24. Wein, Blut und Kirschsaft

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Verängstigt blickte der Junge sich um. Sein Atem rasselte und die schmale Brust fühlte sich zu klein an für sein rasendes Herz. Er musste sich verstecken, unbedingt...

Seine Füße machten leise klatschende Geräusche auf dem kalten Steinboden, seine Schuhe hatte er beim Laufen verloren. Panisch rannte er den Säulengang entlang. Wenn er nur Bruder William würde erreichen können, dann wäre er sicher. Ein leises Schluchzen entrang sich seiner Kehle.

Bruder William war nicht da. Er war auf Reisen, unterwegs zu einem anderem Kloster.

Er war allein!

Erschöpft blieb er stehen und sah sich hektisch um. Dort in einer der Kammern würde er sich verbergen können, bis der Zorn des Abtes abgeebbt war. Strafe würde ohnehin folgen, das wusste er. Zitternd zog er die Tür des Verschlages hinter sich zu und verbarg sich hinter Gartengeräten und modrigen Kisten. Irgendwo hörte er ein Geräusch und zuckte zusammen. Bebend vor Angst presste er seine kalten Finger an die Lippen. Seine Wangen waren tränennass.

»Heilige Mutter, bitte steh' mir bei. Ich habe nichts Unrechtes getan!«, betete er mit leiser Stimme, als die Tür aufgerissen wurde. Der alte Abt, rattengesichtig, niederträchtig, mit einem unlauteren und frevelhaften Glimmen in den Augen, stand dort, die Gerte in der Hand, bereit zu strafen.

»Hey Henry...«


Dionysos riss die Augen auf. Die Furcht des Kindes aus seinem Traum, der schreckliche Nachhall einer lange vergangenen Erinnerung, brach sich Bahn durch seine Selbstbeherrschung.

Hunger!, schrie die Bestie in ihm und ließ ihn knurren. Er roch Garrett mehr als dass er ihn sah. Sein Duft war so frisch, so voll, köstlich, rein. Ohne bewusst zu denken, warf er sich vor und packte ihn. Die Wärme seiner Haut, das geschmeidige Gefühl seiner neugewonnenen Muskeln, der schimmernde Schmelz und die Weichheit erregten ihn. Er musste ihn haben, hier und jetzt. Vollständig!

Als das heiße Blut seine Lippen benetzte, versank er in Glückseligkeit. Mechanisch, ohne es recht zu merken, zerriss er das bisschen Wäsche, das Garrett trug und nahm nicht nur dessen Blut, sondern auch seinen Körper.

Garrett schien keine Furcht zu empfinden. Überraschung, Schmerz ob der unerwarteten Vereinigung, sicher. Doch er beklagte sich nicht. Vielmehr schien er es zu genießen.

Dionysos erwachte erst aus seinem Taumel, als er Garretts Schrei hörte und dessen Höhepunkt heiß auf seinen Fingern spüren konnte. In der selben Sekunde riss es auch ihn in den Abgrund. Ermattet verschloss er die feine Halswunde an Garretts Hals mit seinem Speichel, damit sie heilen konnte.

Der Junge war blass. Sein Hals und auch die Arme, wo Dionysos ihn gepackt hatte, wurden blau und er lag vor ihm wie eine feingliedrige Puppe. Erschrocken legte der Vampir sein Ohr an die Brust Garretts. Sein Herz schlug noch.

Erleichtert darüber und erbost über seinen Kontrollverlust wischte Dionysos sich den Rest des Blutes vom Kinn, hob Garrett sanft hoch und trug ihn ins Schlafzimmer. Vorsichtig bettete er ihn in die Kissen, bevor er ihn etwas saubermachte.

Ich habe mich fürchterlich gehen lassen!, dachte der Vampir gereizt. Jahrelang hatte er schon kein Menschenblut mehr getrunken oder gar jemanden gebissen!

Und nun ausgerechnet Garrett. Und er hatte ihm wehgetan, ganz sicher. Der Höhepunkt war eine mechanische Reaktion seines Körpers. Dionysos bezweifelte, dass der Junge Spaß hatte an diesem gewaltsamen, raubtierhaften Überfall.

Ein leises Murren zeigte an, dass Garrett wieder zu sich kam. Er zuckte, als er die Augen öffnete und Dionysos am Bettrand sitzen sah.

»Es tut mir leid«, murmelte dieser. Der Junge drehte den Kopf weg und Dionysos konnte Tränen in seinen dunklen Augen erkennen.

DIONYSOS I. ZufluchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt