Ich hasse nichts mehr als Selbstmitleid, aber egal, wie sehr ich mir es vorgenommen habe, mir selbst in den Arsch zu treten und Samstag aus dem Bett zu steigen, ich schaffe es nicht. Weder meine Mum, kann mich mit ihren Kochkünsten und einen leckerem, typisch spanischem Frühstück aus dem Bett locken, weder mein Dad mit dem Angebot, endlich die Treppe zu reparieren, wenn ich ihm nur helfe, noch Paula mit ihrer Piepsstimme und der Einladung eine Teeparty mit ihren Puppen zu feiern. Meine Antwort war bei allen drei die gleiche, "Geh bitte, mir geht's noch immer nicht gut und ich will dich nicht anstecken.". Samstag kaufen mir das alle noch ab, aber als meine Mama am Sonntag Mittag in mein Zimmer kommt, nach zwei Tagen ohne Dusche, ohne richtiges Essen und ohne einmal durch zu lüften, bringt meine Ausrede mit dem krank sein auch nichts mehr. Vielleicht sind das die Mama-Gespüre, wie meine Mum sie nennt, die bewirken, dass sie merkt, dass es nicht mein Bauch ist, der mir zu schaffen macht, sondern mein Magen und die fünf Nachrichten und drei Anrufe, die ich von einem unbekannten habe seit Freitag. Wobei ich mir sicher bin, dass diese Person ganz und gar nicht unbekannt ist, sondern Ezra heißt.
Hannah schreibt mir sowieso schon die ganze Zeit, aber auch sie konnte ich etwas ruhig stellen mit ein paar einfachen Lügen. Nur den unbekannten nicht. Was wohl daran liegt, dass ich weder auf die Nachrichten eingegangen bin, ich hab sie mir nicht einmal angeguckt und auf die Anrufe habe ich schon sicher nicht reagiert. Woher er meine Nummer hat, weiß ich auch nicht, aber er hat offensichtlich einen Weg gefunden. Mein Handy leuchtet genau in der Sekunde auf, in der meine Mum in der Tür steht. Statt die Nachricht, die auf einen verpassten Anruf folgte, zu lesen, drehe ich mein Handy mit dem Bildschirm nach unten auf den Nachttisch. Natürlich fühle ich mich schlecht. Natürlich will ich Ezra nicht weh tun, obwohl ich noch glauben kann, dass ich ihm in dieser kurzen Zeit so viel begonnen habe zu bedeuten, dass er meine Abwesenheit so sehr vermisst und ihn Unzugänglichkeit so sehr trifft. Seit Freitag frag ich mich, ob ich irgendjemanden überhaupt so viel bedeuten kann, dass mein Verhalten eine Wirkung auf ihn hat.
„Was ist los, mi pequeña aceituna?" Meine kleine Olive. Ich hätt über den dämlichen Spitznamen gelacht, wenn es mir grade nicht so scheiße gehen würde. „Nicht mal ein Lächeln?", fragt sie, während ich weiter nur auf mein umgedrehtes Handy starre und den Kopf auf meinem Kissen lasse. Ja, ein Lächeln geht grade leider echt nicht, denn sobald ich lächle, muss ich daran denken, wie blöd ich gelächelt habe, als mir Lionel auf die Nacktbilder geantwortet habe, ich sehe total heiß aus. Und wenn ich daran denke, denke ich daran, wie mein Ex-Freund mich mit genau diesen Bildern erpresst. Ah und dann wäre da noch die Situation mit seinem Stiefbruder, mit dem ich nie wieder ein Wort reden werde, aber das ist jetzt auch egal, denn wer würde es mit mir schon ernst meinen? Wenn man Lionel glauben darf, hat er eh genug Mädchen auf der Uni, die mit ihm schlafen und was dachte ich mir bitte dabei mit einem Typen zu schlafen, nein nicht einfach nur zu schlafen, sondern mir mit einem Typen Hoffnungen zu machen, der Zwei Jahre älter ist, auf eine Uni geht, ein scheiß Künstler ist, den Körper eines griechischen Gottes hat und dazu noch lieb, einfühlsam und gleichzeitig heiß und cool ist.
Ich lach innerlich traurig auf, darüber, wie dumm ich war.
„Hier drin stinkt es, wie in einem Pumakäfig.", meckert meine Mum weiter. Ich trenne meinen Blick erst von meinem Handy, als meine Mum am Fenster steht, das Rollo wieder ganz rauf macht, sodass mich das Sonnenlicht blendet und dann das Fenster auch noch auf macht. „Mum, bitte, geh einfach."
„Für was für eine Art von Mutter hältst du mich, Olivia?" Sie stellt sich vor mich, die Hände in die schmalen Hüften gestellt. Ich wünschte die hätte ich von ihr geerbt. „Eine, die ihre Tochter in Ruhe lässt, wenn es ihr nicht gut geht.", murre ich und ziehe die Decke über meinen Kopf, in der Hoffnung, dass das reicht, um sie aus meinem Zimmer zu vertreiben. Aber genau das Gegenteil passiert.Ich spüre, wie die Matratze vor mir sich senkt und wie sich eine Hand auf meine Schulter auf die Decke legt. „Oliv, es gibt zwei arten von nicht-gut-gehen. Die Art, bei der dein Körper Ruhe, etwas Hilfe und vielleicht eine Wärmflasche oder Suppe braucht und die Art, bei der man jemanden braucht. Nicht etwas, sondern jemanden."
„Dann mach mir eine Wärmflasche.", murmle ich durch die Decke hindurch. Aber davon lässt sie sich auch nicht abwimmeln. „Ich hab vielleicht nur zwei Kinder und du denkst bestimmt, ich bin eine total schreckliche Mutter, aber ich kann dir versichern, ein bisschen kenne ich mich schon aus. Und ich weiß, dass etwas mit dir nicht stimmt. Etwas, was eine Wärmflasche nicht wieder grade biegen kann."„Und du meinst, du kannst das?", gifte ich weiter gedämpft durch die Decke zurück. Ich spüre wie die Hand, die bis jetzt nur still da lag, damit beginnt meinen Arm auf und ab zu fahren. Ganz langsam und zart, eine tröstende Bewegung. „Ich kann es zumindest versuchen, findest du nicht? Ich war auch mal jung."
„Du warst aber nicht ich."
„Natürlich nicht, aber ich kann dir versichern, dass viele Menschen, vieles gleiche durchmachen. Dass wir das gleiche fühlen und dass wir einander helfen können mit bestimmten Gefühlen umzugehen." Ich seufze und schleiße die Augen. Denn ich merke schon wieder das Brennen hinter meinen Liedern, dass mir die Tränen ankündigt. „Ich will das aber gar nicht.", flüstere ich und merke dabei schon, dass meine Stimme beginnt zu zittern.„Was willst du nicht, Mi amor?" Meine Liebe.
„Ich will das doch gar nicht fühlen." Sie streichelt meinen Arm weiter und in mir löst sich einer von vielen Knoten, die sich in den letzten Tagen und Stunden in meinem Herzen gebildet haben. „Dagegen kannst du nichts tun, du wirst immer fühlen, du musst nur lernen, damit um zu gehen." Ich hab nicht vor meiner Mum von allem zu erzählen. Ich trau mich nicht einfach nur, ich will es ihr nicht antun. Nacktbilder? Belästigung? Erpressung? Darüber kann ich nicht mit ihr reden.Stattdessen schluchze ich leise in meiner Decken Höhle auf. „Was ist los, Olivia? ¿Por qué lloras?" Warum weinst du?
„Warum bin ich nicht genug?" Die Frage platzt einfach aus mir heraus. „Oh, mi pequeña aceituna. Wer hat dir sowas erzählt? Natürlich bist du genug." Meine Mum rückt etwas näher. Ich sehe es zwar nicht, aber ich glaube, dass sie sich vor mir auf Bett legt, direkt neben mich und ihren Arm fester um meinen Oberkörper, gehüllt in die Decke, legt. Vielleicht kann ich ihr nicht erzählen, was alles passiert ist, aber ich kann ihr erzählen, wie ich mich fühle. „Das muss mir niemand sagen. Ich weiß es einfach. Ich bin nicht besonders, ich kann nichts besonders gut, ich sehe nicht besonders aus, ich bin einfach nicht gut genug. Und dagegen kannst auch du nichts tun."„Sag sowas nicht, Oliv. Natürlich bist du besonders."
„Jede Mum muss sowas zu ihrer Tochter sagen. Aber warum fühlt es sich dann nicht so an? Warum verlassen mich alle? Warum scherrt sich niemand außer meiner Familie darum, wie man mich behandelt oder wie es mir geht?"
„Grade weil ich deine Mum bin, sollte es dir sagen, dass es die Wahrheit ist. Du bist besonders, du bist einzigartig und ich kenne keinen, der mir widersprechen würde und selbst wenn, was andere denken, ist egal."
„Nein, ist es nicht! Das macht einen doch besonders! Wenn dich alle hübsch finden, wenn du es wert bist, dass man um dich kämpft, wenn Leute dich für schlau halten, für besonders genug, sich um dich zu kümmern."
„Die anderen sind egal. Denn am Ende sind wir immer allein, wir selbst müssen unseren Wert kennen und dann müssen wir noch wissen, welche Leute wirklich die sind, deren Meinung uns wichtig ist."Mittlerweile liegt mein Kopf ganz sicher auf der Brust meiner Mum und eine zweite Hand hat sich auf meinen Hinterkopf gelegt. „Du bist besonders, Olivia. Du bist so besonders, dass ich jedes Mal, wenn ich dich sehe, mich auf Neue wundere, wie ich und dein Dad sowas tolles und strahlendes hinkriegen konnten. So besonders, dass ich, als ich dich, dass erste Mal in den Händen gehalten habe, wusste, dass ich alles für dich tun würde und dann noch einmal bei Paula. Und das zählt, und das musst du wissen. Ich bin da, Papa ist da, Paula, und du musst für dich selbst da sein."
„Gracias, mamá.", flüstere ich unter Tränen und schieb die Decke beim Umarmen etwas zur Seite. „Te amo, Olivia." Und das sollte das Liebe-dich sein, was mir wirklich etwas bedeuten sollte. „Te amo, Mama."
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Farbenfroh |✔️
RomanceEigentlich führt Olivia eine Beziehung mit ihrem traumhaften Footballspieler Lionel, aber immer mehr hat sie das Gefühl, er würde sie nicht mehr richtig wahrnehmen. Während ihre Beziehung droht zu zerbrechen, fällt ihre Aufmerksamkeit immer öfter au...