7. Neugier

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Ein unangenehmer Schmerz ließ Garrett lange vor seinem Wecker aufwachen. Sich die Seite haltend setzte er sich in seinem Bett auf, wischte die Haare aus dem Gesicht und betrachtete seine Brust im blassen Morgenlicht, welches durch seine Gardinen fiel, die sanft im Wind mitschwangen.

Hatte er bei offenem Fenster geschlafen?

Mühsam erhob er sich, nur in Shorts, und stellte sich vor seinen Spiegel. Große blaue Flecken zierten seine Beine und seine Brust. Er hatte sogar einen nicht allzu tiefen Kratzer im Gesicht und etliche auf den Händen.

Das Atmen tat ihm weh.

Ausgerechnet an einem Tag, an dem Sportunterricht stattfand. 

»Das hast du ja wieder ausgezeichnet hinbekommen, Gott. Willst du mich noch mehr zum Gespött machen?«, murmelte Garrett und kämmte sich mit den Fingern den Schmutz aus den Haaren.

Seine Kleidung, die feucht und verdreckt war, lag auf einem ordentlichen Haufen neben seinem Bett, zusammen mit seinen Schuhen. Seine Tasche lag auf dem Sessel in der Ecke neben der Anlage.

Hatte er die dort hingelegt? Verwundert blickte er seinem Spiegelbild in die braunen Augen und setzte sich langsam wieder auf das Bett. 

Er konnte sich nicht erinnern, wie er nach Hause, geschweige denn halb nackt in sein Bett gekommen war. Er rieb sich den müden Kopf und dachte angestrengt nach.

Im Wald hatten Kyle und seine Blödies ihn letzten Endes erwischt und ihn verdroschen, doch irgendwann hatten sie aufgehört – warum?

Steine! Natürlich... jemand hatte Steine geworfen. Ein Mann.

Garrett hob ruckartig den Kopf aus seiner Grüblerpose und keuchte augenblicklich, denn diese Bewegung tat ihm weh. 

Ein Mann. Dunkle Haare. Dunkle Augen. Bleiches Gesicht. Attraktiv...

Garrett verzog den Mund und schüttelte den Kopf.

Es war doch egal, wie er aussah. Aber er hatte ihm im Wald geholfen und ihn... nach Hause gebracht? Weitergrübelnd merkte er, das ihm die Wärme in die kalten Glieder und auch ins Gesicht schoss, als die Erinnerung zurück kam.

Er, dieser Mann, hatte ihn getragen! Huckepack, den ganzen Weg aus dem Wald bis nach Hause und er hatte ihm die nassen Sachen ausgezogen!

Oh Fuck! Wie peinlich war das bitte?

Langsam ließ der Junge sich wieder in sein Kissen sinken und versuchte sich daran zu erinnern, was dieser ihm gesagt hatte, als er, Garrett, schon halb im Schlaf lag.

Er hatte ihn doch gebeten, nicht mehr in den Wald zu gehen, oder? Doch er hatte nicht gesagt, warum. Garrett hasste es, wenn man ihm etwas verbot, ohne ihm dafür Gründe zu nennen. 

Mit dem Blick an die Decke kicherte er einen Moment. Vielleicht hatte er auch einen Schlag auf den Kopf bekommen und sich diesen Typen nur eingebildet... warum sollte jemand allein im Wald leben? Noch dazu jemand, der so aussah? So aussah wie...

Garrett setzte sich ruckartig auf, verfluchte sich eine Sekunde und kramte nach seinem Handy, welches im Rucksack steckte. Mit kalten Fingern scrollte er durch die Fotos und fand schließlich die Fotografie, die er aus dem Buch gemacht hatte.

Dionysos.

Das war er doch, oder? Der Mann von gestern Nacht? Seine Augen versuchten, sich jedes Detail einzuprägen und mit der Erinnerung zu vergleichen.

Und dann entdeckte er den Beweis. Ein feiner Leberfleck unter dem rechten Auge. Der Künstler, der den Stich angefertigt hatte, hatte dieses Detail nicht unbeachtet gelassen und Garrett wusste ganz sicher, dass der Mann von gestern Nacht eben solchen Leberfleck hatte. Mal abgesehen, das Augen und Lippen genau identisch waren...

DIONYSOS I. ZufluchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt