20. Also, wenn das mal nicht schiefgelaufen ist

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Schlussendlich hielt der Wagen vor einem mehrstöckigen Gebäudekomplex. Ich stieg aus und stellte mich neben Satoru, der mit einem leichten Lächeln im Gesicht auf das Gebäude schaute. „Was ist das für ein Gebäude?", fragte ich als Satoru mit den Händen in den Hosentaschen auf den Eingang zu schlenderte. „Das ist ein baufälliger Teil eines Krankenhauses. Man wollte den Teil renovieren, allerdings kam es vermehrt zu unerklärlichen Unfällen, weshalb man uns verständigt hat. Ein Fenster hat dann bestätigt, dass es sich um einen Fluch handelt", klärte mich Satoru auf und ich nickte verstehend, ehe ich noch nachfragte: „Hilf mir auf die Sprünge, was ist noch einmal ein Fenster?" Satoru sah lächelnd zu mir und erläuterte mir bereitwillig: „Fenster sind Menschen ohne Fluchkraft, die Flüche sehen können ... Fast so wie du." Ich ignorierte den stichelnden Unterton im letzten Teil einfach mal und nickte schlichtweg.

„Na, dann los", meinte Satoru voller Tatendrang und rieb die Hände aneinander, während er auf die gläserne Flügeltür zuging. Mit der Gewissheit heute Nacht möglicherweise von Albträumen geplagt zu werden, folgte ich dem Sonderrang-Jujuzisten in das verfluchte Gebäude. Wir kamen in eine dunkle und verlassene Empfangshalle, bei welcher mir ganz mulmig im Magen wurde. Unbewusst rückte ich ein Stück näher zu Satoru, welcher mir gleich wieder den Kopf tätschelte, als er das bemerkte. „Keine Angst. Bleib einfach dicht bei mir, dann bekommst du nicht einmal einen Kratzer ab", grinste er mich von oben herab an und ich schlug mit einem genervten Brummen seine Hand weg. „Ist ja gut. Werde ich machen. Aber hör auf mich wie ein Kleinkind zu behandeln", grummelte ich, was dem Weißhaarigen ein erheitertes Lachen entlockte. Idiot.

Während  Satoru ganz entspannt, aber nicht ohne einer gewissen Wachsamkeit die Gänge entlang schlenderte, versteckte ich mich schon fast hinter ihm und zuckte bei jedem noch so leisem Geräusch zusammen. Ich war schlicht gesagt ein einziges Nervenbündel. Hätte ich nicht dieses bisschen Stolz und Anstand in mir gehabt, hätte ich mir vermutlich sogar die Blöße gegeben und hätte mich an Satoru geklammert wie ein Teenagermädchen in einem Horrorfilm. Aber das hätte dieses gigantische Ego nur noch mehr aufgeblasen ... und das wollte ich auf jeden Fall vermeiden. So viel Selbstachtung hatte ich dann doch noch.

Ich war mir nicht sicher, ob Satoru ein bestimmtes Ziel hatte, aber so zielstrebig, wie er Stockwerk um Stockwerk hinter sich ließ, musst er ein Ziel haben. Ich schätzte, dass wir etwa im vierten Stock waren als der Weißhaarige plötzlich mitten im Gang anhielt. „Was ist?", flüsterte ich und sah mich unruhig um. In diesem Gebäude läuteten bei mir sämtliche Alarmglocken. „Was spürst du?", kam die Gegenfrage und ich sah skeptisch zu ihm hoch. „Meinst du irgendetwas AUSSER diesem erdrückenden Gefühl, das einem den Atem raubt und mit jedem Schritt stärker wird?", erwiderte ich und erntete ein Lachen. Na, vielen Dank. Sehr aufbauend. „Konzentrier dich. Such nach der Quelle", forderte mich mein Lehrer auf und ich verdrehte die Augen. Sonst noch was?

Grummelnd schloss ich die Augen und versuchte die Quelle dieses erdrückenden Gefühls zu lokalisieren. Da das allerdings das erste Mal für mich war, die Quelle einer Kraft zu finden, änderte sich für mich gar nichts, außer dass meine Umgebung nun vollkommen schwarz war. Wie beim Training heute Vormittag stand ich gefühlte Minuten mit geschlossenen Augen da und versuchte irgendwie etwas Quellenähnliches zu finden. Doch nix da. Ich gab es schließlich seufzend auf und schüttelte den Kopf. "Das wird nich-...", meinte ich, musste mich aber selbst unterbrechen, da dieses erdrückende Gefühl plötzlich stärker wurde und mir die Luft abschnürte. Gleichzeitig schlang sich etwas um meinen Knöchel und zog mir mit einem Ruck das Bein weg, sodass ich das Gleichgewicht verlor und nach vorne flog. Mir entkam noch ein erstickter Schrei, bevor ich mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden aufkam und in einem rasenden Tempo nach hinten gezogen wurde. Satoru fuhr herum und wollte mir noch helfen, wurde aber plötzlich von bunten, fliegenden Tüchern attackiert.

Ich war so verwirrt von diesem Geschehnis, dass ich mehrmals blinzeln musste, um sicher zu gehen, dass ich richtig sah. Nur leider war nach dem letzten Blinzeln alles um mich herum schwarz. Verwirrt sah ich mich um, aber ich hatte keinen Anhaltspunkt, um herauszufinden, wo ich mich befand. Das Einzige, das ich wusste, war, dass ich kopfüber in der Luft hing. Toll. Wie war das noch gleich? Bleib in meiner Nähe, dann bekommst du nicht einmal einen Kratzer ab? Von wegen. Das werde ich diesem aufgeblasenen Vollpfosten ewig vorhalten!

Sauer stieß ich ein Knurren aus, welches im Raum widerhallte. Da rumhängen und nichts tun, einfach nicht meiner Persönlichkeit entsprach, suchte ich erneut nach einem Anhaltspunkt. Doch es war so dunkel, dass ich nicht einmal meine Hand vor Augen sehen konnte. Deshalb versuchte ich dieses Was-auch-immer, das mich am Knöchel in der Luft hielt, zu erreichen und von meinem Bein zu lösen. Aber natürlich war ich untrainiertes Etwas nicht dazu in der Lage überhaupt in die Nähe meiner Knöchel zu kommen. Frustriert ließ ich mich wieder nach unten baumeln. Toll, was mache ich jetzt? Raiju? Irgendwelche Ideen? Tut mir leid. Klasse. Schnaubend verschränkte ich die Arme und zermarterte mir das Hirn wie ich hier wieder rauskam. Nur nicht lange, da mir der Kopf bald so weh tat, dass ich schon dachte, er würde zu platzen drohen.

Was war ich nur für eine Mimose. Den König der Flüche, wie Satoru meinte Sukunas Kosename, überlebte ich ohne Meckern, aber hier ging ich drauf jammernd wie ein Weichei, weil ich kopfüber versauerte. Das war doch richtig armselig. Und das Letzte, was ich zu Yumika gesagt hatte, war gelogen. Verdammt, ich wünschte, ich könnte noch einmal mit Kaito und Yumi reden, bevor ich abkratze und ihnen sagen, dass sie wirklich die besten Arbeitskollegen waren, die man sich wünschen konnte. Stopp! Reiß dich zusammen, du Jammerlappen! Solange du noch lebst, ist hier gar nichts vorbei. Die Einstellung lob ich mir. Ich atmete einmal tief durch, schloss die Augen und versuchte irgendwie einen Blitz zu erzeugen, der meine Fessel sprengte.

Allerdings war das leichter gesagt als getan, wenn einem das Blut stetig in den Kopf rann. Nur bedauerlicherweise wurde ich innerhalb kürzester Zeit in meiner Konzentration unterbrochen als mich das klackende Angehen eines Lichtes ablenkte.

Lass mich dich nicht liebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt