Die Welt begann erst wieder, sich zu drehen, als Dionysos' Lippen den Kontakt zu Garretts verloren. Vorher stand alles still.
Garrett spürte den Boden nicht mehr, auf dem seine Füße standen, den Stuhl, auf dem er saß, er hörte das Ticken der Uhr nicht mehr, die halb 3 morgens zeigte.
»Genug zum Festhalten?«, flüsterte der Vampir heiser und Garrett stieg die Röte in die Wangen.
Er hatte tatsächlich den ersten Schritt gemacht und Dionysos war voll drauf eingegangen, hatte seine Hand in sein Haar gegraben und Sterne vor seinen Augen aufleuchten lassen.
»J-ja...«, stotterte er und wagte nicht, den Mann anzusehen. Der musste doch sonst was denken!
»Gut, dann haben wir jetzt beide eine gute Erinnerung. Lieber wäre es mir aber, wenn keiner draufgeht, also sei vorsichtig.«
Dionysos zog Garrett auf die Füße und drückte ihm die Axt in die Hand, die er während des Kusses hatte fallen lassen.
»Denk dran: Kopf einschlagen, Arme brechen, Bein stellen. Lass dich nicht festhalten oder beißen. Sei nicht zimperlich, zögere nicht, hab kein Mitleid. Ich bin bei dir und passe auf dich auf. Am besten schlagen wir uns zum Kirchplatz durch. So zentral gelegen hört Allister mich garantiert. Los jetzt, bevor die Sonne aufgeht. Dann zeigt sich der Feigling wahrscheinlich nicht mehr.«
Dionysos legte die Hand an die Klinke.
»Beweg dich langsam. Greif erst an, wenn sie uns bemerkt haben. Wenn wir leise sind, bemerken sie uns vielleicht nicht. Wir sind beide dunkel gekleidet.«
»Und können die uns nicht riechen?«
»Mich. Aber das liegt daran, dass ich hier vorhin, als ich kam, überall mein Blut verspritzt habe. Dein Duft und der deiner Mutter wird davon überlagert.«
Garrett schluckte schwer.
»Ich habe Angst.«, hauchte er mit zittriger Stimme.
»Du wärst dumm, wenn es anders wäre. Beruhige dein Herz und hab Vertrauen. Alles wird gut.« Dionysos lächelte, bevor er ein aufmerkendes Geräusch machte.
»Ah Moment. Sicher ist sicher!« Der Vampir bohrte einen seiner diamanthellen Fangzähne in seinen Zeigefinger, bis Blut hervorquoll. Dieses tupfte er Garrett wie ein erlesenes Parfüm rechts und links hinter das Ohrläppchen.
»Was ist das?«
»Vertuschung. Allister hat sicher Vampire bei sich, die sich nach einer leckeren, männlichen Jungfrau die Finger lecken. Nicht nur Mädchen sind begehrt. So riechst du nicht mehr so sehr nach dir, sondern mehr wie mein Eigentum. Ist kompliziert und ich hoffe, Allister hat nicht alle Regeln seines Standes vergessen.«
Was auch immer dies alles zu bedeuten hatte, doch Garrett hoffte das auch. Inständig. Denn er hatte keine große Lust, für einen alternden Vampirlord den Lustknaben zu machen oder als lebende Saftbar ausgepresst zu werden.
»Gut, leise jetzt.« Dionysos drehte langsam den Schlüssel im Schloss herum und das Klicken erschien Garrett in diesem angespannten Moment ungeheuer laut. Doch die Ghoule schienen nicht nur schafsköpfig zu sein, sondern auch harthörig. Jedenfalls schlurften sie weiter in unberechenbaren Bahnen umher.
Garrett hörte zum ersten Mal, dass sie dabei nicht stumm waren, sondern grunzten, seufzten und stöhnten. Ihm stellten sich die Nackenhaare auf, als ihr modriger, fauliger Geruch in seine Nase drang und jedes bisschen Frische, die der vom Regen feuchte Wald mitbrachte, verdrängte.
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DIONYSOS I. Zuflucht
VampireDer Vampir Dionysos will nur seine Ruhe haben und in Frieden leben. Die Menschen und die Welt kümmern ihn nicht. Doch eine alte, fast vergessene Abmachung reißt ihn ebenso aus seiner Einöde wie der 18-jährige Garrett, der wie der Vampir im Wald nach...