Die Angst, auseinander zu fallen

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Dags P.o.V.:

Manchmal passierte alles einfach so schnell, so schnell, dass man es kaum realisierte und bis zum Schluss glaubte, dass das alles nur ein Scherz war.

Ich wusste nicht, wie lange ich schon so auf der Couch saß, die Ellbogen auf meine Beine gestützt und das Gesicht in meinen Händen vergraben. Hin und wieder verließ noch eine Träne meine Augen, aber es wurde weniger.

Es wurde weniger, aber es hörte nicht auf.

Ein viel zu großer Teil von mir dachte immer noch, dass es ein Scherz war, dass Vincent gleich mit einem breiten Grinsen in den Raum kam und mich in den Arm nahm, mir sagte, dass er mich verarscht hatte. Ich wäre wütend, aber ich würde ihm schnell verzeihen, einfach froh sein, dass er da war.

Ich sah zur Tür, aber niemand öffnete sie, niemand kam mit einem breiten Grinsen durch die Tür.

Die Tränen wurden wieder mehr und ich versuchte hektisch sie mir aus dem Gesicht zu wischen, aber sie liefen zu schnell nach, tropften auf mein Shirt und meine Hose.

"Es tut mir leid, Dag", hörte ich noch in meinem Kopf, wie ein Looping, spielte sich immer und immer wieder ab, bis ich mir die Hände auf die Ohren drückte - aber auch davon wurde es nicht leiser, seine Stimme in meinem Kopf.

Ich schluchzte leise, biss mir so stark auf die Lippe, dass ich den metallischen Geschmack von Blut schmecken konnte.

"Es tut mir leid, Dag, aber wir können nicht so weiter machen", ich kniff die Augen zusammen, versuchte das Schreien zu unterdrücken, das dringend aus mir herausbrechen wollte, zog die Beine nur mehr an meine Brust und schluchzte wieder.

"Es tut mir leid, Dag, ich brauche Zeit für mich. Wir müssen das alles erstmal pausieren, SDP und unsere Beziehung", ich drückte die Hände fester auf meine Ohren, biss die Zähne fest zusammen und fing nun richtig an zu heulen, "Ich hol dich irgendwann wieder ab und wir sprechen über alles, okay? Wenn du dann noch willst."

Ich sah auf den Kalender, rechnete die Tage im Kopf durch - das war nun doch fast drei Wochen her.

Meine Glieder fühlten sich schon steif an, als ich mich nach Ewigkeiten wieder bewegte, fuhr mir mit dem Handrücken über Augen um Nase, als würde ich die Spuren vom Weinen zu verschleiern. Mit zitternden Beinen schleppte ich mich in die Küche, ließ mich auf einem Küchenstuhl fallen.

Wütend starrte ich das Bild von uns beiden an. Alles an mir zitterte vor Wut, gleichzeitig konnte ich nicht von diesem blöden Bild wegschauen.

Meine Arme waren fest um ihn geschlungen, mein Kopf an seine Brust gelegt und wir beide lächelten um die Wette. Das Foto hatte Shneezin damals heimlich gemacht und mir schließlich Weihnachten geschenkt.

Mit zitternden Hand schmiss ich es um, versuchte den Blick davon abzuwenden und steckte mir stattdessen eine Zigarette an, redete mir ein, das Nikotin würde mich irgendwie beruhigen. Das war Quatsch und hatte noch nie funktioniert.

Vincent hatte es immer gehasst, wenn ich in der Wohnung geraucht hatte, selbst mit geöffneten Fenster und ja, ich konnte das auch verstehen. Und trotzdem musste ich das jetzt machen, einfach aus Prinzip.

Seitdem er weg war, hatte ich das Gefühl, auseinander zu fallen, die Angst, auseinander zu fallen.

Ständig fing ich an zu zittern, hatte Kopfschmerzen oder musste mich übergeben. Als wäre ich auf Entzug. Der schlimmste Entzug, den ich je mitgemacht hatte.

Von einer Droge, von der ich seit über zwanzig Jahre abhängig gewesen war.

Wenn Vincent einen seiner Witze erzählt hatte, musste ich lachen, egal, wie scheiße es mir an diesem Tag ging. Wenn er mich in den Arm nahm, hatte ich mich sofort sicher gefühlt, ganz ohne, dass er mir das je versprechen musste.

Und wir gucken UFOs beim Fliegen zu - SDP OneShot-SammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt