31. Belladonna

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Garrett schrie auf, als Allisters scharfe Zähne grob die Haut an seinem Hals zerrissen. Die Knie knickten ihm ein und sein Angreifer ließ ihn einfach auf den Boden sinken, wo er benommen liegen blieb.

Dionysos hatte ihm einst erklärt, dass der Biss eines Vampirs wie der Blick in seinen Spiegel war. Ein Blick in die Seele.

Und Garrett hatte nicht gefallen, was er bei Allister gesehen hatte. Unter der Bosheit, die über Dekaden in ihm geschwelt hatte, war so viel anderes verborgen, was einen schönen, einst so edlen Mann zu einem verbitterten, gierigen und neiderfüllten Monster hatte werden lassen.

Eines, das nun wieder lachte, während er, Garrett, noch immer im Kopf Karussell fuhr.

»Ein köstlicher, frischer Tropfen. Leider nicht mehr unberührt. Das hat er sicher deiner widernatürlichen Gier zu verdanken, oder, Dionysos?«

Der Angesprochene erholte sich schnell von dem Schrecken, Garrett in den Händen dieses Scheusals zu sehen, und richtete einen seiner Säbel, mit denen er zuvor Ghoule und Allisters Handlanger in Schach gehalten hatte, auf ihn.

»Wag' es nicht, so mit mir zu reden«, fauchte er dunkel und seine Augen glühten rot.

Allister zuckte nur mit den Schultern. »Jeder, wie er mag. Wegen mir könntet ihr einander totvögeln. Doch das wäre mir dann doch ein zu leichter, wenn nicht sogar schöner Tod für dich. Nein, nein. Ein Krieger darf nicht im Bett sterben, ist es nicht so? Nein, er lässt sein Leben bei dem Versuch, sein lächerlich dummes und naives Liebchen zu beschützen. Ja, das hat Charme. Wie ein alter Heldenepos vom gefangenen Fräulein, dem edlen Ritter und dem Drachen, der schließlich beide frisst.«

Dionysos knurrte, doch wurde ruhig, als sein Blick auf den von Garrett traf, der bleich und zitternd am feuchten Boden lag. Sein Gesicht war voller Reue, Kummer und Schuld, das Wasser schwamm ihm in den Augen und doch glaubte der Vampir zu wissen, dass diese Angst und diese Tränen ihm galten. Garrett hatte keine Angst um sich selbst. Sondern um die, die ausgezogen waren, um ihn zu beschützen. Dass Garrett das unvergleichliche Talent hatte, gegen jede Vorsichtsmaßnahme, die er, Dionysos, zu treffen vermochte, dennoch in Schwierigkeiten zu geraten, erboste ihn nicht. Es verlieh ihm nur noch mehr den Wunsch, Garrett fest bei sich zu halten.

Und dass Allister es gewagt hatte, das Blut zu kosten, das ihm gehörte, versetzte Dionysos in glühende Wut. Er packte seine Waffe fester.

»Du hast nicht aufgepasst, als dir deine Amme diese Märchen vorlas. Sonst wüsstest du, dass am Ende immer der Drache fällt und der Ritter mit dem Fräulein in den Abend davon reitet.« Er setzte an, auf Allister loszustürmen. Stille herrschte auf dem Platz, als hätten alle Anwesenden beschlossen, den beiden wie bei einer Theateraufführung zuzuhören.

Allister hob seine elegante Waffe, deren Rückstoß Garrett vermutlich die Schulter geprellt hätte, und lächelte nur auf die gleiche nervtötende, charmante und süffisante Art wie immer.

Dionysos zögerte nicht. Eine Waffe, auch eine dieses Kalibers, konnte ihm nichts anhaben. Er musste nur schnell genug sein, um Garrett hier wegzubringen. Dieser kleine Narr!

Der Junge verfolgte seinerseits die gespannte Situation und fühlte sich krank vor Schuld, dass er Dionysos nur Ärger machte. Besorgt sah er, dass Allisters Waffe auf den Kopf Dionysos' gerichtet war und handelte ganz instinktiv. Er wusste, dass Feuerwaffen Vampiren eigentlich nichts ausmachten. Würde Allister also auf ihn zielen, wenn er nicht einen Sinn dahinter sehen würde?

Ohne nachzudenken, packte er die Hand Allisters, zog mit all seinem Gewicht daran und der Schuss, den der Vampir auf Dionysos abgegeben hatte, verfehlte sein Ziel, schlug in den matschigen Kopf eines Ghouls ein und streckte diesen nieder.

DIONYSOS I. ZufluchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt