6. Eindringlinge

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»Nikodemus...«, brummte der junge Mann in seinem Sessel, als der schwarze Kater auf seinen Schoß sprang und ihn mit seiner feuchten Nase anstupste.

»Niko... ah, AUS jetzt!«

Sich das Gesicht abwischend sprang der Mann hoch und guckte den Kater finster an, der ihm soeben an der Nase geleckt hatte. Dieser verengte die Augen zu Schlitzen, leckte sich erneut über das Maul und miaute dann.

»Nette Art, mir zu sagen, dass du Hunger hast, du Plagegeist.«, grummelte der Mann und verschwand in seiner kleinen Küche, den Kater auf den Fersen. 

Nachdem das Tier in seinem Fressen versank, streckte sein Herrchen sich und rieb sich den Nacken. Er hatte ein erfrischendes Nickerchen gemacht und täte es noch, wäre er nicht gestört worden.

Wie lange hatte er nicht geschlafen? Zwei Nächte? Sicher, er war jagen.

Mit einem Lächeln goss er sich etwas Wasser in ein Glas und verließ sein Haus. Der Wald duftete nach Sommer, nach Moos, Holz und Regen. 

Den Blick nach oben gewandt erwartete er jeden Moment den ersten heftigen Donner. Er fühlte es förmlich bis in die Haarspitzen. Dennoch trafen ihn zuerst ein paar feine Regentropfen. 

Auch gut. Es war schwül unter dem dichten Blätterdach.

Er lehnte sich an das Fensterbrett und wollte eigentlich die Ruhe genießen, als ungewöhnlicher Krach in seine Ohren drang.

Das Knacken von Ästen, das laute, schwere Atmen eines Menschen und das Lachen anderer. Gemeines Lachen.

Er hatte kein gutes Gefühl damit. Doch er beschloss, die ihre Suppe selbst auslöffeln zu lassen.

Was kümmerten ihn diese unbedeutenden Geschöpfe?

Er wollte schon desinteressiert wieder ins Haus gehen und sich seinem Buch widmen, als eine feine Duftsignatur in seine Nase drang. Augenblicklich stellten sich seine Nackenhaare hoch.

Es war der Junge! Der kleine nächtliche Eindringling, der in den Wald kam, um zu fotografieren – und zu weinen.

Sein Duft war intensiver als sonst, als würde etwas sein Blut in Wallung bringen. In den Duft mischte sich feiner Schweiß und die Spur schnellen Atems. 

Er war es, der rannte. Der vor dem gemeinen Lachen floh. 

Entgegen seiner Art war das Interesse des Mannes geweckt. Etwas zwang ihn förmlich, der Spur zu folgen und zu sehen, was mit dem Jungen geschah.

Er ging ins Haus, um eine dunkle Jacke über sein weißes Hemd zu ziehen. Der Kater lag seitlings auf dem kühlen Küchenfußboden und putzte seine Futterwampe.

»Du passt auf, ja? Ich bin gleich wieder da, Dicker.«, murmelte er zu dem Tier und verschwand in die zunehmende Dunkelheit. 

Der Duft des Jungen, dessen Namen er nicht kannte, verstärkte sich, als käme er der Hütte immer näher. Allein dies war ein Grund, einzugreifen und die Menschen notfalls umzulenken. Sein Refugium würde kein Mensch betreten!

Lautlos wie ein Reh folgte er der Spur. Dem Geruch nach hatte der Junge furchtbare Angst.

Allerdings wunderte ihn das nicht. Die meisten hätten sie, wenn sie verfolgt würden. Die Duftspuren der Verfolger waren sonderbar unangenehm in der Nase des jungen Mannes. Gemein und fies, wie das, was sie vermutlich mit ihrem bis zur Erschöpfung gehetzten Opfer vorhatten. Dessen Herz raste, dass es ihm fast leid tat.

An der großen Eiche schien er zum Stehen zu kommen. Sein Duft breitete sich dort aus. 

Der junge Mann beschleunigte seine Schritte und erreichte den Baum wenige Sekunden nach dem Jungen. Da er sich nicht zu erkennen geben wollte, erklomm er den Riesen behände und beobachtete die Situation.

DIONYSOS I. ZufluchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt