Mit flachem Atem blickte ich Sukuna in die Augen. In meinem Kopf drehte sich alles als hätte ich einen Kreislaufzusammenbruch. Selbst, wenn Sukuna mir eine Fluchtmöglichkeit gelassen hätte, hätte ich sie nicht ergriffen, da mein Körper absolut unfähig war, sich in irgendeiner Weise zu bewegen. Als sein Kopf meinem immer näherkam, drückte ich mich instinktiv weiter gegen die Mauer. „Wäre es dir lieber nachts mit mir alleine zu sein?", hauchte er mir ins Ohr und mein ganzer Körper wurde von einer Gänsehaut überzogen. Hätte ich doch bloß nichts gesagt. Immerhin wurden meine Aussagen von Sukuna so gut wie immer in einen völlig falschen Zusammenhang gesetzt. „Ich ...", setzte ich an, allerdings versagte meine Stimme komplett, weshalb ich meinen Mund einfach wieder schloss und Sukuna, der mir nun wieder ins Gesicht sah, stattdessen weiterhin mit großen Augen entgegenblickte.
Es kam mir wie eine kleine Unendlichkeit vor, bis Sukuna eine Hand von der Mauer löste und mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Ohne mich aus den Augen zu lassen, wanderte diese Hand zu meiner Wange und fuhr in einer sanften Bewegung darüber, um dann federleicht mein Kinn zu umfassen und mich näher zu ihm zu ziehen. Hätte ich es versucht, wäre ich dieser Berührung mit Leichtigkeit entkommen, doch Sukuna hatte mich völlig in der Hand. Abermals war ich seine willenlose Marionette ... und das wusste er.
Mit genau diesem wissenden Lächeln zog er mich immer weiter zu sich, bis sich unsere Lippen berührten. Im Gegensatz zu letzter Nacht war der Kuss keineswegs fordernd. Er war unerwartet zärtlich ... und kurz. Als der Fluch den Kuss beendete, wallte in mir etwas auf, das sich fast schon, wie Enttäuschung anfühlte. „Wir sollten weiter, wenn wir rechtzeitig zurück sein wollen", stellte Sukuna plötzlich wieder ernst fest, woraufhin ich ihn leicht verwirrt ansah. Ich versteh den Kerl einfach nicht. In einem Moment ist er so ... na ja, so wie gerade eben und im nächsten ist er wieder ernst. Das macht mich fertig.
Noch während ich den Blonden verwirrt anglotzte, legte er mir eine Hand in den Rücken und schob mich aus der Gasse. Seufzend atmete ich durch und griff nach hinten. Gezielt umfasste ich Sukunas Handgelenk, welches ich aus meinem Rücken zog, bevor ich mich umdrehte und dem Fluch in den Weg stellte, während ich zeitgleich sein Handgelenk wieder losließ. „Danke, ich kann alleine gehen", meinte ich gleichzeitig leicht genervt und sah Sukuna fest in die roten Augen. Mir war soeben etwas Bedeutendes klargeworden. Etwas, das ich unter allen Umständen loswerden musste. Überrascht blickte mich der König der Flüche an und blieb stehen.
„Weißt du, ich verstehe ja, dass du unglaublichen Spaß daran hast, mit mir zu spielen, aber da mach ich nicht mit", erklärte ich meinem Gegenüber und drückte ihm immer wieder meinen Zeigefinger gegen die Brust. Augenbrauen hebend schaute Sukuna dabei zu wie ich mit jedem Wort mehr in Rage geriet. „Ich bin nun mal kein Spielzeug, das man irgendwann einfach wieder im Schrank vergraben kann, wenn man keinen Spaß mehr damit hat!", redete ich herumfuchtelnd auf den Fluch ein. „Sukuna ... das schaffe ich nicht. Das ...", mir brach die Stimme und ich schluckte einmal schwer. Wenn ich das jetzt aussprach, würde ich für den König der Flüche zu einer Zielscheibe sondergleichen werden. Vehement versuchte ich die Tränen, die sich ohne Grund anstauten, zurückzuhalten, allerdings rannen mir dennoch einzelne Tropfen die Wange hinunter als ich erneut ansetzte: „Das schafft mein Herz nicht." So jetzt ist es raus. Ich hatte Sukuna gerade mehr oder weniger direkt gesagt, dass ich etwas für ihn empfand. Und das sogar, ohne es gegenüber mir selbst zugegeben zu haben. Muss man auch einmal zusammenbringen.
In dem Versuch meine Tränen zu verbergen, senkte ich den Kopf zu Boden. Ich war so erbärmlich. Warum sagte ich ihm das eigentlich? Meine Gefühle würden Sukuna nicht im Geringsten interessieren. Er war ein Fluch und sah Menschen nur als Werkzeug an. Was hatte ich mir bei der Aktion eigentlich gedacht? ... Gar nichts ... Ich hatte buchstäblich gar nicht gedacht. Ich war einfach nur verwirrt und in Kombination mit der Erkenntnis, dass Sukuna mich lediglich als Zeitvertreib betrachtete, kam diese Reaktion zu Stande. Ich war wirklich erbärmlich. Ich fing ja selbst ohne Grund an zu flennen. Ich konnte nicht mehr tiefer s- ...
„Du denkst zu viel nach. Weißt du das?" erklang die Stimme des Fluches samtig, während er meinen Kopf anhob, sodass ich ihn ansehen musste. Überrascht stellte ich fest, dass Sukunas Züge einen sanften Ausdruck angenommen hatten, während seine Lippen ein wohlwollendes Lächeln umspielte. „Tu dir selbst einen Gefallen und vertrau mir, wenn ich dir sage, dass du nicht nur ein Spielzeug für mich bist", erklärte er mir sanft und keine Sekunde später befanden sich seine Lippen erneut auf meinen. Etwas überrumpelt, wusste ich kurz nicht, wie ich darauf reagieren sollte, ehe ich mich einfach auf den Kuss einließ. Er war anders als die zwei vorherigen. Zärtlich, echt und intensiv.
Die wenigen Sekunden, die der Kuss andauerte, vergingen für mich zähflüssig wie Honig ... und ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn es noch länger gewesen wäre. Doch leider wurden wir von einem Passanten in unserer eigenen kleinen Welt gestört, der meinte die Situation kommentieren zu müssen. „Nehmt euch ein Zimmer!", rief uns jemand zu und wie eine Person schossen unsere Köpfe zu einem schwarzhaarigen Mann mittleren Alters, um diesem einstimmig entgegen zu keifen: „Schnauze!" Völlig verdattert wandte sich der Mann ab und ging seiner Wege, während ich mir ein Kichern nicht verkneifen konnte. Die Situation war gerade einfach zu grotesk, als dass ich sie ernst nehmen konnte. „Na los, sonst stehen wir um Mitternacht noch hier", ließ Sukuna schließlich verlauten und schob mich mit einer Hand im Rücken weiter. Ich wusste nicht, was mich dazu veranlasste Sukuna zu glauben, dass ich nicht nur etwas war, mit dem er sich die Zeit vertreiben konnte. Doch wenn ich mich recht erinnerte, hatte er nie gelogen. Man konnte dem Fluch vieles vorwerfen. Dass er arrogant, selbstgefällig, brutal und kaltherzig war, aber nicht, dass er ein Lügner war. Vielleicht war gerade das die Tatsache, die mich Sukuna wie ein naives Mädchen meinen Glauben schenken ließ.
„Sag mal, wo gehen wir eigentlich hin?", fragte ich nach einigen Metern und drehte meinen Kopf zu dem Fluch, der nach wie vor seine Hand in meinem Rücken liegen hatte. Sukuna wandte sich zu mir und hatte dabei dieses wenig vertrauensvolle Grinsen im Gesicht, dass mich bereits meine Frage bereuen ließ. „Lass dich überraschen", meinte er und ich seufzte leicht genervt: „Wieso sagt man mir das andauernd. Ich hasse Über-", noch während ich vor mich hinmurmelte, wurde ich plötzlich hochgehoben und Sukuna begann in einem halsbrecherischen Tempo durch Tokyo zu rasen, was mich dazu brachte, den Rest meines Satzes zu schreien, „-RASCHUNGEN!!!!" Überrumpelt klammerte ich mich an Sukuna, der mich im Brautstil auf den Armen hatte und ohne Reue einige Passanten nahezu umrannte. Er weiß, aber schon, dass ich alleine sogar schneller war als er, oder?
DU LIEST GERADE
Lass mich dich nicht lieben
FanfictionFluch. Laut Wörterbuch unter anderem definiert als Strafe, Unheil oder Verderben. Eine recht zutreffende Beschreibung, wenn man plötzlich das neue Studienobjekt von Sukuna, dem König der Flüche, ist. Denn genau das passiert Amaya Tojiro. Gerade war...