22. Edelstein

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Zehn Tage waren seit der Nacht vergangen, in der Mrs. Pinkerton den Tod fand und Garrett praktisch bei Dionysos eingezogen war.

Ihre Beerdigung fand am Samstag statt und so sehr Garrett sich auch dagegen gesträubt hatte, sein Vater war natürlich nach Gatwick gekommen.

Dieser beäugte den jungen Pfarrer, der sich in Garretts Nähe aufhielt, sehr aufmerksam. Vermutlich dachte er, es mit dem wesentlich jüngeren Liebhaber seiner Exfrau zu tun zu haben. Doch Phil, natürlich über jeden Verdacht erhaben, versicherte ihm schnell das Gegenteil. Er war als ein Diener Gottes auf der Durchreise und hatte sich Garretts angenommen in den ersten Stunden nach der Tragödie.

Mr. Pinkerton schien nicht vollends überzeugt, doch das war ja auch nicht wichtig. Sein Sohn zählte im Moment viel mehr.

»Am besten kommst du gleich morgen früh mit mir nach London«, sagte er, nachdem sie von der Bestattung zurückgekehrt waren. Sie saßen in dem schicksalshaften Wohnzimmer zusammen beim Kaffee. Garrett, sein Dad und die Schwester seiner Mum, Imogen, die trotz ihrer Rückenprobleme aus Brighton gekommen war und mit dem Nachtzug zurückfahren würde. Sie musste zu ihren Tieren zurück.

Mehr war von Garretts Familie nicht übrig.

»Noch nicht, Dad. Wegen der Schule und so... in den Ferien dann können wir... alles klarmachen«, murmelte Garrett leise. Sein Dad sah ihn aus Augen an, die ebenso braun waren wie die seines Sohnes, und strich sich die dunkelblonden Haare zurück.

»Du kannst doch nicht... hier allein...?!«

»Dad, ich bin 18! Und bis zu den Ferien sind es nur noch drei Wochen. Ich... muss packen und alles...«

Mr. Pinkerton nickte. Ja, sein Sohn war kein Kind mehr, doch etwas an ihm rief noch immer diesen starken Beschützerinstinkt in ihm hervor.

»Mir gefällt das trotzdem nicht.«

»Mir auch nicht. Nichts von dem, was hier passiert ist... aber ich muss einfach bleiben und nachdenken.«

»Das ist alles schrecklich. Ich sollte mit ihr in Brighton an der Promenade entlang spazieren. Stattdessen liegt sie nun da...«, flüsterte Tante Imogen mit belegter Stimme und ihr Schwager strich ihr über den Rücken.

»Also gut, Garrett. Bleib hier und pack' in Ruhe zusammen, was du mitnehmen willst. Solange werde ich schauen, dass ich eine größere Wohnung finde. Dein momentanes Zimmer bei mir fasst ja nicht mal deine Möbel. Du hast Recht, Imogen. Das ist  alles schrecklich.«

Schweigend beendeten sie ihren kleinen Leichenschmaus. Tante Imogen wurde gegen 19 Uhr von Mr. Pinkterton zum Bahnhof gebracht, um nach Brighton zurückzufahren. Anschließend quartierte er sich für die Nacht im Schlafzimmer seiner Exfrau ein.

Dionysos, der aus seinen Fehlern gelernt hatte, hatte mit den anderen Vampiren rund um das Haus Stellung bezogen. Garrett sollte dieses Stück Familie nicht auch noch verlieren.

Dem Vampir wäre es lieber gewesen, wenn Mr. Pinkerton darauf bestanden hätte, Garrett mit nach London zu nehmen. Das hätte ihn zwar von ihm fortgeführt, doch der Junge wäre dann in Sicherheit.

Doch Garrett, zerbrechlich wie er auch aussehen mochte, hatte einen starken Willen und einen ausgesprochenen Dickkopf.

Es war ungewohnt für Garrett, nach einer Woche in Dionysos' Himmelbett, wieder in seinem eigenen Bett zu liegen. Doch er konnte ja nun, wo sein Dad im Haus war, schlecht zur Hütte hochgehen.

Es tat gut, seinen Dad zu sehen. Als dieser am Samstag Vormittag in Gatwick angekommen war und Garrett begrüßte, hatte sich dieser wie ein Kind in seine Arme geworfen. Doch so sehr er sich freute, war er erst dann wieder beruhigt, wenn sein Dad wieder sicher in London war.

DIONYSOS I. ZufluchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt