Kapitel 19

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Wenn ich dachte das Gespräch am Sonntag mit Lionels und Ezras scheiß Reaktion wären mein Tiefpunkt und unangenehmstes Highlight für die letzten und nächsten Tagen, hab ich mich geirrt. Natürlich bin ich noch immer total aufgewühlt, schließlich ist Freitag, der Tag, an dem alles den Bach runter ging, noch gar nicht so lange her. Doch anzunehmen, ich würd alleine leiden und meine Trennung mit Lionel im Stillen verarbeiten, war mein größter Fehler und am Montag in der Schule wird es mir klar. Denn ich bin nicht irgendein Mädchen auf irgendeiner Schule mit irgendeinem Ex-Freund, nein, ich bin die spanische Neue mit den guten Noten auf der rich-kids Schule mit dem Ex-Freund, der nicht nur sexy Footballer ist, sondern auch noch aus der tollen Familie, nach der die Schule benannt wurde.

Schon auf dem Parkplatz hab ich das Gefühl tausende von Augen liegen auf mir und als ich erst allein, dann mit Hannah an meiner Seite durch den Flur laufe sind es noch mehr Blicke, die sich mir unangenehm in den Rücken bohren. Als wir an meinem Spind angucken, flucht Hannah, bevor ich sehen kann, was sie so in Aufregung bringt. Sie schiebt mich zur Seite, springt hervor und wischt ohne drüber nach zu denken mit dem weißen Ärmel ihres Bluse über die rote Schrift. Sie rubbelt immer weiter darüber, bis ich ihr die Hand auf die Schulter lege und sie inne hält. „Hannah, ist okay, lass gut sein. Du ruinierst die deine Bluse."

„Scheiß auf meine Bluse, scheiß auf Lio, scheiß auf jeden hier." Sie wischt noch einmal über die Tür meines Spindes, dann zieht sie den Arm weg. Sie hat zwar gut gerubbelt und meinen halben Spind mit dem roten Lippenstift verschmiert, mit dem etwas angeschrieben wurde, aber was da steht oder stand, kann ich trotzdem noch ohne Anstrengung lesen. In einem knall roten Ton, der fast schon ins pinke geht steht in großen geschwungenen Buchstaben das Wort Schlampe.
Das ist definitiv eine Mädchen Schrift, nur fällt mir auf Anhieb keine ein, die einen triftigen Grund hätte, sowas zu schreiben. Vielleicht brauchen die Leute auf meiner Schule aber auch gar keinen Grund, vielleicht reicht ihnen der Tratsch und das Drama, das solche Aktionen mit sich bringt.

Einen Moment starre ich auf den Schriftzug, dann schüttle ich mich und öffne den Spind. Ich hab vor, mich davon nicht runter ziehen zu lassen. Von einer solch feigen Aktion darf ich mich einfach nicht schlecht fühlen. Als ich alle Sachen hab, dich ich für die nächsten Stunden brauch, schlag ich den Spind vielleicht etwas zu doll als nötig zu. „Lass uns los.", murmle ich Hannah zu, die mich abschätzend mustert, dann aber nickt und mir folgt. Natürlich die Blicke der anderen auch und im Klassenzimmer bin ich sofort der Mittelpunkt. Während ein paar mit dem Tuscheln aufhören, als sie mich sehen, fangen andere erst an. Hannah schiebt mich vorsichtig nach vorn, ich war im Türrahmen stehen geblieben. Ich nicke und zum ersten Mal seit meiner ersten Woche hier fühlen sich meine Schritte bis zu meinem Platz wie die schwersten Schritte in meinem Leben an. Als ich endlich sitze, kann ich erstmal durchatmen.

Hinter und tuscheln erneut zwei, zwei Mädels aus dem Cheerleader Team. Bevor ich was sagen kann, wirbelt Hannah schon nach hinten um und wirft mir ihre Locken dabei ins Gesicht. „Ist euer Leben wirklich so langweilig und traurig, dass ihr über das von jemand anderem lästern müsst? Reißt euch zusammen und kümmert euch um euren eignen Scheiß." Beide sehen sofort blasser sis und sind still. Hannah kann echt überzeugend sein, obwohl einschüchternd in diesem Kontext wohl das bessere Wort wäre. „Lass gut sein.", beruhige ich sie und mich gleichermaßen. „Ich lass gar nichts sein, diese Arschlöcher kommen Mich sehe mal.", knurrt sie nochmal und rückt wieder nach vorn. Ich schmunzle leicht und hol schon mal meinen College Block aus meinem Rucksack. Sobald die Lehrerin den Raum betritt, tritt wenigstens etwas Stille ein. Zwar sind hier ein Haufen reicher Arschlöcher, die sich keine Sorgen um Schlechte Noten oder den Ärger von Lehrern machen müssen, aber unsere Stufe hat noch so viel Courage dem Unterricht zu folgen.

Der Schultag ist zwar hart, aber erst auf dem Parkplatz kommt es zur Eskalation. Während ich schon hunderten von Gerüchten heute entgegen treten musste, ist es jetzt keine andere als Lily, die neben meinen Auto steht. Direkt neben meinen Auto. Ich seufze und umfasse meine Tasche fester, bevor ich mich Lily und zwei ihrer Tanz-Freundinnen nähere, die sich ausgerechnet vor meiner Fahrertür versammelt haben. Das kann doch kein Zufall sein, murre ich in Gedanken. Leider stehen unsere Autos so nah beieinander, dass ich nicht durch passe. Besonders nicht mit den Mädels da zwischen. Ich bleibe nur ein paar Schritte vor ihnen stehen, räuspere mich und muss sofort den Drang unterdrücken, wieder um zu drehen, als all die schön bunt geschminkten Augen auf mir haften. „Ich muss da durch.", press ich hervor. Die Augen der rot Haarigen, Gina war ihr Name, gleiten langsam über mich und der Ekel in ihrem Blick und falschen Lächeln ist kaum zu übersehen. „Guck mal einer an.", murmelt die neben Gina in einem seltsamen Ton. Als sich keiner der Drei bewegt, heb ich die Augenbrauen ein Stück. „Das war ein Hinweis darauf, dass ihr aus dem Weg müsst.", versuche ich es noch einmal. „Ich weiß bis heute nicht, was Lio an ihr fand.", meint Gina und guckt dabei weiter nur auf mich. „Nh, so... unförmig und nichtsaussagend.", bestätigt die andere.

Schön, ab jetzt ist es mir richtig klar, Lio war hier während meiner Zeit sowas wie mein Schutzengel sowas wie mein Schild, der dafür gesorgt hat, das mich keiner anmacht oder über mich lästert und jetzt, wo wir getrennt sind, sind diese Zeiten auch vorbei. Und ich hab nicht vor mich nochmal auf jemand anderen so sehr zu stützen, weder auf jemanden wie Lionel, noch Hannah. „Ich hab jetzt echt genug, geht zur Seite. Ich muss los."
„Sieh mal einer an, unserer kleines Pummelchen kann auch reden, ohne eine männliche Begleitung."
„Und es dreht sich mal nicht um Mathe."
„Wie konntest du es nur so lang mit ihr aushalten, Lily?" Lily, die noch kein Wort gesagt hat und mir verschränkten Armen an ihrem Auto lehnt, presst jetzt die rosa perfekten Lippen aufeinander und sieht gar nicht so amüsiert aus, wie ihre beiden Freundinnen. „Leute, das reicht jetzt, kommt." Ich hätt fast gelacht, als sie mich tatsächlich irgendwie versucht in Schutz zu nehmen, dabei ist das ganze doch erst mit ihrer Schuld. Natürlich ich weiß, dass sie nicht meine Freundin war und sie mich nicht betrogen hat, aber sie war meine beste Freundin, sie wusste dass ich mir Lionel zusammen war und in diesem Sinne hat sie mich ebenfalls betrogen und hintergangen. Ich werd nur noch wütender.

„Ich kann das schon allein.", gifte ich Lily an und schieb Gina einfach unsacht zur Seite. Erst stößt sie unsanft gehen Lilys Auto, dann hüpft sie mach hinten als ob ich die Pest oder so hätte. „Was fällt dir ein, Bitch!", schreit sie so laut, dass es jeder auf den Parkplatz hören kann. „Nenn mich wie du willst, aber nicht ich bin hier die Bitch oder Schlampe oder sonst wer, dreht euch um. Dreht euch zu eurer Freundin, die einfach so mit vergebenen Typen schläft. Ich hoffe so sehe, dass sie euch beiden genau das gleiche antut. Und jetzt weg mit euch." Ich steige hastig ins Auto, kann noch Gemurmel wahrnehmen, aber keine klaren Wörter herausfiltern. Als ich aus der Lücke raus fahr, gucke ich noch einmal zu Lily, die mich mit großen blauen Augen verfolgt. Ihr Blick wirkt traurig, sie ist blass und während ihre Freundinnen empört lästern und tratschen, steht sie still daneben und guckt mir so lang nach, bis ich weg bin.


„Kannst du heut für Sarah einspringen, Oliv? Sie ist krank und wir finden auf die Schnelle keine Aushilfe."
„Mum, du weißt-"
„Ja, ich weiß du machst es nicht gerne, wenn es so kurzfristig ist, aber ich würd dich nicht fragen, wenn es nicht wirklich wichtig ist." Meine Mum wirft mir einen Mama-Hundeblick von der Tür zu. Ich press die Lippen fest aufeinander und seufze dann laut und werfe meinen Kopf theatralisch nach hinten ins Kissen. Die beiden Schultage in dieser Woche waren anstrengender als alle anderen zusammen und das obwohl wir die letzten Tagen dieses Schuljahres haben.
„Danke, Schatz. Te amo." Ich hab dich lieb. Bevor ich weiß, wie mir geschieht läuft meine Mum auf Bett zu, nimmt meine Wangen in ihre Hände und gibt mir einen langen Schmatzer auf die Stirn. „Mamá, déjalo, Dios mío es bueno."
Mama, lass es, mein Gott ist gut. Ich versuche mich aus ihr Griff heraus zu winden, aber sie hält mich und gibt mir schließlich noch einen Kuss. „Zieh dich um, ich fahr in einer halben Stunde los, ja?" Ich nicke und sie zieht sich zurück, an der Tür wirft sie mir noch einmal einen Luftkuss zu, dann verschwinden sie und ihre dunklen Wellen.

Ich guck noch einmal auf mein Handy, als ich keine neuen Nachriten sehe, stehe ich auf, um mich um zu ziehen. Ich bin schon öfters fürs Kellnern im Restaurant eingesprungen. Die Besitzerin kennt mich und liebt meine Mum und hat auch nur wenige Angestellte, also gibt sie mir manchmal die Chance, etwas dazu zu verdienen, wenn sie eine Aushilfe braucht, wie heute. Ich tausche meine Jogginghose, die ich mir nach der Schule rüber gezogen habe gegen eine schwarze Jeans und dazu ein weißen einfachen Shirt. Die rot-blaue Schürze des Restaurants vervollständigt mein Outfit sobald ich und meine Mum am Restaurant ankommen. Der Laden öffnet und Fünfzehn Minuten später bedien ich die ersten zwei Plätze. Das Restaurant ist klein und lebt hauptsächlich von Stammkunden, deren Namen ich in manchen Fällen sogar schon kenne.

Die ersten beiden Stunden verfliegen und nachdem mir ein Kind Fanta auf die Schürze geschüttet hat und ein anderes mich mit Soße bespritzt hat, sehe ich schon total fertig aus und gehe eher unmotiviert zum nächsten Gast. Der hat sich an den kurzen Tresen gesetzt, für den ich auch verantwortlich bin. Während ich ihn mir nähere, versuche ich noch mit einem feuchten Tuch den roten Fleck von meiner Schürze zu schrubben. Mein Blick bleibt solang gesenkt, bis ich ihn heben muss, weil ich beim Platz hinterm Tresen angekommen bin.
„Guten Tag, was kann ich Ihnen denn bringen?"

„Ein Wasser und zwei Minuten deiner Zeit."

Mir fallen die Augen kurz aus dem Kopf. „Ezra?!"

Farbenfroh |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt