Twenty-Five

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Carter

Ich war schon in der ganzen Welt unterwegs und hatte damit mehr gesehen, als die halbe Bevölkerung Amerikas zusammen. Und obwohl ich so oft auf Reisen war, kannte ich mich scheinbar in New York nicht im Geringsten aus. Das lag vermutlich hauptsächlich daran, dass ich mich nur in Manhattan aufhielt und die andere Bezirke immer gemieden hatte. Doch in diesem Teil von New York war ich noch nie, obwohl das Gebäude unserer Firma etwa vier Straße entfernt stand.

Ich lebte bereits mein ganzes Leben hier und tat die verrücktesten Sachen, doch solch normalen Dinge, wie ein Kino besuchen, gehörte nicht zu den Dingen. Das letzte mal, dass ich so eine Einrichtung besucht hatte, war eine Ewigkeit her. Dreiundzwanzig Jahre um genau zu sein. Ich konnte mich nicht mehr an den Film erinnern, den ich mir angesehen hatte, nur dass meine Mutter damals noch gelebt hatte. Zwar war sie sich ihrer Diagnose bereits bewusst, doch sie versteckte es in solch kleinen Momenten vor uns, indem wir ganz normalen Dingen nach gingen.

Seitdem hatte ich nie wieder ein Kino betreten, auch weil ich defnitiv keine Zeit für solchen Kleinmist hatte. Wenn ich noch nicht einmal einen tiefen Atemzug nehmen konnte, wie sollte ich da Zeit finden, um mir einen schlechten Hollywood-Film anzusehen?

Nachdem Raya und ich allerdings die Karten für eine Veranstaltung gewinnen konnten, blieb mir nichts anderes übrig, als diesen Gewinn auch einzulösen. Außerdem hätte ich es sowieso nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können, sie ganz alleine an Halloween, wo es in den Straßen nur so vor Spinnern und Idioten wimmelte, rausgehen zu lassen. Ich war vielleicht kalt, aber nicht vollkommen herzlos.

Ich mocht es eigentlich nicht, Filme zu sehen. Eigentlich hasste ich alles, was mit Unterhaltung zu tun hatte. Zum einen kaufte ich den Schauspieler nie ihre Rollen ab, zum anderen gab es seit dem Tod meiner Mutter keinen richtigen Grund für mich, wieso ich mir auch nur eine einzige Sekunde frei nehmen und mich am leben erfreuen sollte, wenn sie etwa drei Meter unter der Erde lag und keinen solcher Momente jemals wieder erleben könnte. Doch das konnte ich Raya unmöglich sagen. Sie wäre vollkommen enttäuscht gewesen und alleine der Gedanke, sie - meinetwegen - traurig und eingeknickt zu sehen, ließ etwas in meiner Brust anschwillen. Also würde ich zwei Stunden der grausamsten Folter überstehen, und zwar nur damit Raya ihren verdammten Spaß hatte.

"Halten Sie hier", wies ich Hendricks an und mein Fahrer hielt auf der gegenüberliegenden Seite des Kinos. Bevor ich ausstieg, sah ich mir die Gegend an, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten kaum verändert hatte. Doch eine Sache war nicht so wie in meiner Erinnerung, und zwar die Frau, die bereits am Eingang in einem luftigen Kleid auf mich wartete, obwohl wir fast November hatten. Das Wetter wurde düsterer, doch nichts - noch nicht einmal ein schweres Gewitter - könnte Rayas inneres Strahlen eindämmen. Sie blickte gerade auf ihr Handy und scrollte auf ihrem Display herum, vermutlich um abzuwarten, ob ich wirklich hier aufkreuzen oder sie im Stich lassen würde. Mir gefiel der Gedanke, dass sie gerade an mich dachte.

Ich griff nach der Türklinke und öffnete die hintere Tür, um auszusteigen. Raya sah in dem Moment auf und augenblicklich verwandelte sich ihr nervöser Gesichtsausdruck zu einem Lächeln. Ein Lächeln, das sie nur mir zuwarf. Ich ließ keine Zeit verstreichen und lief über die Straße zu dem kleinen Gebäude, das völlig an Glanz verloren hatte. Trotzdem strahlten bunte Lichter von Außen, die die Leute zum Hineingehen verlockte.

Da heute Halloween war, waren die meisten sowieso auf den Straßen oder in irgendwelchen Clubs unterwegs. Trotzdem waren die Horrorfilme am gruseligsten Tag des Jahres so begehrt wie nie, weshalb eine lange Schlange bereits vor dem Eingang zu sehen war. Sie konnten ja nicht ahnen, dass ihr Warten völlig umsonst sein würde.

"Bereit, heute kein Auge wegen des Film zumachen zu können?", fragte sie zur Begrüßung und ich verdrehte die Augen. Eher würde die Welt untergehen, als dass mich einer dieser schlechten Filme in Panik versetzen könnte.

The Warren-Deal | (Broken Billionaires, #1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt