Es dauerte nicht mehr lange, bis der Bus kam und ich endlich meinen Weg fortsetzten konnte. Die ganze Busfahrt über ließ ich das Schild, wo die Haltestellen angezeigt wurden, nicht aus den Augen und wartete darauf, dass ich endlich aussteigen könnte. Zum Glück hatte der Fahrer die hinteren Türen aufgemacht und so war ich um ein Ticket herum gekommen, das ich ohnehin nicht hätte bezahlen können. Das war mir allerdings erst aufgefallen, als ich mich in die hinterste Reihe gesetzt hatte. Ich fuhr neun Stationen, bis endlich die Station „Richland Springs Independent School" angezeigt wurde. Schnell drückte ich Stopp und stand schon viel zu früh auf.
Dort angekommen erwartete mich ein großes Backsteingebäude, das flach gebaut war. Es gab vielleicht ein bis zwei Stockwerke. Vor dem Eingang des Gebäudes hing eine große Flagge mit dem Slogan: „Home of the fighting Coyotes". Daneben war ein weiß-blauer Kojote, der von der Seite gezeigt wurde und heulend nach oben blickte.
Kritisch starrte ich die Flagge einige Zeit an, bis ich weiterlief. Zuhause der kämpfenden Kojoten?Seltsam, wenn man mich fragt. Das Gebäude war überschaulich und so brauchte ich nicht lange, bis ich das Sekretariat, auf der linken Seite, fand. Ich war 20 Minuten zu spät dran, aber ich machte mir keinen Kopf darüber. Es war mein erster Tag. Die Lehrer würden schon verstehen, wenn ich mich nicht sofort zurechtfand. Die Tür zum Sekretariat war offen und drinnen stand ein Mann mittleren Alters, mit Glatze und brauner Haut. Kurz blieb ich am Eingang stehen und sah den Beiden bei ihrer Unterhaltung zu. Als sich der Mann jedoch auf die Kante des Schreibtisches setzte, wagte ich mich einige Schritte in den Raum hinein. Weiterhin schenkten sie mir keine Aufmerksamkeit. Erst als ich mich räusperte und ein leises „Guten Morgen" murmelte, sah die Frau zu mir auf und der Mann drehte sich erschrocken um.
„Kannst du nicht lesen? Du sollst draußen warten, bis ich dich reinrufe", zischte sie und warf mir einen genervten Blick zu. Na toll, das fing ja schon mal gut an.
„Sorry, habe ich dann wohl übersehen", antwortete ich kleinlaut und machte wieder ein paar Schritte rückwärts, aus dem Raum raus. Ganz winzig, auf der linken Seite des Türrahmens, war ein Schild das darauf hinwies. Ich war mit Sicherheit nicht die Einzige gewesen, die dieses Schild übersehen hatte.
„Schon gut, ich muss sowieso in meine Klasse", sagte der Mann euphorisch und warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
„Oh Gott, ich hab mich schon wieder total verquatscht", erklärte er und suchte schnell die Hefter zusammen, die er zuvor auf den Tisch gelegt haben musste. Mit seiner aufgedrehten Art erinnerte er mich an die merkwürdige, alte Dame von eben.
„Du bist die neue Schülerin, richtig?", fragte er, als er aus dem Raum kam. Freundlich lächelte er mich an und legte den Kopf schief.
„Ja."
„Du bist Maya Wilson, die Tochter eines Freundes von Maikel Evans, richtig?" Ich zögerte. Die Tochter eines Freundes?
„Ja", antwortete ich nur und dachte mir den Rest. Bis eben hatte ich die kleine Hoffnung gehabt, die Sache mit dem falschen Ausweis sei nur ein Scherz gewesen. Aber meine Eltern meinten das wohl todernst.
„Mach dir keine Gedanken, die Leute hier sind nett. Und wenn es doch Probleme geben sollte, kannst du jederzeit zu mir kommen. Jetzt muss ich aber ganz dringend los. Wir sehen uns bestimmt noch im Unterricht." Dankend nickte ich und lächelte etwas verlegen zurück. Zum Glück hatte ich mich nicht vorstellen müssen. Ich hatte längst wieder vergessen, dass ich plötzlich eine andere Identität hatte und so hätte ich mich bei ihm wahrscheinlich mit echtem Namen vorgestellt. Ich blickte zu der Frau, hinter dem Schreibtisch und fragte mich, ob ich jetzt eintreten dürfte. Grimmig tippte sie etwas in ihrem Computer ein und sah nicht so aus, als wäre sie bereit in Kontakt mit mir zu treten. Also blieb ich noch eine Weile vor der Tür stehen, bis sie mich endlich zu sich rief.
DU LIEST GERADE
Zufall oder Magie? (1. Teil)
EspiritualBereits in ihrer Kindheit wird Sam von zahlreichen Zufällen verfolgt. Während sie daraus keine große Sache machen will, gerät ihre Mutter mit jedem Zufall mehr und mehr in Panik. Als Sam dann plötzlich aus ihrem gewohnten Leben gerissen wird, verste...