Der nächste Morgen begann nicht, wie man es sich wünschen würde, mit Sonnenschein und Vogelgezwitscher, sondern mit grauen Wolken, Regen und hupenden Autos. Als der Lärm von draußen durch das geschlossene Fenster zu mir hindurchdrang, drehte ich mich erst grummelnd auf die andere Seite und zog mir die Bettdecke über den Kopf. Doch da das Gehupe nicht aufhörte, schlug ich genervt die Decke zurück, schwang meine Beine über die Bettkante und stapfte miesgelaunt zum Fenster. Sauer riss ich es auf und schrie nach unten: "RUHEEE!!!! ES GIBT LEUTE, DIE UM DIESE ZEIT NOCH SCHLAFEN!! JETZT NEHMT EUER VERDAMMTES GEHUPE UND SCHIEBT ES EUCH SONSTWOHIN!" Die dämlichen Blicke der Autobesitzer, die aus ihren offenen Fenstern sahen, ignorierend knallte ich das Fenster wieder zu, ehe ich bewusst einmal durchatmete und das anhaltende Gehupe auszublenden versuchte. Ich fuhr mir einmal durch die Haare und blieb prompt mit meinen Fingern darin hängen. „Na toll", stieß ich genervt aus und versuchte meine Finger zu befreien, „Das fängt ja gut an."
Grummelnd entknotete ich meine Haare, um meine Finger wieder zu befreien, da fiel mein Blick auf einen Stapel Kleidung. Interessiert sah ich mir die Sachen durch und stellte schnell fest, dass sie wohl für mich gedacht waren. Blitzmerkerin, gab Raiju sarkastisch seinen Senf dazu, woraufhin ich einfach die Augen verdrehte. Mit einem kurzen Kontrollblick auf meine Uniform, die ziemlich zerknittert war, beschloss ich kurzerhand meine Kleidung zu wechseln. Wenn schon meine Haare ein einziges Vogelnest waren, konnte ich wenigstens ordentliche Kleidung anziehen.
So stand ich fünf Minuten später in einer weißen Bluse, einem dunkelbraunen Gilet, schwarzen Jeans und meinen Uniformstiefeln im Raum und hatte noch immer ein riesiges Durcheinander auf meinem Kopf. Denn egal wie oft ich den Raum durchsuchte, ich fand ums Verrecken keine Bürste oder sonst irgendetwas, um meine Haare zu ordnen. Deshalb saß ich schlussendlich auch auf dem Bett und zupfte mir grummelnd meine Haare auseinander, während ich mich darüber aufregte, dass sämtliche Bösewichte anscheinend so perfektes Haar hatten, welches sich nicht verknotete, dass sie keine Bürste benötigten, weshalb ich mich jetzt quälen durfte.
Mit der dementsprechenden Laune öffnete ich auch schließlich die Zimmertür und erwartete erneut durch Sand latschen zu können. Doch nix da. Statt an dem sonnigen Strand stand ich nun im Flur einer billigen Mietwohnung, an dessen Wand bereits die ausgebleichte Farbe abbröselte. Von meiner Tür konnte ich direkt in Esszimmer und Küche sehen, von wo aus mich bereits die ganze Bande an bösartigen Flüchen anstarrte. So steht man doch gerne auf. Das Bedürfnis unterdrückend einfach sofort wieder umzudrehen und die Tür hinter mir zuzuknallen, seufzte ich und murmelte: "Gestern hat mir die Wohnung besser gefallen."
Ich ließ die Zimmertür ins Schloss fallen und schlurfte in die Küche, während jede noch so kleine Bewegung von mir akribisch verfolgt wurde. Als ich den Tisch umrundete, um mir einen Sitzplatz möglichst weit weg von Sukuna zu sichern, und den König der Flüche dabei geflissentlich ignorierte, keifte ich schließlich: "Hört auf zu glotzen. Ich bin immerhin nicht der erste Mensch, den ihr zu Gesicht bekommt." Mit diesen Worten plumpste ich neben den grauhaarigen Fluch, der fröhlich seine Frühstücksflocken mit Milch ertränkte, und versuchte nicht rot anzulaufen, wie eine überreife Tomate, weil Sukuna mich einfach ungeniert weiteranstarrte. Deshalb noch ein Stück schlechter gelaunt zog ich meinem Sitznachbarn das Frühstück unter der Nase weg, kaum dass die Milchpackung abgesetzt war, und begann zu essen. Das Flickengesicht sah erst einmal geschockt auf den leeren Platz vor sich und dann zu mir. Das wiederholte er einige Male stetig schneller werdend, bis sein Blick an mir haften blieb und er beleidigt meinte: "Hey, mein Frühstück."
Unbeeindruckt schluckte ich meinen Bissen, während der Schwarzhaarige in der Priesterkutte belustigt verlauten ließ: "Das Mädchen könnte ja fast schon ein Fluch sein." Skeptisch sah ich zu dem Kerl und hob meinen Löffel. "Flüche entstehen aus den negativen Gefühlen der Menschen. Das heißt, sie spiegeln einfach nur die Grausamkeit der Menschen wider, wodurch Menschen und Flüche, theoretisch gesehen, gleich schlecht sind. Daher ...", erläuterte ich und ließ den Satz mit einem Schulterzucken unvollendet, ehe ich anfügte, "Und wenn das jetzt geklärt ist, würde ich gerne in Ruhe mein Frühstück weiteressen." Während ich mich wieder der Schüssel vor mir widmete, nörgelte der Fluch neben mir: "Das ist mein Frühstück." Das Flickengesicht nicht sonderlich beachtend tauchte ich den Löffel in die Schüssel und erklärte neunmalklug: "Wer mich entführen kann, kann mir auch sein Essen überlassen", ich stopfte mir den Löffel in den Mund, "Nennt man im Volksmund auch Karma." Ungläubig sah mich der Grauhaarige mit offenem Mund an, während ich unberührt weiteraß.
"Tja, Mahito, da musst du dich wohl geschlagen geben, was?", grinste der Vulkanzyklop und entblößte dabei seine schwarzen Zähne, was den Fluch namens Mahito noch mehr schmollen ließ. Und weil ich gerade besonders gut drauf war, beschloss ich auch zu dem Typen meinen Senf dazuzugeben ... außerdem waren das alles Flüche ... und Männer noch dazu. Die hatten es nicht anders verdient. "Ach ja", meinte ich also als hätte ich noch etwas vergessen und deutete mit dem Löffel auf den Vulkankopf, "Hat dir eigentlich noch nie jemand gesagt, dass Leoprint das letzte Mal in den Achtzigern in war? Einmal abgesehen davon, dass es selbst damals grässlich ausgesehen hat und dir ohnehin nicht steht."
Während ich dem Fluch vollkommen ernst entgegenblickte, fiel Mahito vor Lachen fast vom Stuhl und der Angesprochene begann langsam aber sicher zu brodeln ... wortwörtlich. Aus seinem Kopf spritzten Lavatropfen, die zischend auf dem Boden landeten und ich hätte wetten können, dass sein Kopf gleich explodieren würde. Aber das tat er nicht. Stattdessen sprang er vor und schrie aufgebracht: "Wie kannst du es wagen, mich zu beleidigen, du mickriger Mensch!" Unterdessen fing seine Hand Feuer, woraufhin ich schnellstens so viel Abstand wie nur möglich zwischen uns brachte. Nur leider war "so viel Abstand wie möglich" gerade mal drei Meter mehr als zuvor. Daher schaute ich dem Hitzkopf einfach nur erschrocken entgegen, wie er in einen Satz über den Tisch sprang und so die Distanz halbierte.
Rauchend vor Zorn wollte er auf mich losgehen, stockte aber plötzlich mit vor Schreck geweitetem Auge. "Untersteh dich", erklang Sukunas drohende Stimme und im nächsten Moment krachte der Vulkanfluch durch das einzige Fenster in der Küche. Noch verarbeitend, was soeben passiert war, starrte ich Sukuna an, wie er gelangweilt aus dem zerstören Fenster sah, während alle anderen ihn mit einem gehörigen Batzen Respekt musterten. Und das war der Moment, in dem mir etwas Entscheidendes klar wurde. Nämlich, dass Sukuna meine beste Chance war, hier wieder heil herauszukommen. Niemand würde es wagen mir zu nahe zu kommen, solange Sukuna mich als sein Eigentum ansah ... und so blöd das jetzt klang, aber irgendwie gefiel mir die Vorstellung.
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Lass mich dich nicht lieben
FanfictionFluch. Laut Wörterbuch unter anderem definiert als Strafe, Unheil oder Verderben. Eine recht zutreffende Beschreibung, wenn man plötzlich das neue Studienobjekt von Sukuna, dem König der Flüche, ist. Denn genau das passiert Amaya Tojiro. Gerade war...