Kapitel 7

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Gestern hatte ich mich nach dem Skandal in der ersten Pause später noch mit Lionel für heute zum Essen verabredet. Keiner von uns beiden hat das Thema mit Rose angesprochen, obwohl ich sicher bin, dass er die Fotos genauso gesehen hat, wie jeder andere. Wenigstens hat er genug Anstand, nicht weiter darüber zu reden und es so nur noch schlimmer zu machen.
Da er etwas länger Schule hat als ich, wegen de, Training, warte ich einfach nach meinem Unterricht noch etwas am Sportplatz. Meine Zeit vertreib ich mir abwechselnd mit dem Zugucken beim Training, auch wenn das nach einer Zeit langweilig wird und dem Arbeiten an dem Ordner für Lionels Überraschungsparty. Grade versuche ich die Essenssorten und Gerichte rauszusuchen, die nicht nur er isst, sondern auch andere und nicht allzu zuckerhaltig und fettig sind. Nach beinahe Zwei Stunden hab ich mit für das einfachste Gericht der Welt entschieden, Pasta und zum Nachtisch Schokotorte, weil die Zwei Sachen wohl jeder mag. Und dann ist das Training auch endlich zu ende und die verschwitzten Typen treten ihren Weg zur Umkleide an.

Ich warte die restlichen Zehn Minuten vor der dem Eingang der Umkleide. Lionel kommt mit als letzter raus, die blonden Haare nass vom Wasser, die große Sporttasche über die Schulter geworfen. Als er mich sieht, kommt er sofort auf mich zu und legt mir den Arm über die Schultern. „Hat dir gefallen, was du grad gesehen hast?", fragt er mit einem schmierigen Lächeln, mit dem er mich immer wieder kriegt. „Du meinst die Dreißig schwitzenden Jungs, die schreien, als würden sie grad alle Kinder kriegen? ja, ich hab's genossen." Lionel grinst noch breiter, sodass die Zähne zum Vorschein kommen. Dann drückt er mir einen Kuss auf den Scheitel. Und ich schließe genießend die Augen. Das hab ich gebraucht nach den letzten Tagen. Genau diesen Moment. Dieses Lächeln, dieser Kuss. All das, erinnert mich wieder daran, warum ich mit ihm zusammen bin.

„Und wohin gehen wir essen?"
„Worauf hast du Lust?", entgegnet er einfach locker und führt mich in Richtung seines Autos. Eigentlich hab ich Lust aus Spanisch und noch mehr Lust in dem Restaurant zu essen, in dem meine Mutter arbeitet, aber ich weiß, dass es da Lionel nicht gefällt, deswegen schlag ich Pizza vor. Damit ist er natürlich einverstanden.

Beim Auto angekommen, wirft er die Sporttasche auf die Rückbank und ich und er schmeißen und jeweils auf Fahr- und Beifahrersitz. Ich stell das Radio ein und genieß die Fahrt zum Restaurant. Der starke Duft seines Parfums kitzelt so sehr in meiner Nase, dass ich irgendwann mein Fenster runter mache, um etwas frische Luft ins Auto zu lassen, als ich mich zurück zu ihm wende, fällt mir fast der Mund auf. „Hast du sie noch alle?", fahr ich ihn an und reiße ihm sofort sein Handy aus der Hand, dass er unauffällig unterm Lenkrad gehalten hat. „Nicht, man Oliv, das war wichtig.", beschwert er sich und versucht es zurück zu bekommen, aber ich hebe es sofort in die Höhe und weit von ihm weg. „Augen auf die Straße, du spinnst doch. Ich lass mich nicht von dir umbringen, nur weil dir einer deiner Kumpels geschrieben hat."
„Es tut mir ja leid, aber es war wichtig.", wiederholt er nochmal. „Ach ja?" Ich ziehe eine Augenbraue hoch und lass das Handy ein Stück runter.

Als er bemerkt, was ich vor hab, versucht er es mich sofort wieder aus der Hand zu nehmen. „Oliv, lass das. Ich meins ernst." Seine Strenge überrascht mich. „Was hast du denn zu ver-" Ich breche ab, als ich sehe, was ihn von der Fahrt abgelenkt hat und es wert war, einen Unfall zu riskieren. Als ich böse zu ihm rüber gucke, hat er den Kopf auf dem Handballen gegen die Scheibe gelegt und seufzt wehleidig. „Ich hab gesagt, du sollst nicht gucken."
„Was besseres fällt dir nicht ein?", gebe ich zickig zurück und lösche sofort die Bilder, die ihm grad von irgendjemanden zugeschickt worden sind. Ich hab mir die rote Überschrift nicht einmal ganz angeschaut, aber als ich die rotblonden Haare und die viele nackte Haut gesehen habe, wusste ich, dass es sich dabei bestimmt nicht um nette Worte handelt.

„Olivia, bitte, ich wusste nicht, was er mir geschickt hat ja? Ich hab's einfach nur geöffnet."
„Halt den Mund, wie oft hast du dir dir Fotos schon angeguckt? Oder bekommen? Oh,Gott."
„Was?"
„Hast du sie etwa auch verschickt!?" Lionel haut frustriert und wütend auf Lenkrad. „Verdammt, Oliv, was hältst du von mir, natürlich nicht! Ich kann doch nicht kontrollieren, was ich geschickt bekomme. Jeder hat diese Bilder auf seinem Handy, nicht nur ich."
„Ich nicht.", teile ich ihm mit und er schließt die Finger etwas fester ums Lenkrad. „Jeder kennt sie, jeder hat sie gesehen, du kannst deswegen nicht sauer auf mich sein."

„Natürlich kann ich das! Diese Fotos haben Roses Leben zerstört! Und du guckst die dir bei einer fahrt an, während ich, deine Freundin auch noch neben dir sitze." Er schluckt und greift das Lenkrad fester und fester. „Es ist scheiße, was passiert ist, aber daran kannst du mir jetzt nicht die Schuld geben. Rose ist auch selbst ein bisschen Schuld, findest du nicht? Wenn sie sich darauf einlässt? Und du kannst mir nicht sagen, sie hat nicht bemerkt, dass Jake von ihr Fotos gemacht hat." Jake?! Er weiß, wer das war und hat nichts gesagt? Ihn nicht zur Rede gestellt?
Die Wut hat sich bereits in mich gefressen und so schnell kann ich sie nicht wieder los lassen.

„Halt den Wagen." Lionel schaut blitzschnell zu mir. „Wie bitte?"
„Ich hab gesagt, halt den Wagen."
„Oliv, das kann jetzt nicht dein Ernst sein."
„Lionel, teste mich nicht. Halt diesen Wagen, sofort." Er knirscht mit den Zähnen, dann fährt er rechts ran. Ich schnall mich ab, werfe mir den Rucksack über die Schulter und steige aus. bevor ich die Tür zu knalle, bleibe ich da stehen und gucke nochmal zu ihm. „Denk mal darüber nach, was ihr da angetan worden ist. Und wenn du gecheckt hast, reden wir." Dann knall ich sie richtig zu. Wir gucken und noch einen Moment an, dann haut Lionel auf das Lenkrad und fährt weg.

Zum Glück sind wir nicht all zu weit entfernt von Zuhause, zwar eine ganze Strecke zu Fuß, ungefähr 45 Minuten, aber ich konnte da nicht im Auto sitzen bleiben. Wie schnell sich meine gute Laune ändern konnte, was beeindruckend, aber kein Wunder, bei seinem Verhalten. Wie zum Teufel kam er darauf niemanden was zu sagen, dann könnten sich wenigstens alle auf Jake stürzen, der Typ, der die Fotos gemacht und somit wahrscheinlich auch veröffentlich hat. Jake, ein Freund von Lionel und ein Spieler im Footballteam, den jeder auf unsere Schule kennt, genau wie Rose jetzt. Ich könnt Lionel echt eine dafür scheuern, wahrscheinlich hätt ich das sogar getan, wäre ich nicht sofort aus dem Auto rausgekommen.

Sofort steigt auch ein weiteres mulmiges Gefühl in mir hoch, wie konnte sich Lionel so verändern, dass ich es nicht gemärkt habe? Oder war er schon immer so? Nein, ich bin mir sicher, dass der Lionel, in den ich mich vor einem Jahr verliebt habe, nicht dazu im Stande gewesen wäre, sich bearbeitete Nudes von einem Mädchen aus seiner Schule anzugucken, die auch noch einer seiner Freunde geschossen hat. Jedenfalls hoffe ich, dass er das nicht getan hätte und noch mehr hoffe ich, dass er wirklich darüber nachdenkt und wirklich begreift wie ekelhaft diese Aktion ist, denn wenn nicht, weiß ich nicht, wie wir weiter machen sollen.

Meine Gedanken kreisen und kreisen und so vergehen die 45 Minuten wie eine und bald lande ich vor der Haustür. Durchgeschwitzt vom Laufen in der prallen Sonne, Füße nass und schmerzend und einem Bauch, der vor Hunger, Sorge und Wut gleichermaßen weh tut.
Ich muss mit Lionel reden und alles was er sagt, wird entscheidend sein für unsere Zukunft. Der Ordner in meinem Rucksack fühlt sich mit einem Mal noch viel schwerer an, als sonst.

Farbenfroh |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt