Kapitel 28

1.2K 52 3
                                    

Während mich ein strahlendes und nacktes ich vom Handy aus anlächelt, stirbt in mir drin gerade ein Teil von mir. Ich hab Lionel schon Nudes geschickt, aber immer über Snap und er sie niemals gescreenshottet, aber anscheinend hat er einen anderen Weg gefunden, wie er sie sich speichern kann, ohne, dass ich was davon mitbekomme. Und dass er mir die zeigt, kann nur eines bedeuten. Mit Tränen, so groß wie Teller und noch immer voller Tränen, wände ich meinen Blick vom Bildschirm ab und schaue zu Lionel, der gehässig grinst. „Was willst du?" Durch seine Hand kann ich das nur nuscheln und man versteht ziemlich wenig, aber er hat es dennoch verstanden.

„Ich will, dass du verschwindest." Er guckt mich eindringlich an und als er sich sicher ist, dass ich nicht sofort losschreien werde, zieht er seine Hand von meinem Mund weg. Ich atme erst mal erleichtert ein, glücklich darüber, wieder etwas frische Luft zu kriegen.

„Du bist verrückt, Lionel!", jammere ich und wünschte, ich könnt die Tränen, sie mir nicht mehr einfach nur in die Augen steigen, sondern meine Wangen nässen, verhindern. „Du bist verrückt."; schluchze ich und versuche jetzt schon meinen nackten Anblick zu vergessen, aber die Wahrheit ist, dass sich die Bilder schon in mein Hirn gebrannt haben und das werden sie auch bei jedem andere tun, wenn Lio wirklich vor hat, sie zu veröffentlichen. „Du bist verrückt, wenn du dachtest, dass du wirklich so besonders bist, wie ich es dich hab glauben lassen." Seine Worte sollten mich nicht treffen, aber ich kann nichts dagegen tun, dass es sich anfühlt, als würde mir jemand ins Herz stechen. Denn egal, ob ich dumm, jung oder leichtsinnig war, ich war, ich war in Lionel verliebt. Ich hab ihn gemocht, hab mich dieser Person anvertraut und hab bis jetzt gehofft, dass nur ein kleiner Teil, von dem was ich mit ihm erlebt hab, wirklich wahr war. Aber spätestens jetzt, weiß ich, dass ich ihm nie etwas bedeutet habe.

„Du musst das nicht tun.", flüstere ich und schlucke meine eigenen salzigen Tränen runter.
„Vielleicht, aber ich will es tun."
„Was hab ich dir je getan?", schrei ich zitternd und versuche mich unter ihm her zu winden, aber er bleibt über mir und ich hilflos, wie immer, unter ihm. Muss ihn von unten herab angucken und ich kann mir nicht ansatzweise vorstellen, wie sehr ihm der schrecklich erbärmliche Anblick, den ich ihm grade biete, gefallen muss. Seine Augen halten meine gefangen, ich kann ihnen nicht ausweichen. Als er die Lippen zusammen presst, wird mir auch klar, dass ich ihm nie etwas getan habe, aber dass ich das auch nie tun musste. Egal, was ich getan hätte, es hätte immer hier geendet. Ich unter ihm, ich in seiner Hand und ich in Tränen mit Schmerzen in der Brust, die mich ganz nach unten ziehen. Statt auf meine Frage zu antworten, giftet er mich mit seiner anfänglichen Wut einfach weiter an.

„Du redest kein Wort mehr mit Ezra, denkst du ehrlich, ich hätte das zu gelassen? Dass du dir einen nach dem anderen schnappst? Dass Ezra dich bumsen kann, während du mir einen Korb gibst? Ezra ist Geschichte, sobald du hier raus bist, gehst du zur Tür und raus, fährst in dein erbärmliches zu Hause zu deiner erbärmlichen Familie und lebst weiter. Ohne Ezra und mit der ganzen Schule, die dich hasst, bis das Schuljahr vorbei ist."

„Lio..."

„Halt den Mund, tu, was ich sag, oder jeder wird wissen, wie deine kleinen Titten aussehen und was du in Wirklichkeit für eine Schlampe bist." Ich schluchze leise auf und kneif noch einmal die Augen zusammen. Das kann nicht wahr sein, kann es nicht. Gestern lag ich noch in Ezras Armen und hab mich so glücklich wie noch nie gefühlt und habe mir dabei genau die gleiche Frage gestellt. Ist das wahr? Und das war es und das hier ist genauso wahr.

„Ich muss ihm das irgendwie erklären."
„Du musst gar nichts. Du schreibst ihm nicht, redest kein Wort mit ihm und sehen wirst du ihn auch nicht mehr. Der wird schon drüber hinweg kommen. Bild dir nichts ein. Der fickt hundert andere Mädchen am College, du bist nur hier, weil er da gerade nicht sein kann." Das glaub ich nicht, das will ich gar nicht glauben. „Dann... dann löschst du die Fotos wieder?", frag ich leise und hoffnungsvoll.

„Ich lösche sie wann ich will, wenn ich will, und wenn ich noch eine Kleinigkeit von dir will, wirst du sie mir einfach geben."
„Du bist verrückt!", schrei-flüstere ich und stütze mich hinten etwas hinauf. „Lösch die scheiß Bilder, wenn ich dafür nicht mehr mit Ezra rede, tu es."
„Ich lösche sie, wenn das Jahr vorbei ist und du auf irgendeinem College bist." Ich knirsche ganz doll mit den Zähnen, so doll, dass das wohl kaum noch gut sein kann, aber das ist grad der beste weg, nicht zu implodieren. „Ich will es sehen, wenn du es tust."
„Schön, schreib mir, wenn du weißt, was du abreißt. Wir treffen uns vorher und du bist dabei, wie ich sie lösche. Danach sehen wir uns eh nie wieder." Ich knirsche weiter, wäge ab, aber die Wahrheit ist, das ist meine einzige Chance, er hat mich in der Hand und egal, was ich will, dass hier ist der einzige Weg.

„Schön", stimme ich schließlich zu, mir bleibt schließlich nichts anderes übrig, oder?
Lionel grinst, dann geht er endlich von mir runter. Ich springe sofort auf, streich mein Kleid glatt und eile zur Tür. Kurz vor der Tür bleibe ich noch einmal stehen und halte das Gesicht zum Boden gerichtet, während ich mein Kinn etwas nach hinten drehe. „Alles, was du je wolltest, war mir weh zu tun. Ich hoffe du bist glücklich und es hat sich alles gelohnt."
„Ich bin nicht der Bösewicht in deiner Geschichte. Wir leben nämlich in keinen Märchen, Olivia."
„Ich hab dich nie geliebt, nur wie es sich angehört hat, wenn du mir versichert hast, dass du mich lieben würdest." Er sagt nichts, ich öffne die Tür.

„Denk dran, kein Wort zu Ezra.", ruft mir Lionel zu, bevor ich im Flur verschwinde. Mein Herz pocht in meinen Ohren und ich gucke nur auf meine Füße, während ich zum Ausgang renne. Schon oft dachte ich, dass es nicht schlimmer werden könnte. Jeder hat diese Punkt im Leben und bestimmt nicht nur einmal, wo man sich denkt, fuck, jetzt ist es vorbei, jetzt geht es nicht mehr schlimmer. Oder eine Nacht, in der man sich die Augen aus dem Schädel heult, weil es so weh tut und man sich sicher ist, so einen Schmerz kann man nie wieder erfahren. Aber ich hab mich geirrt. So sehr geirrt, dass es sich jetzt nicht nur so anfühlt, als hätte man mir mal eben einen kleinen Klapps aufs Herz gegeben, sondern mit voller Wucht drauf gehauen.

„Olivia!" Ich will mich umdrehen, wirklich. Ich will sehen, wie Ezra auf mich zu kommt und mich fragt, was los ist und ich will diesen verfickten Film mit ihm gucken, aber das alles geht nicht mehr. Ich dreh mich nicht mehr um, sondern reiß die Tür auf und renne die letzten Meter bis zum Auto. Die Fahrt nach Hause kann ich mich kaum konzentrieren. Es ist ein richtiges Wunder, dass ich heile und lebend angekommen bin.

„Schon wieder da? Ich dachte du wärst etwas länger bei Hannah?" Wenn ich jetzt einfach nach oben stampfe und das tue, wonach ich mich grade fühle, wäre das zu auffällig, also muss ich wieder lügen und meiner Mutter etwas vormachen. Dieses Mal nicht für Ezra, sondern für mich selbst. „Ja, bin schon wieder da. Ich hab auf einmal so Kopfschmerzen gekriegt und wollte da niemanden anstecken." Meine Mutter guckt mich sofort etwas besorgt aus der Küche her an, wo sie am Herd steht und irgendwas vor ihr vor sich hin köchelt. „Du siehst wirklich blass aus und deine Wangen ganz rot, leg dich am besten oben hin. Du hast Glück, ich koche Suppe, dann wird es dir danach schon etwas besser gehen." Trotz allem, trotz den Fotos, trotz Lionel, trotz Ezra, wird mir warm ums Herz. Die Suppe heilt zwar nicht all meine Probleme, aber einen Teil meines Inneren schon.

„Danke, Mum." Ich muss mich fest zusammen reißen, nicht sofort noch einmal los zu heulen, dann hätte mein starker Auftritt von eben auch nichts mehr gebracht. Also reiß ich mich eben zusammen, nur so lang, bis ich endlich die Tür hinter mir zu machen kann, nur so lang, bis ich auf meinem Bett kollabiere und meine Tränen mein Kissen durchtränken, während meine Teddys mir dabei zugucken.

Farbenfroh |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt