8. Strafe folgt...

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Die gleißende Sommersonne versank hinter den Bergen, die das kleine Gatwick einrahmten, und der junge Mann erwachte aus seinem Schlummer. Der dicke schwarze Kater hatte sich in sein Schlafzimmer geschlichen und schlief schnurrend am Fußende des alten Himmelbettes. 

»Nikodemus, du alter Schuft, was machst du hier...?«, brummte der Mann und erhob sich. Ihm war schwindelig, denn die drückende Hitze verdrängte beinahe allen Sauerstoff aus dem Raum.

Tief durchatmend trat er aus dem Haus und sog die kühle Abendluft in seine Lungen. Herrlich, wie kühl es unter dem dichten Blätterdach war, während sein Haus einer Sauna gleichkam. Eine Brise fuhr ihm durch das schweißfeuchte Haar und er öffnete verwundert die Augen.

Diesen Duft kannte er. Er kannte ihn nur zu gut. Doch was hatte Garretts Geruch so frisch und intensiv hier an seiner Hütte zu suchen? Er war doch nicht etwa...

Stirnrunzelnd folgte er dem Geruch des Jungen. Er musste vor einigen Stunden hier gewesen sein, sein Duft reichte beinahe bis an die Haustür.

Dieser kleine Schwachkopf! Er hatte geschworen, dem Wald fernzubleiben.

Der junge Mann seufzte.

Er hätte es wissen müssen, dass er den Plagegeist nicht einfach so loswerden würde. Wahrscheinlich war er am Abend zuvor schon so erschöpft, dass er sich an das kurze Gespräch gar nicht mehr erinnern konnte. 

Aber doch genug, um sich bis hierher durchzuschlagen.

Kopfschüttelnd nahm er auf einer selbstgezimmerten Bank platz und blickte in den dunkler werdenden Wald. 

Was war mit dem Jungen los? Was war es, das ihn immer wieder in den Wald trieb, weit weg von seinen Altersgenossen. Es konnten doch nicht alle so hinter ihm her sein wie diese Idioten in der Nacht zuvor. 

»So weit ist es schon mit mir gekommen...?«, murmelte er und erhob sich wieder. Was kümmerte es ihn, was in dem Kopf dieses Jungen vorging? Er wusste noch nicht einmal, warum er gestern Abend überhaupt eingeschritten war, als er ihn am Boden hatte liegen sehen. Es konnte nicht nur damit zusammenhängen, das er ähnliche Erfahrungen gemacht hatte – unzählige Jahre in der Vergangenheit.

Er rieb sich mit den Händen über den Nacken und schob einen leisen Gedanken beiseite, der sich hartnäckig immer wieder in den Vordergrund drängte.

Er war schon sehr lange allein. Er war einsam und sein Körper reagierte auf ganz natürliche Weise darauf.

Wütend biss er sich auf die Zunge, um den Gedanken zu vertreiben und stand auf. 

»So ein Unsinn!«, schimpfte er mit sich selbst, betrat seine Küche und nahm eine Flasche aus dem Kühlschrank, deren Inhalt er noch kalt hinunterstürzte. 

Was sollte er an diesem spindeldürren Bengel schon als anziehend empfinden, abgesehen von seinem köstlichen Geruch?! Das war lächerlich! Er war noch ein Kind! 

Der junge Mann seufzte und wischte sich den Mund sauber.

Und trotzdem hatte er, wann immer er Garrett im Wald bemerkte, automatisch ein Auge auf ihn. Schon viele Jahre lang, was diesem gar nicht bewusst war. Es war sonderbar, dass es 4 Jahre gedauert hatte, bis der junge Mann dessen Namen erfuhr.

Denn vor 4 Jahren tauchte Garrett das erste Mal im Wald auf, tiefer als Spaziergänger diesen für üblich betraten, bewaffnet mit einer Kamera, einem Rucksack und einem Riesenbündel Trauer auf seinen Schultern.

Der junge Mann hatte seinen Geruch in der Abendbrise wahrgenommen und war diesem, geplagt von Hunger, gefolgt. Was er sah, hatte er bis zum heutigen Tag nicht vergessen. 

DIONYSOS I. ZufluchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt