18. Aller Anfang ist schwer

239 6 0
                                    

Irritiert sah ich nach oben in das rauchende Loch, durch welches soeben ein Blitz eingeschlagen hatte, ehe ich mich mit einem leisen beschämten „Ups?" wieder meinem Trainer zuwandte. Zwischendurch sah ich noch kurz an mir herunter, um sicherzugehen, dass meine Kleidung nicht verbrutzelt war und wie sich zeigte, hatte ich nicht einmal einen winzigen Brandfleck. „Hm, das habe ich nicht erwartet", stellte Satoru leicht überrascht fest und sah ebenfalls hoch, bevor er mich anlächelte, „Ich würde sagen, darauf kann man aufbauen. Was hast du gefühlt, kurz bevor der Blitz eingeschlagen ist?" Abwartend sah er mich an und ich erwiderte nüchtern: „Ich hatte das Bedürfnis dir ins Gesicht zu schlagen ... ach, und übrigens tut mir das mit dem Idioten leid." Zwar nur ein bisschen, aber das musste er ja nicht wissen. „Macht doch nichts", winkte Satoru fröhlich ab, legte dann jedoch seine Hand überlegend ans Kinn und meinte: „Nur leider hilft uns das alles nicht." Überlegend schaute er an mir vorbei, während ich einfach still darauf wartete, was er jetzt wieder für verrückte Einfälle hatte.

„Probieren wir's so. Konzentrier dich darauf, was du tun willst", schlug Satoru vor, „In unserem Fall einen einfachen Blitz erzeugen." „Na gut", seufzte ich und schloss die Augen und versuchte mir vorzustellen, wie ein weiterer Blitz durch das Loch im Dach kam. Als sich bei reiner Vorstellungskraft nichts tat, versuchte in mich hinein zu horchen und etwas zu finden, dass oft als DIE Kraftquelle bezeichnet wurde.

„Meditation hilft auch oft", warf Satoru ein und störte mich somit in meinem Suchvorgang ungemein. „Schnauze", zischte ich und versuchte meine Konzentration beizubehalten. Es kam noch ein leises, störendes „'Tschuldigung" und dann herrschte wieder Stille. Nach weiteren Minuten des Suchens fand ich doch endlich etwas, dass ich als Kraftquelle bezeichnen würde. Wurde es in vielen Geschichten oft als Knoten beschrieben, fand ich einen wortwörtlichen Gewittersturm vor, nach welchem ich zu greifen versuchte. Hört sich vielleicht blöd an, war aber äußerst effektiv. Denn kaum waren meine seelischen Fingerspitzen in den Sturm eingetaucht, schlug erneut ein Blitz krachend durch das Dach. Nur leider nicht wie beabsichtigt durch dasselbe Loch, sondern drei Meter vor mir ... genau über Satoru.

Als ich die Augen aufschlug, sah ich gerade noch, wie das grelle Licht verschwand und einen rauchenden Satoru zurückließ. Seine weißen Haare, die ihm eigentlich etwas ins Gesicht hängen sollten, standen zu Berge und hatten vereinzelte schwarze Strähnen. Ebenso war seine Kleidung nicht ganz unversehrt geblieben und wies hier und da ein rauchendes Loch auf. „Das zielen müssen wir definitiv noch üben", kam hustend von meinem Lehrer und ich musste mir stark mein Lachen verkneifen. „Also, ich weiß nicht, was du meinst. Ich finde, das war gar nicht so schlecht gezielt", meinte ich und versteckte mein Grinsen hinter meinen vorgehaltenen Händen. Satoru ließ seine Sonnenbrille, welche mit einer dünnen Rußschicht bedeckt war, auf seine Nasenspitze rutschen und sah mich vorwurfsvoll an. Ich wollte mich eigentlich ernsthaft bei ihm entschuldigen, aber da ich ihn mit den elektrisierten Haaren nicht ernst nehmen konnte, prustete ich los: „Entschuldigung!"

„Tse, tse, tse, also wirklich. Keine Manieren", meinte Satoru kopfschüttelnd, hatte aber einen scherzhaften Unterton. „Es tut mir wirklich leid", erwiderte ich, musste aber weiterhin lachen. „Schon gut", winkte der Weißhaarige nun lächelnd ab und fügte hinzu, „Aber vielleicht machen wir lieber nach dem Mittagessen weiter." Ich nickte und folgte Satoru nach draußen in den Gang. Mit einem kurzen Blick zurück, wandte ich mich an den Weißhaarigen und fragte: „Sag mal, wieso wundert sich eigentlich keiner über den Krach und den Rauch?" Gespannt wartete ich auf eine Antwort, welche sofort schulterzuckend kam: „Ach, bei uns explodiert immer wieder mal was." Etwas sprachlos schaute ich Satoru an und versuchte eine Erwiderung zu finden, doch da schallte bereits ein lauter und ziemlich wütend klingender Ruf durch die Gänge: „SATORU!"

„Ah, ich sehe schon. Ich nehme an diese Explosionen gehen hauptsächlich auf die Kappe deiner Schüler?", hakte ich schelmisch grinsend nach und mein Gegenüber fasste sich betroffen ans Herz. „Nein, überhaupt nicht", erwiderte er unglaubwürdig. "Wie du meinst", zuckte ich wissend grinsend mit den Schultern und setzte meinen Weg zur Küche weiter fort, während Satoru bei der nächsten Abzweigung abbog und mir winkend versprach, dass er nachkam.

Heute musste ich mir mein Mittagessen ausnahmsweise einmal selbst kochen, da Yuji, der ja bis jetzt eigentlich immer gekocht hatte, nicht da war und die Zweitklässler auch irgendwie nicht aufzufinden waren. Deswegen beschloss ich mit meinen nicht unbedingt überragenden Kochkünsten, das Einzige zu machen, das ich wirklich gut konnte. Nämlich Nudeln. Schnell hatte ich eine improvisierte Bolognese-Sauce zusammengepanscht und die Nudeln gekocht. Da ich Satoru zwar eingeplant hatte, ab nicht wusste, wie lange er brauchen würde, begann ich schon einmal zu essen.

Als ich etwa Dreiviertel meiner Portion zusammengegessen hatte, tauchte Satoru auch endlich auf. "Na, endlich. Ich dachte schon, ich würde dort nie wieder rauskommen", meinte er als er in den Raum kam, während ich einfach nur auf die zwei Töpfe mit Nudeln und Sauce deutete. Schnurrstraks hielt er auf das Essen zu und setzte sich keine Minute später mir gegenüber. Währenddessen beäugte ich ihn äußerst skeptisch. Die lockeren Klamotten waren wieder der dunkelblauen Uniform gewichen. Ebenso wurde die weiße Mähne wieder von der Augenbinde oben gehalten und kaschierte gekonnt alle schwarzen Strähnen ... oder sie waren verschwunden. Wenn das so war, dann musst ich Satoru unbedingt nach seinem Geheimnis fragen.

"Ich nehme an, das Nachmittagstraining fällt aus?", fragte ich und war mir dabei SO sicher, dass die Antwort "Ja" lautete, nachdem er wieder seine Uniform anhatte, wurde aber von dem übergroßen Kind mal wieder überrascht. Mit einem Lächeln, dass praktisch danach fragte, ob ich blöd war, kam: "Wo denkst du hin?" Verdammt! "Du kommst natürlich mit." Was? Verdattert schaute ich mein Gegenüber mit halbvollem Mund an. Ich hatte mich doch gerade hoffentlich verhört.

Lass mich dich nicht liebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt