29. Finstere Absichten

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Wolken waren aufgezogen und verbargen den silbernen Mond hinter sich, als der dunkelhaarige Mann an das Fenster des alten Fabrikgebäudes trat. Finster starrte er hinaus, sich des Geräuschs des Regens überdeutlich bewusst.

Seine Haut juckte und er hatte den Drang, zu schlafen; wie alle Vampire ihn hatten, wenn es regnete.

Diese impertinenten Störenfriede verdarben ihm nun seit Wochen den Spaß, den er sich durch das Einschleppen der Ghoule in dieses langweilige Nest erhofft hatte. Drei, gerade einmal DREI Menschenleben hatte ihre Anwesenheit hier gefordert.

Wie langweilig.

Ein überhebliches, gemeines Lächeln breitete sich auf dem hübschen Gesicht aus, als er an die süße, süße Madelyn Pinkerton dachte. Wie unschuldig und nichts Böses ahnend sie ihm die Tür geöffnet hatte. Wie wunderschön ihr Blut auf dem Boden geglitzert hatte. Wie gern er jeden einzelnen Tropfen davon verschlungen hätte. Doch das ging nicht. Das Blut hatte dem Jungen und besonders diesem vermessenen Emporkömmling eine Botschaft sein müssen.

Doch offenbar hatte es ihn und seine Bande von Strauchdieben nur dazu angetrieben, seine Ghoule hinzuschlachten und sämtliche Friedhöfe zu bannen. Er hätte wissen müssen, dass sich jemand wie Dionysos nicht so leicht von seinem angestammten Platz vertreiben lassen würde.

Das Lächeln wurde bösartiger. Doch auch dieser Vampir hatte eine Schwachstelle. Eine Achillesferse, die ihm das Genick brechen würde, wenn er sie nur zu fassen kriegen konnte. Er würde sich unter keinen Umständen diesem elenden Fischersohn geschlagen geben. Er mochte ihm machtmäßig unterlegen sein, doch er würde ihn brechen. Unter allen Umständen.

»Mylord Allister?«, ertönte eine leise Stimme hinter ihm. Er wandte sich nicht zu dieser um, denn er konnte seinen Lakaien in der Spiegelung des Fensters sehen. Die Scheiben waren dreckig, wie alles in dem alten Sägewerk, doch dafür reichte es. Sie waren zu viert hereingekommen, während die anderen an unterschiedlichen Orten Wache standen.

»Was willst du?«

»Thomas ist gefallen, Sire. Er ging in die Stadt, um sich zu nähren. Als er nicht zurückkehrte, habe ich nach ihm suchen lassen. Sie haben ihn erwischt, Mylord. Am Kirchplatz haben wir seine Asche gefunden...«

Allister fauchte bedrohlich und drehte sich langsam zu dem Mann, der ihn angesprochen hatte, um. »Habe ich euch Schwachköpfen nicht ausdrücklich gesagt, niemand  jagt in der Stadt, bevor wir Dionysos und seine Leute nicht ausgeschaltet haben?!« Seine Stimme war leise, seine dichten Brauen über den dunklen Augen bedrohlich zusammengezogen und seine Fangzähne deutlich sichtbar. Sein Gegenüber erstarrte und schluckte schwer. Allister verursachte mit einer leisen, fast sanften Tonlage viel mehr Furcht bei seinen Leuten, als wenn er gebrüllt hätte.

»J-ja, Mylord. Doch Thomas...«

»Doch Thomas!«, brüllte Allister nun doch los und schleuderte einen alten Stuhl, der in Griffweite war, nur wenige Zentimeter am Kopf des Mannes vorbei an die Wand, wo er in tausend Splitter zerbrach. »Wenn ich sage, ihr bleibt hier, dann erwarte ich, dass ihr meine Befehle befolgt, ist das klar? Niemand geht allein hinaus, solange da draußen vier Vampire gegen uns sind! Ich brauche jeden einzelnen von euch, wenn ich Dionysos besiegen will. Er mag mächtiger sein als ich, doch er allein kommt nicht gegen uns alle an. Ich will ihn weghaben. Und mir reicht es lange nicht mehr, ihn nur aus der Stadt zu vertreiben. Ich will, dass er zu Asche zerfällt und mit ihm das alte System! Habt ihr mich verstanden?!«

Drei der anwesenden Vampire nickten eingeschüchtert und kleinlaut, doch der, der Allister angesprochen hatte, zögerte - was diesem nicht entging.

DIONYSOS I. ZufluchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt