Kapitel 21

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Eine halbe Stunde später laufe ich wieder auf Ezra zu. Sein Essen in der einen Hand, sein Getränk in der anderen und meine Überwältigung noch immer fett ins Gesicht geschrieben. Die dreißig Minuten haben definitiv nicht gereicht, um zu verarbeiten, was vorhin passiert ist, geschweige denn nur ein bisschen zu verstehen, was er wirklich, ich meine wirklich will.
Eine Chance, meinte er, aber ich bin nicht das Mädchen, das man um Chancen bittet und er nicht der Junge, der sich dazu abgibt zu bitten. In keiner Welt und niemals. In welches Universum muss ich gefallen sein, dass dann doch genau das passiert?
Mein Plan, ruhig zu bleiben, einfach durch zu atmen und alles völlig cool abzuspielen, lasse ich wieder fallen, als seine schönen Augen auf mir landen, bevor ich ihn erreicht habe.
Ich muss mich genau konzentrieren, einen Fuß vor den anderen zu setzen, um ja nicht zu stolpern.

Ezras Augen leuchten, als ich da bin und den Teller vor seiner Nase ab setze. „Das sieht köstlich aus und wo du-" Ich bin weg, bevor er was weiter sagen kann. Ich hab so schnell kehrt gemacht, dass ich dieses Mal wirklich fast aufs Maul geflogen wäre. „Toll, das war total cool.", zische ich mich selbst an, während ich meinen Blick strickt auf den geputzten Boden halte. Das mit dem normal reden und cool abtun, muss ich nochmal üben, aber ich konnte dem Kribbeln im Bauch und dem seltsamen Gefühl in meinem Blut nicht stand halten, als ich ihm so nah gegenüberstand und wusste, dass er mit mir reden wollte.

Ich brauchte einfach noch ein wenig Zeit, Vorbereitungszeit, genau. Doch die Zeit, in der ich andere Tische bediene, bis ich schließlich doch irgendwann wieder an die Theke zu ihm muss, vergeht viel zu schnell. „Das vorhin hat wohl nicht ganz so funktioniert, wie ich es mir erhofft habe.", sagt Ezra, als ich wieder vor ihm stehe. Dieses Mal presse ich die Handflächen gegen meine Schenkel, um mich beherrschen zu können und bete, dass ich total normal rüber komme. Am besten soll er auch ganz schnell vergessen, wie schnell ich vorher abgehauen bin oder wie nervös ich bestimmt aussah. „Ich hab doch gesagt, dass ich hier arbeiten muss." Das bringe ich erstaunlich normal und fest rüber. Noch mal Glück gehabt. Ezra lehnt sich etwas in seinem Barhocker nach vorn, die Ellbogen seiner starken Arme auf die steinerne Oberfläche gestützt.
„Stimmt, hast du. Es war auch nicht meine Intention dich davon abzuhalten." Ich muss einfach eine Augenbraue hoch ziehen.

„Warum tauchst du dann hier auf?"
„Was? Bring ich dich etwas so aus der Fassung?" Er scheint das amüsant zu finden. Mir fällt sein etwas hochgezogener Mundwinkel auf. Das, was bei ihm schon einem Lachen gleicht. „Halte ich dich etwa nur mit meiner bloßen Anwesenheit hab, sich auf die Arbeit zu konzentrieren." Ich will den Mund aufmachen, aber noch fällt mir kein guter Konter ein. „Ich... nein!", platz ich plötzlich raus und meine Hände lockern sich etwas. „Schade, die Wirkung hätt ich wirklich gern.", überlegt er laut und mustert mich intensiver, als würde ihm tatsächlich gefallen, was er sieht. Anders als bei manch andere Männern, die mich angucken, kommt in mir nicht der Drang auf, die Arme zu verschränken oder irgendwas zu verbergen, im Gegenteil, ich gehe sogar unauffällig einen Schritt auf den Tresen zu, der uns beide trennt.

„Komm, hol deine Sachen, ich fahr dich nach Hause." Jetzt bin ich wieder verwirrt. „Was? Ich hab Schicht."
„Falsch, du hattest Schicht. Die Küche schließt gleicht, außerdem weiß ich wen du vertrittst und ich weiß auch, dass sie nie länger als bis 19 Uhr arbeitet." Er deutet auf die runde kleine Uhr über der Tür zu Küche. Fünf vor Sieben. „Also, hol deine Sachen. Ich warte auf dich."
„Ich-" Doch ein Blick in sein Gesicht reicht, um zu verstummen und zu tun, was er sagt. Was ist nur mit mir los? Ich gehe nur schnell in die Küche, wo ich meiner Mum bescheid gebe, dass mich ein Schulkamerad abholt und dass wir uns zuhause sehen. Dann hol ich noch meine kleine Handtasche.

Ezra wartet am Ausgang auf mich und hält mir schon die Tür auf. „Bist du sowas wie ein Detektiv oder so? Woher weißt du sowas alles?" Er läuft neben mir her, muss seine großen Schritte extra langsam setzen, damit wir auch gleichschnell sind. „Ich bin einfach aufmerksam, vergessen? Manche würden auch sagen klug, aber ich prahle nicht gern. Besonders nicht mit akademischen Erfolg."
„Klar, fast vergessen.", murmle ich zurück. Sein roter wagen steht direkt auf dem kleinen Parkplatz und auch hier wird mir die Tür aufgehalten. Daran könnt ich mich auf alle Fälle gewöhnen. Als wir sitzen, schmeißt er auch sofort den Motor an. „Ich denke, du willst über das reden, was ich zu dir gesagt habe?" Wollen, ist das falsche Wort, denn schon jetzt würd ich gern im Sitz versinken, aber mich interessiert es doch brennend, was er hier treibt.

Farbenfroh |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt