4. Isolation

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Garrett seufzte, als es nach der letzten Stunde klingelte. Mit einem letzten Schwung des Kugelschreibers notierte er sich die enorme Hausaufgabe, die der Englischlehrer seinem Kurs aufgebrummt hatte.

Das einzig Gute daran war, das es ihnen überlassen war, das Thema zu wählen. So hatte der alte Habicht nachher kein Recht, sich zu beschweren, wenn seine Hausarbeit von Vampiren handelte oder von seiner Lieblings-Metalband.

Er war müde und nicht gerade ein begeisterter Schüler, doch er mochte Arbeiten, in denen er Kreativität beweisen musste. Und so waren seine Essays und Aufsätze stets mit sehr guten Noten belohnt. 

Es regnete, als er das Schulgebäude verließ und beobachtete seine Mitschüler, wie diese versuchten, halbwegs trocken zu ihren Fahrrädern oder Autos zu gelangen.

Nicht viele Schüler in Gatwick hatten eigene Fahrzeuge, außer hier und da mal ein klappriges Moped. Die Menschen waren einfach und hatten einfache Jobs. Die wenigen, die studiert hatten und nun als Anwälte oder Ärzte ihr Geld verdienten, konnten es sich allerdings leisten, ihren Kindern eigene Autos zu kaufen und bildeten sich höllisch etwas darauf ein.

Garrett ließ sein Fahrrad unbeachtet am Unterstand stehen. Er würde gleich jetzt mit den Vorbereitungen zu seinem Essay anfangen und huschte im Regen über die nur mäßig befahrene Straße.

Die Bibliothek der Stadt, die auch von der Schule genutzt wurde, stand für jedermann offen und die alte Bibliothekarin kannte Garrett schon, da war er noch ein kleiner Junge. Sie war die Einzige, die ihn wirklich zu mögen schien, hatte er manchmal das Gefühl. Die nie komisch guckte, wenn er mit Makeup um die Augen auftauchte oder mit einem besonders auffälligen Outfit. Sie sagte, er erinnerte sie an ihren Enkel aus Manchester. Der würde sich an den Wochenenden mit seinen Freunden in Clubs treffen und auch immer so rumlaufen.

Garrett glaubte, sie hielt ihn für schwul. Doch wenn er ehrlich mit sich selbst war, wusste er selber nicht, was er war.

Er wusste nur, das er trotz seiner 18 Jahre noch nie Interesse an einem Mädchen hatte. An einem Jungen aber auch nicht. Wie denn auch bei den ganzen Idioten, die sich seine Altersgenossen nannten?!

»Oh hallo, Garrett. Schön, dich mal wieder zu sehen.«, begrüßte ihn Mrs. Bigsby, die Bibliothekarin mit einem Lächeln, welches er erwiderte. Eigentlich lächelte er fast nur sie an.

»Hallo, Mrs. Bigsby. Was macht das Knie?« Die Dame war bereits etwas über 60 und klagte schon eine Weile über Arthritis im Kniegelenk.

»Es geht etwas besser jetzt. Was brauchst du denn heute, mein Junge?«

Garrett dachte einen Moment nach.

»Könnten Sie mir helfen, alles zusammenzutragen, was mit übernatürlichen Legenden zu tun hat? Besonders alles über Vampire? Ich soll ein Essay schreiben und der alte Habicht, sorry, Mr. Warmer, hat uns kein Thema vorgegeben.«

Die alte Bibliothekarin zwinkerte und wuselte sogleich mit dem Jungen los. Es dauerte keine 10 Minuten, da hatte Garrett einen Stapel aus 7 dicken und alten Büchern auf einem Tisch liegen.

»Und denk dran, Schätzchen. Informationen findest du auch in diesem neumodischen Internet. Du bist der Einzige aus der Schule, der für die Hausaufgaben noch hier her kommt. Die anderen klappern nur auf dem Computer rum.«

Garrett lächelte. Sicher würde er auch noch Informationen aus dem Internet ziehen, wenn er das Essay eh tippen musste, aber er mochte die Bibliothek. Dort war es ruhig.

»Ich liebe den Duft alter Bücher, Mrs. Bigsby und ich mag Ihre Kekse.«

Die alte Dame tappte ihm auf den Kopf und huschte los, während Garrett das erste Buch aufschlug. Es war eine Sammlung von Legenden über Dämonen der Nacht, die sich nach Blut verzehren. 

DIONYSOS I. ZufluchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt