»Mum« war alles, was er rausbrachte, bevor es in seinem Hirn durchbrannte. Er rannte los, wie noch nie in seinem Leben, getrieben von der Angst, über Stock und Stein, aller Dunkelheit zum Trotz.
«Haltet ihn auf!«, hörte er Dionysos schreien, doch die Vampire bekamen ihn nicht zu fassen. Er schlug die Hände weg, die ihn greifen wollten, hörte sie hinter sich im Unterholz, doch er rannte, als wären sie der Feind, nicht die, die ihn schützten.
Äste schlugen ihm ins Gesicht, hinterließen einen blutigen Striemen auf seiner Wange, doch er fühlte es kaum. Ebenso den Boden unter seinen Füßen.
Er flog mehr, als dass er lief.
Schmerz durchzog seine überanstrengten Muskeln, der Atem rasselte in seiner Lunge und sein Herz fühlte sich doppelt so groß in seiner Brust an. Doch die Angst trieb ihn weiter wie die Peitsche einen Sklaven.
Bitte!, dachte er verzweifelt. Bitte lass alles in Ordnung sein.Schlitternd kam er an der Grenze zum Garten zum Stehen, er war zerzaust, dreckig, blutig und völlig erledigt, doch noch immer trieb ihn die unsichtbare Peitsche. Die Vampire tauchten hinter ihm auf, doch niemand versuchte mehr, ihn aufzuhalten. Stattdessen waren sie wachsam.
Garrett betrat die Terrasse, zitternd wie Espenlaub, und lief geradewegs auf die Tür zu.
»Sie ist offen. Sie darf nicht offen sein, ich hab sie doch abgeschlossen!«, brabbelte er und ging ins Haus.
»Mum?«, rief er und wandte sich erschrocken um, als jemand hinter ihm stand. Doch es war Jack, der als sein Schutz mitgekommen war.
Es war stockdunkel und totenstill. Auch auf der Straße vor dem Haus war nicht das geringste Anzeichen, dass jemand den Schrei gehört hatte. Hätten sonst nicht Polizei und Gaffer da sein müssen? Oder zumindest die Fenster der Nachbarn hell? Doch es war wie immer um 3 Uhr morgens in Gatwick. Alles schlief.
Garrett eilte nervös und mit wildrasendem Herzen durch den Flur und sah als erstes in das Schlafzimmer seiner Mutter.
»Mum?«, rief er wieder, als er sah, dass es leer war. Sein Hals zog sich zu, als die Angst die ersten Tränen aufsteigen ließ.
»Mum!«, schrie er nun fast, rannte in die ebenso leere und kalte Küche zurück und fühlte die eiskalte Hand der Furcht nach ihm greifen, als nur noch das dunkle Wohnzimmer blieb.
»Das ganze Haus riecht verseucht«, hörte er Jack murmeln, sicher für die anderen draußen und auch Garrett roch es. Es roch schwer, süß und eklig, warm und war vermischt mit Ghoulgestank. Langsam, mit Jack an seiner Seite, ging er auf die Wohnzimmertür zu.
»Mum?«
Jack sog scharf die Luft ein, als sie das Zimmer betraten und Garrett sah, dass sich auf dem blitzeblanken Parkettboden eine riesige, dunkle Lache gebildet hatte, wie ein schwarzes Loch im Boden. Inmitten davon lag...»Hol' ihn hier raus, Will, bitte. Sie ist tot«, sagte Jack betroffen, als Garrett auf die Knie fiel, die Hände auf den Mund gepresst. Der Arm seiner Mutter war ausgestreckt, als wollte sie auf etwas zeigen und als Jack und Garrett sich umwandten, sahen sie es. Mit dem Blut der Mutter quer über die weiße Wand geschmiert und deshalb selbst im Dunklen lesbar:
YOU'RE TOO LATE!
Garrett schrie auf und kämpfte im ersten Moment, als Dionysos die Arme um ihn legte und sein Gesicht an seine Brust presste, weg von dem Grauen um ihn herum., bestimmt, doch mit unendlicher Zärtlichkeit.
»Bring ihn zur Hütte und bleibt da. Wir machen das schon. Er braucht dich jetzt mehr als wir.«
Garrett klammerte sich inzwischen wie ein Ertrinkender haltsuchend an Dionysos und weinte hemmungslos. Dieser trug ihn aus dem Haus, weg von der Tragödie, die niemals hätte geschehen dürfen. An der er ebenso Schuld hatte, wie wenn er die Klinge geführt hätte, die der Frau den Hals zerfetzt hatte.
Er hatte wieder versagt. Wieder hatte ein Kind seine Mutter verloren. Er war so dumm, anzunehmen, Allister würde nicht so bald auf die Provokation durch seine eigene kleine Armee reagieren.
Er war so arrogant zu glauben, allein sein Name und sein Ruf würden die Familie schützen. Allister hatte Recht mit dem, was er über ihn gesagt hatte. Er war arrogant, überheblich und tat größer als er war. Und Garrett, dieser wunderbare und unschuldige Junge, musste nun für seine Dummheit büßen.
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DIONYSOS I. Zuflucht
VampiroDer Vampir Dionysos will nur seine Ruhe haben und in Frieden leben. Die Menschen und die Welt kümmern ihn nicht. Doch eine alte, fast vergessene Abmachung reißt ihn ebenso aus seiner Einöde wie der 18-jährige Garrett, der wie der Vampir im Wald nach...