Als die U-Bahn einfuhr, drängten wir uns mit den Massen in den Waggon. Wir fuhren fünf Stationen weiter und stiegen bei Otemachi aus. Ich kannte die Station. Hier stieg ich immer aus, wenn ich Yumika besuchte. Sie wohnte zu Fuß etwa zehn Minuten entfernt. Plötzlich überkam mich ein ganz schreckliches Gefühl. Oh nein, er würde doch nicht ... aber wie hätte er wissen sollen, wo ... nein, er wäre ihr einfach von der Arbeit nach Hause gefolgt. Innerlich begann ich jeden Gott, der mir in den Sinn kam anzubeten, dass wir nicht auf dem Weg zu Yumika waren.
Meine Gebete wurden anscheinend erhört, denn als wir ans Tageslicht traten, schlugen wir genau die entgegengesetzte Richtung ein als die, in die es zur Wohnung meiner Freundin ging. Danke. Nun da ich eine Sorge weniger hatte, konnte ich mich etwas entspannen und hätte vor Erleichterung fast angefangen zu heulen. Allerdings wäre das wohl nicht die beste Idee gewesen, weshalb ich einfach nur erleichtert die Augen schloss.
"Maya!" Wieso hasst du mich, Schicksal?! Was habe ich dir getan?! Erschrocken riss ich die Augen auf und versuchte nicht allzu geschockt auszusehen als ich die Schwarzhaarige auf mich zueilen sah. Sukuna, der nach wie vor seinen Arm über meinen Schultern liegen hatte, zog mich ein wenig zu sich und flüsterte mir grinsend ins Ohr: "Keine Fehler oder deine kleine Freundin kann die Regenwürmer von untern betrachten." Ich schluckte und versuchte ein möglichst echtes Lächeln aufzusetzen.
"Yumi", meinte ich in meinem besten Plauderton als sie vor mir zum Stehen kam. "Wo warst du? Du bist gestern nicht zur Arbeit gekommen, da bin ich zu dir gefahren, aber da warst du auch nicht. Dann hat Kaito gesagt, dass deine ganzen Sachen noch im Spind liegen. Wir wollten sogar die Polizei einschalten. Kannst du dir vorstellen, was für Sorgen wir uns gemacht haben?", ratterte sie herunter. Ihre leicht geröteten Augen verrieten mir, dass sie wohl geweint hatte. Wenn du nur wüsstest ... meine süße Yumi. Ich lächelte, löste mich aus Sukunas Griff und legte meiner Freundin die Hände auf die Schultern. Wie gern hätte ich ihr jetzt alles erzählt, was mir passiert war und ihr gesagt, sie solle sich in Sicherheit bringen, bevor dieser Irre auf dumme Gedanken kam. Doch alles was ich tat, war sie anzulügen: "Hey, Yumi. Es ist alles gut." Gelogen. "Mir geht es bestens." Gelogen "Meine Sachen liegen nur im Spind, weil ich von einem Freund noch eingeladen wurde und bei ihm übernachtet habe." Gelogen. "Und weil ich zu viel getrunken habe, habe ich gestern den halben Tag verschlafen, da dachte ich mir, dass ich mich jetzt auch nicht mehr abzumelden brauche." Gelogen.
Die Schwarzhaarige sah mich skeptisch an und ich schickte ein Stoßgebet in den Himmel, dass sie mir doch bitte glauben sollte. "Na gut", meinte sie schließlich und ich atmete innerlich erleichtert auf. Im nächsten Moment fand ich mich in einer Umarmung wieder und sie ergänzte: "Tu mir das nie wieder an." Ich tätschelte ihr den Rücken und löste mich aus der Umarmung. Ich schielte kurz zu Sukuna, der alles genauestens beobachtete, ehe ich mich wieder Yumi zuwandte und erklärte: "Du, Yumika ... ich werde heute noch verreisen. Das heißt, ich werde nicht allzu bald wieder zur Arbeit kommen. Glaubst du, du kannst das auch Chin sagen?" Chin war der Restaurantleiter und legte sehr viel Wert auf Familiarität, weshalb wir ihn mit Vornamen ansprechen durften. Sie nickte und sah dann mit gehobener Augenbraun zu Sukuna, ehe sie mich angrinste. "Ist das dein Freund?" Oh Mann, Yumika.
Ich drehte nur kurz meinen Kopf zu meinem Entführer, bevor ich meiner Freundin erklärte: "Äh ... ja. Das ist ... " Verdammt, ich brauchte einen Namen. "... Roy." Roy? "Er ist Amerikaner", zog ich mir etwas aus der Nase und ignorierte Raijus Einwurf. Einfach hoffen, dass sie das schluckt. "Uuuuuhhh", kam grinsend, während sie immer wieder kurz zu "Roy" schaute. "Dann wünsche ich dir und Roy noch viel Spaß", zwinkerte sie mir zu und ich hätte mir so gern die Hand auf die Stirn geschlagen. Allerdings fand ich das in meiner Situation recht unpassend, weshalb ich mich einfach nur augenverdrehend bedankte und ihr einen schönen Tag wünschte. Als Yumika außer Hörweite war, trat Sukuna wieder neben mich und meinte höhnisch: "Gut gemacht." Dann nickte er gerade aus und erklärte mir: "Dort vorne liegt unser Ziel." Tief durchatmend folgte ich ihm über die Straße und in ein Wohngebäude.
Ich war mir nicht sicher, ob Sukuna eine bestimmte Wohnung suchte, aber vor jeder Tür blieb er kurz stehen und schien zu lauschen, ehe er seinen Weg fortsetzte. Irgendwo im vierten Stock drehte er sich schließlich gänzlich zu einer Tür und begann wie irre zu grinsen. Das war der Moment, in dem ich beschloss, einen Sicherheitsabstand einzunehmen. Keine Sekunde später flog die Tür mit der Nummer 42 durch einen Tritt aus den Angeln ... und der irre Blonde hatte noch immer entspannt die Hände in den Hosensäckeln. Erschrocken war ich zusammengezuckt und schaute mit offenstehenden Mund auf den Türrahmen, in dem sich kurz zuvor noch eine Sicherheitstür befunden hatte. Wo zum Teufel war ich hier nur reingeraten?
Ohne mich anzusehen, bedeutete Sukuna mir, ihm zu folgen, während er in die Wohnung ging. Leicht geduckt folgte ich mit Abstand. Mich wunderte es, dass sich keiner der anderen Bewohner blicken ließ, um sich zu erkundigen, ob alles in Ordnung war oder um sich zu beschweren. Aber mit diesem Gedanken konnte ich mich nicht länger beschäftigen, da aus den Tiefen der Wohnräume plötzlich das Schimpfen eines Mannes zu hören war. Langsam näherte ich mich dem Raum, aus dem ich die Stimme vernahm. Doch bevor ich in den Raum sehen konnte, flog etwas Großes von rechts durch den Vorraum in das gegenüberliegende Zimmer. Darauf folgte das Kreischen einer Frau und das Wimmern einer weiteren Person. Mit zitternden Knien schlich ich weiter auf mein Ziel zu.
Als ich schließlich in den Raum sehen konnte, erkannte ich eine schwarzhaarige Frau mit den typischen asiatischen Zügen, die ein kleines Mädchen an sich drückte. Weinend saß sie an der Wand neben einem Sofa und bettelte Sukuna an, der kaum einen Meter im Wohnzimmer stand. Als sie mich sah, richtete sie sich an mich. "Bitte...bitte, helfen Sie uns", flehte sie. Ich schlug die Hände vor den Mund, um ein Schluchzen meinerseits zu ersticken. Rückwärts drängte ich mich an die Wand, konnte allerdings meinen Blick nicht von dem Geschehen im Wohnzimmer abwenden. Da meine Beine sich anfühlten als würden sie mein Gewicht gleich nicht mehr tragen, rutschte ich an der Wand nach unten und versuchte mit Tränen in den Augen nicht wie das letzte Häufchen Elend auszusehen. Immerhin war nicht ich diejenige, die hier terrorisiert wurde ... noch nicht. Zumindest noch nicht so offensichtlich.
Als ich nicht auf ihr Flehen reagierte, wandte sich die Frau wieder an Sukuna, der sich vor sie hinhockte und nun ein unschönes Interesse an der Tochter zu entwickeln schien. Wimmernd drückte die Frau ihr Kind noch enger an sich, um sie vor dem Irren in ihrer Wohnung zu schützen. Doch sie hatte nicht mit der Übermenschlichkeit des Angreifers gerechnet. In einer blitzartigen Geschwindigkeit packte er das Kleid der Tochter und entriss die Kleine ihrer Mutter. Er setzte sie etwas hinter sich auf dem Boden ab und hielt sie am Kragen ihres Kleidchens fest. Die Mutter schrie und wollte nach ihrem Kind greifen, doch Sukuna verhinderte das. Er packte mit der freien Hand das Handgelenk der Frau und drehte es ihr gekonnt auf den Rücken. Erst als ein schauerliches Knacken und der schmerzhafte Aufschrei der Frau erklang, ließ er sie los, woraufhin sie auf die Knie fiel und wimmernd ihren gebrochenen Arm hielt. "Na, na. Einer nach dem anderen", kam von Sukuna. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber ich vermutete, dass er ein Lächeln trug.
Nun wandte er sich dem kleinen Mädchen zu und grinste. Ich könnte wetten, in seinen Augen ein Aufblitzen von Mordlust zu sehen. Mit einem Handgriff hatte er das Genick des Kindes gebrochen und der schlaffe Körper fiel mit verrenktem Kopf zu Boden. Nach wie vor mit den Händen vor dem Mund begann ich zu schreien und drückte mich näher an die Wand. Ich hatte die Hoffnung, dass sie mich vielleicht verschlingen würde, damit ich das nicht länger mitansehen musste. Auch die Mutter sah weinend und schreiend auf die Leiche ihrer kleinen Tochter. Dann schien sich bei ihr jegliches rationale Denken auszuschalten. Wie wildgeworden stürzte sie sich auf Sukuna. Der wich einfach nur mit einem zufriedenen Grinsen jedem Angriff mit Leichtigkeit aus. Nach drei weiteren Schlägen stürzte sich die Frau mit ihrem ganzen Körper auf den Eindringling. Sukuna jedoch drehte sich zur Seite und griff nach ihrer Schulter als sie auf gleich Höhe war. Mit einem Ruck war ihr Schlüsselbein gebrochen und mit zwei Tritten vermutlich auch einige Rippen. Keuchend lag die Frau am Boden. Sukuna hob sie mit Leichtigkeit und einem festen Griff um ihren Hals in die Luft und in einem Zug donnerte die Frau an den Kaminsims. Ich quiekte kurz auf als sie reglos zu Boden fiel. Als Sukuna sich ihr näherte, gab er den Blick auf ihr Gesicht frei, aus welchem mich zwei leere braune Augen ansahen. Erneut begann ich zu schreien und bekam mich gar nicht mehr ein, weil ich das Gefühl hatte, dass mich die Augen der Frau vorwurfsvoll ansahen. So als würde sie sagen wollen: Das ist alles deine Schuld.
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Lass mich dich nicht lieben
FanfictionFluch. Laut Wörterbuch unter anderem definiert als Strafe, Unheil oder Verderben. Eine recht zutreffende Beschreibung, wenn man plötzlich das neue Studienobjekt von Sukuna, dem König der Flüche, ist. Denn genau das passiert Amaya Tojiro. Gerade war...