. Selbst Sukunas Schuhabdrücke waren noch zu sehen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. War er wirklich weg? Oder wartete er nur darauf, dass ich durch die Tür ging?
Als hätte ich Bleischuhe an, schlurfte ich in Zeitlupe auf die Schwelle zu. Doch, bevor ich sie überquerte, blieb ich stehen und schaute eine gefühlte Ewigkeit nach draußen. Was soll ich tun? Was soll ich tun? Was soll ich tun? Langsam lugte ich in den Gang und erwartete schon fast, dass mich gleich irgendetwas anfiel. Doch nichts geschah. Mit viel Überwindung hob ich schließlich meinen Fuß, um in den Stiegenaufgang zu treten.
Plötzlich knallte es im Stiegenhaus und ich warf erschrocken die Tür zu. Verängstigt stolperte ich zurück in die Wohnung. Kam Sukuna schon wieder zurück? Verängstigt rannte ich zurück ins Badezimmer und schmiss auch diese Tür hinter mir zu.
Völlig fertig ließ ich mich an der Badezimmertür hinuntergleiten und atmete zitternd durch. Komm schon, Amaya, das packst du! Mit einem weiteren Durchatmen stemmte ich mich wieder hoch und sah mich im Raum um. Wie ursprünglich erhofft, fand ich einen Spiegel, in dem ich mich sogleich betrachtete. Geschockt stellte ich fest, dass mein Hals aussah wie ein gesprungener Bildschirm. Überall zogen sich Risse entlang, die blau leuchteten. Vorsichtig fuhr ich über einen Riss. Wie ...? So etwas konnte doch gar nicht möglich sein. Allerdings in Anbetracht der gestrigen Geschehnisse und meiner heutigen Selbstgespräche, die ja eigentlich keine Selbstgespräche waren, sollte es mich eigentlich nicht wundern. Die Betonung liegt hierbei auf eigentlich. Denn ehrlich gesagt, konnte mein Gehirn nicht realisieren, dass das, was ich im Spiegel sah, auch real war.
"Was ist das?", hauchte ich in den leeren Raum. Ich fühlte Mitleid für mich, aber es kam nicht von mir. Wie seltsam. Du bist eine Hülle. Ein Gefäß. F-für ... mich. Ich ließ meine Hand auf den Spülbeckenrand fallen und stützte mich darauf ab. Raijus Schuldbewusstsein sprang auf mich über und ich sah in die traurigen, mittelblauen Augen im Spiegel. Wenn man genau hinsah, konnte man hellere, fast türkise Sprenkel in den Iriden erkennen.
Ich atmete zitternd durch, um nicht gleich in Tränen auszubrechen. Wieso ich, Raiju? Erklär's mir. Bitte. Es dauerte eine Zeit bis Raijus Stimme in meinem Kopf erklang. Du warst noch ganz klein. Kein Jahr alt. Ich kämpfte gerade gegen einen lästigen Windgeist. Der Blitz, der ihn tötete, traf das Haus deiner Eltern. Der Kamin explodierte und die herumfliegenden Teile trafen deine Eltern. Sie waren sofort tot. Im Haus breitete sich ein Feuer aus. Das Dach begann einzustürzen und du hast geweint. Ich konnte dich gerade so vor einem herunterstürzenden Holzbalken retten. Ich habe dich aus dem Haus gerettet und mir geschworen auf dich aufzupassen, bis du stirbst. Seitdem sind wir eins. Ich sah während des Vortrags auf den Spiegel und verfolgte das Leuchten der Risse auf meinem Hals. „Das heißt, du hast meine Eltern umgebracht?", fragte ich überraschend gefasst. Kann man so sagen, kam traurig seufzend zurück. Oookay. „Schön, dass wir das geklärt haben." Ich straffte meine Haltung und schlug mit der Hand auf den Waschbeckenrand, sodass ich gleich darauf diese Hand herumbeutelte und jammerte: „Au! Scheiße tut das weh." Von Raiju verspürte ich eine Welle der Belustigung, woraufhin ich die Augen verdrehte. Ha, ha, wirklich unglaublich lustig.
Nun begann er wirklich zu lachen und der Klang der Verhöhnung hallte in meinen Gedanken wie ein Echo. Oh ja, mach dich nur über mich lustig. Als das Lachen nicht abebbte, verdrehte ich erneut die Augen und meckerte: „Hör auf zu lachen. Sag mir, lieber ob ich was dagegen machen kann", und fuchtelte in Richtung des Spiegels. Das ist spätestens in zwei Tagen wieder verheilt. Keine Sorge. Oh, na dann. Widmen wir uns etwas anderem. Vorsichtig bewegte ich mich auf die Badezimmertür zu und öffnete sie. Ich lugte in den Gang. Ich sah einmal nach links und einmal nach rechts. Erst als ich mir sicher war, dass zumindest der Gang menschenle-... äh, fluchleer war, trat ich aus dem Bad. Auf leisen Sohlen schlich ich ins Wohnzimmer, nur um dann festzustellen, dass dieses leer war. Das Gleiche spielte sich auch in der Küche sowie im Schlaf- und Kinderzimmer und in der Abstellkammer ab.
Ich fand mich wieder im Wohnzimmer ein. Ich war also allein. Ich könnte fliehen ... und erwischt werden ... und dann abkratzen ... jaaa, also das fällt einmal flach. Wie war das vorhin mit positiv denken? „Positiv denken wird überbewertet. Ich bin Realistin", antwortete ich in den leeren Raum und fühlte mich wie eine Verrückte. Ich spürte wie Raiju die Augen verdrehte und ein Brummen ausstieß. Alsooooo, was mache ich jetzt? Kaum hatte ich einmal nichts zu tun, war mir langweilig. Ich brauchte nicht einkaufen gehen, nicht arbeiten, konnte nicht kochen. Hm. Überlegend schaute ich mich im Raum um und plötzlich ging mir ein Licht auf.
In einem Schwung drehte ich mich um und hielt auf die Abstellkammer zu. Dort schnappte ich mir einen Besen, einen Staubwedel, einen Eimer, einen Mob und einige Lappen und Tücher. Mit den Putzutensilien bewaffnet, von denen mir die Hälfte fast aus den Händen fiel, ging ich ins Schlafzimmer, um es auf Vordermann zu bringen. Ich stellte die Sachen ab, um dann mit dem Eimer ins Bad zu marschieren. Ich stellte den Kübel unter den Wasserhahn der Badewanne und drehte ihn auf. Allerdings kam kein Wasser. Ich wartete ein wenig, gab es jedoch dann seufzend auf als nur ein einsamer Tropfen in das Gefäß fiel. Dann eben nur Trockenreinigung.
Ich warf den Eimer wieder zurück in die Abstellkammer und begann nun erst einmal den Kleiderschrank abzuwischen, dann das Gewand herauszuräumen und den Kasten heraus zu wischen. Danach schüttelte ich die Bettwäsche auf dem Balkon aus und fegte den Raum. Dieselbe Prozedur wiederholte ich im Kinderzimmer. Dann machte ich das Bad, den Gang und die Küche, bis ich am Ende das Wohnzimmer putzte. Und das Ganze vermutlich noch in Rekordzeit.
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Lass mich dich nicht lieben
FanfictionFluch. Laut Wörterbuch unter anderem definiert als Strafe, Unheil oder Verderben. Eine recht zutreffende Beschreibung, wenn man plötzlich das neue Studienobjekt von Sukuna, dem König der Flüche, ist. Denn genau das passiert Amaya Tojiro. Gerade war...