Mitleid

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TW: Depressionen

Vincents POV

Es gab Tage, da kam Dag nicht aus dem Bett. Da wollte er nur alleine sein, alleine sein und schlafen, bis der Tag vorbei war. 

Bis es nicht mehr weh tat. Bis nichts mehr weh tat. 

Und ich war an solchen Tagen nur am Rande anwesend für ihn. 

Heute war ein solcher Tag.

Die meiste Zeit sah er mich nur mit leeren Augen an, oder viel mehr an mir vorbei. Ich erreichte ihn nicht mehr. Ich konnte ihn einfach nicht mehr erreichen. Als wäre er hunderte Kilometer von mir weg. 

Und es tat weh. 

Kraftlos ließ ich mich auf dem Teppich neben dem Bett fallen und legte den Kopf in den Nacken. "Ich liebe dich, Dag. So sehr."

Er antwortete mir nicht. Es war okay, ich kannte das schon. Und es war nicht seine Schuld.

Ich saß nur da, schloss meine Augen und lauschte seinem Atem. Es beruhigte mich irgendwie.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit verging, bis ich langsam aufstand und Dag ansah. Er war so unter der Decke versteckt, dass ich nur seine geschlossenen Augen und seine in tiefe Falten gelegte Stirn. Am liebsten hätte ich sie glatt gestrichen, damit er nicht mehr so angespannt aussah. 

"Ich mach dir etwas zu essen, mein Schatz", flüsterte ich und strich mit dem Daumen über seine Wange. Er murrte nur irgendetwas, das ich nicht verstand - trotzdem musste ich traurig lächeln. 

Er war wunderschön. Und ich merkte immer wieder, wie sehr ich ihn liebte. 

Leise verließ ich das Schlafzimmer, schloss die Tür hinter mehr und ging in die Küche. 

Ich fing an zu kochen, versuchte mich nur darauf zu konzentrieren. Aber meine Gedanken schiefen immer wieder ab - und ich merkte es erst als immer mehr Tränen auf meine Hände tropften. 

Erschrocken ließ ich das Messer fallen und fuhr mir über die Augen. 

Ich musste immer mehr weinen, fing irgendwann herzzerreißend an zu schluchzen und ich wusste nicht einmal wieso. Mir wurde gerade einfach alles zu viel. 

Hilflos hielt ich mich an der Arbeitsplatte fest und versuchte aufzuhören. Ich war immerhin Vincent Stein und Vincent Stein weinte nicht. 

Vincent Stein brach nicht unter Tränen in der Küche zusammen, weil ihm gerade alles zu viel wurde. Weil es auf der Arbeit nicht gut lief, weil ich mich generell nicht gut fühlte und jetzt auch noch mit Dag war, den ich eigentlich schon seit drei Tagen nicht mehr richtig erreichte. 

So etwas machte ein Vincent Stein nicht. 

Nur, dass genau das gerade passierte. 

Schluchzend rutschte ich auf den Küchenboden und weinte einfach nur noch. Es fühlte sich an, als würde ich stundenlang nur dasitzen und alles heraus lassen, was einfach mal heraus musste. Mein Herz und mein Körper konnten es einfach nicht mehr ertragen.

Ich fühlte mich wie ausgekotzt. Mein Kopf war so voll und die Tränen liefen über meine Wangen. 

Ich konnte Dag nicht helfen, ich konnte ihm ja nicht einmal essen machen, ohne zusammenzubrechen. Ich war ein furchtbarer Partner. 

Er tat mir so leid. 

"Vincent?", hörte ich plötzlich eine zarte Stimme. Dag sah mich mit schwimmenden Augen an. 

Sofort streckte ich die Arme nach ihm aus, weswegen er sich sofort an mich kuschelte. Er weinte das erste Mal seit Tagen wieder, ließ seine Emotionen zu. Und ich weinte einfach mit. 

"Es tut mir leid", schluchzte er leise, "Dass ich nicht für dich da bin."

Ich schüttelte den Kopf und drückte Küsse auf seine fettigen Haare. Meine zitternden Hände legte ich auf seinen Rücken. "Entschuldige dich nicht. Es tut mir leid, dass ich nicht für dich da bin und dass ich... so zusammengebrochen bin."

Er klammerte seine Hände um meinen Hoodie und schluchzte herzzerreißend auf. Sein schon ziemlich schmutziger Hoodie war von meinen Tränen schon ganz nass. 

"Du musst dich auch nicht entschuldigen", flüsterte er, "Ich glaube wir haben beide viel zu viel Mitleid füreinander."

Ich nickte nur und zog ihn fester in meine Arme. In meinen Ohren war so ein Rauschen. 

Ich vergrub das Gesicht in seinen Haaren, hielt ihn einfach nur fest. Und er hielt mich fest. 

Wie lange wir so auf den Boden saßen, wusste ich nicht. Aber er war da. Bei mir. Er sah mich an und er war nicht mehr so weit weg. 

Als ich das erste Mal wieder seine Lippen auf meinen fühlte, war das Rauschen plötzlich weg. 

Und ich hatte das Gefühl, wieder atmen zu können 

A.N: Ist nur was kleines, zartes und kurzes für zwischendurch. Ich hoffe, es gefällt euch trotzdem <3



Und wir gucken UFOs beim Fliegen zu - SDP OneShot-SammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt