Kapitel 16

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Ich starre und starre. Starre Lionel an, wie er Lily vögelt und das, was in Wirklichkeit nur wenige Sekunden sind, fühlt sich für mich drei schmerzhafte Stunden an. Als Lionel es wagt den Mund auf zu machen, hat sich das Bild der beiden sich schon fest in mein Hirn gebrannt.
„Olivia", ist das einzige, was er sagt. Nur Olivia. Nur mein Name, mehr fällt ihm nicht ein. Lily hat sich mittlerweile zur Seite gerollt und sich mit einer Decke versucht zu bedecken. Jetzt ist es eh zu spät, würd ich gern sagen, aber kein Wort kommt heraus. Als weder ich noch einer der beiden sich weiter bewegt, hört endlich meine Schockstarre auf. Ohne nur ein Wort zu sagen, eile ich mit drei großen Schritten aus seinem Zimmer und ziehe die Tür hinter mir mit der Türklinke, die ich, die ganze Zeit über fest in der Hand hatte, laut zu.

Als die Tür zu ist, bleib ich nochmal stehen. Versuch zu verstehen, was grade passiert ist, aber da gibt es einfach nichts zu verstehen. Es ist alles total absurd. Und scheiße, verdammt scheiße. Über mich bricht ein Gefühl des Ekels, Scham, Wut und Traurigkeit herein, dem ich kaum stand halten kann. Meine Knie und Hände zittern, mein Herzschlag ist noch immer auf Hochturen und ich bin mir sicher, das jegliche Farbe mein Gesicht verlassen hat.

Ich muss hier weg.

Ich drehe mich zur Treppe um, der Blick, der ins Nichts geht, stets nach unten gehalten. Ich will nicht, dass mich irgendjemand so sieht, dass irgendjemand sieht, wie verletzt oder schwach ich mich grad fühle, wie gedemütigt. Meine wackligen, aber wenigstens schnellen Schritte tragen mich zum Ansatz der Treppe, doch ich kann nicht mal die erste runtergehen, denn ein fester Körper prallt gegen mich. Oder besser gesagt, ich gegen ihn. Ich verlier beinahe das Gleichgewicht, aber zwei große Hände fassen mich sofort um die Oberarme, um mich aufrecht zu halten. „Mach wenigstens die Augen auf beim Laufen." Ich wusste schon wer es war, als ich gegen Ezra geprallt war. Sein frischer, leichterer Duft, diese erstaunliche Größe, die festen, sehnigen Hände, die breite Brust.

Als ich zum ersten Mal den Blick heb, glaub ich dass mir vielleicht doch Tränen gekommen sind, denn plötzlich brennen meine Augen ganz schlimm. Aus Ezras sonst so hart gemeißelten Gesicht wird mit einem Mal eine wirklich menschliche Miene, sein Blick wirkt weich und seine Hände, die mich halten zieht er nicht weg. „Was ist passiert?", ist alles was er fragt. Ja, was ist passiert? Dein Bruder betrügt mich grad mit einer meiner besten Freundinnen auf einer Geburtstagsparty, die ich für ihn geschmissen habe! Aber kein Mucks kommt raus, stattdessen versuche ich mich aus seinem Griff zu winden. Mein Oberkörper dreht sich, meine Arme kämpfen gegen sein, aber er hält mich an Ort und Stelle. Ich hab keine Chance gegen ihn.

„Hey, hey, rede mit mir. Hast du zu viel getrunken? Geht's dir nicht gut? Hat dich jemand angefasst?" Ich glaub es nicht, aber ich höre da tatsächlich sowas wie Sorge in seiner Stimme. „Lio...", krächze ich leise, glaube nicht mal, dass Ezra mich verstanden hat, aber er beugt sich etwas runter, um mich besser angucken zu können. „Was ist mit ihm? Was hat er gemacht? Hat er dir irgendwas angetan?" Ich schüttle schnell den Kopf, obwohl er ja doch mir irgendwas angetan hat. „Er hat grad Sex.", bringe ich hervor und kann Ezra dabei einfach nicht in die Augen gucken. Ich spüre wie sein Griff kurz schwächer wird und nutze die Gelegenheit sofort. Ich schaffe es tatsächlich mich unter seinem Arm hindurch bis zur Treppe hervor zu arbeiten, aber weiter als den einen Schritt komme ich auch jetzt nicht.

Dieses Mal legt sich seine Hand um mein Handgelenk und zieht mich so fest an sich, dass ich wieder gegen seine Brust pralle. Und als mein Kopf seitlich auf seiner harten Brust liegt, meine Brust sich an seinen Oberkörper schmiegt und sich dann noch seine andere Hand breit auf die Mitte meines Rücken legt, atme ich so zittrig ein und aus, dass es sich wie Schuchzer anhört. Ich versuch mich noch einmal weg zu kämpfen. Um Gottes Willen ich kann hier nicht in den Armen von Ezra weinen. Aber seine Hand hinter mir drückt mich an sich. „Lass mich gehen.", fordere ich eher schwach und mit einer brechenden Stimme. Seine Hand bleibt und dann gebe ich den Kampf auf.

Farbenfroh |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt