Ausgerechnet der blonde Typ, dem ich im Obstladen in die Fersen getreten war, saß in der hintersten Reihe. Wieso hatte ich ihn beim Reingehen nicht bemerkt? Aber was noch viel wichtiger war, wieso waren wir im gleichen Kurs? Warum war er nicht ein Jahr über mir oder in einem anderen Mathekurs? Wieder musste ich an den Satz der alten Dame denken. Die ganze Sache gab mir ein ungutes Gefühl. Das konnte doch gar nicht gut ausgehen...
Und ein weiteres Problem tat sich auf. Mit ihm in einem Raum konnte ich mich unmöglich auf den Matheunterricht konzentrieren. Es war nicht so, dass mich sein schöner Anblick in die Ohnmacht treiben würde. Es war einzig und allein seine Anwesenheit, die mich nervös werden ließ. Aber auf eine sehr seltsame Art. Nicht so nervös, dass ich fluchtartig den Raum verlassen wollte und Angst vor ihm hatte. Eher diese neugierige Nervosität, die in mir den Wunsch hervorbrachte mit ihm reden zu wollen und mich gleichzeitig viel zu aufgeregt dafür machte. Nervosität, die irgendwie Spannung in mir erzeugte und ihn auf eine merkwürdige Art und Weise interessant erscheinen ließ.
Ich war wie versteinert, als seine grüne Augen plötzlich in meine sahen. Als hätte auch er mich erst jetzt erkannt, wurden seine Augen langsam größer. Er hielt unserem Blickkontakt mühelos stand. Das Rasen meines Herzes hielt ich nicht mehr aus. Meine Nervosität stieg ins Unermessliche und wollte mich dazu zwingen, den Blick von ihm zu nehmen. Doch ich konnte es nicht, ich wollte es nicht.
Minutenlang starrten wir uns sprachlos in die Augen. Nur leise nahm ich wahr, wie Mr. Smith meinen Namen sagte. Das mulmige Gefühl in meinem Bauch wurde stärker. Die Stimme von Mr. Smith geriet in den Hintergrund, alle Stimmen um mich herum wurden auf einmal dumpf. Ich konnte nur noch diese leuchtend grünen Augen wahrnehmen. Erst als das schwarzhaarige Mädchen neben mir ihren Ellenbogen in meine Seite stieß, wachte ich aus meiner Trance auf. Ich blinzelte und drehte meinen Kopf zur Tafel.
„Was?", fragte ich mit heiserer Stimme, konnte jedoch nicht anders, als wieder zu diesem Typen zu starren. Er lächelte mir frech entgegen. Es war kein ernsthaftes Lächeln. Es war ein arrogantes und überhebliches Lächeln. Ich wurde zunehmend unsicher und genau daran fand er Gefallen.
„Habt ihr das in deiner Schule auch schon behandelt?", wiederholte Mr. Smith und zeigte auf eine Gleichung an der Tafel.
„Angeschnitten... glaub ich", stammelte ich und versuchte mir irgendeinen Reim auf dieses Gewirr von Zahlen und Buchstaben zu machen.
„Gut, dann erklär uns doch mal was wir ermitteln, wenn wir diese Gleichung umstellen", entgegnete er und sah mir ermutigend zu. Mr. Smith meinte es ganz bestimmt nicht böse mit mir, nur hatte ich leider nicht den blassesten Schimmer wovon er redete.
„Das ähm... Y?", stammelte ich. Dunkel konnte ich mich noch daran erinnern, diesen Satz in seinem Unterricht gehört zu haben. Einige im Kurs begann zu lachen, darunter auch der blonde Typ. Direkt schoss mir die Röte wieder ins Gesicht. Hitze breitete sich in meinem ganzen Körper aus. Fuck, warum saß ich nicht einfach gelangweilt in der Central park East High School, in New York? Am liebsten wäre ich einfach im Erdboden versunken und nie wieder aufgetaucht. Ein fetter Kloß begann sich in meinem Hals zu bilden und ließ meine Stimme für einen Moment komplett verschwinden. Angespannt knetete ich meine schweißnassen Hände.
„Sie meint bestimmt das X", erklang die tiefe Stimme des blonden Typen und beendete damit das Gelächter. Verwirrt, wieso er mir helfen sollte, sah ich zu ihm und zog die Augenbrauen fragend nach oben.
„Passiert den Besten", lachte er und warf mir einen abwertenden Blick zu. Arrogant fuhr er sich durch die blonden Haare und leckte sich über die vollen Lippen. Wieder begannen ein paar der Schüler zu lachen. Überwiegend Mädchen, die ihn genauso anstarrten, wie ich. Mr. Smith bekam mein Unbehagen mit und ließ mich daraufhin in Ruhe, zum Glück. Ich seufzte leise und drehte mich wieder nach vorne um. So ein arroganter Schnösel! Ob nun X oder Y, was machte das für einen Unterschied? Ich war doch nah dran. Passiert den Besten. So ein Arschloch! Einige der Mathestunden würde ich demnächst schwänzen. Diese Blamage wollte ich mir echt nicht noch mal antun. Vielleicht könnte ich ja noch den Kurs wechseln...
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Zufall oder Magie? (1. Teil)
EspiritualBereits in ihrer Kindheit wird Sam von zahlreichen Zufällen verfolgt. Während sie daraus keine große Sache machen will, gerät ihre Mutter mit jedem Zufall mehr und mehr in Panik. Als Sam dann plötzlich aus ihrem gewohnten Leben gerissen wird, verste...