Raya
Ich stellte die letzte Schüssel auf den wackligen Gartentisch und wischte mir die Hände an meinem Kleid ab. Meine Tante trat hinter mich und blickte mir ratlos über die Schulter. "Denkst du, es ist genug?"
Ich konnte mir ein Schnauben nicht verkneifen. Das Treffen der freiwilligen Helfer und Ehrenamtlichen stand heute auf dem Programm, doch wenn ich Treffen sagte, dann meinte ich wohl eher Fest. Heute sollten speziell diejenigen geehrt werden, die bei der Blutspenden-Aktion tatkräftig unterstützt haben, obwohl das alles nur ein Vorwand war, um einfach zusammenzukommen und etwas gemeinsame Zeit zu verbringen. Die meisten kamen aus der Nachbarschaft, weshalb sich viele bereits untereinander kannten.
"Tía, es ist immer genug", lächelte ich und sah zurück auf den fast schon überfüllten Tisch. So wie Mütter und Tanten nun einmal waren, hatten sie immer Sorge, dass die Gäste verhungern könnten.
Sie zuckte lächelnd mit den Schultern als Vic sich zu uns gesellte. In ihrer Hand trug sie bereits einen Pappteller, um ihn ordentlich zu füllen, doch meine Tante warf ihr einen strengen Blick zu, der ihr sagen sollte, dass sie zuerst die anderen dran waren, bevor sie sich ihren eigenen Teller füllen durfte.
"Schon gut, ich halte mich zurück", murmelte sie und meine Tante lief mit einem letzten drohenden Blick zurück in das Gebäude.
Wir hatten Spätsommer, was bedeutete, dass der Herbst nicht mehr lange auf sich warten ließ, genauso wenig wie die kalten Tage und Nächte. Genau aus diesem Grund nutzen wir jede Gelegenheit, um die letzten wärmenden Strahlen der Sonne aufnehmen zu können.
Ich mochte den Sommer, ich mochte die heiße Sonne und die aufgewärmte Luft. Ich mochte die langen Tage und die kurzen Nächte. Ich mochte das Gefühl der Ewigkeit. Vielleicht lag es in meinen Genen, immerhin war meine Heimat Kuba und damit Sommer pur.
Doch was ich noch mehr mochte als den Sommer, war der Winter. Ich liebte den Winter. Ich liebte es, wenn die Bäume ihre Blätter verloren und sich vollkommen nackt präsentierten. Ich liebte es, die ersten Schneeflocken fallen zu sehen, die eine ganze Welt in eine weiße, strahlende Schicht umhüllten. Ich liebte die Feiertage, an denen die ganze Familie - so klein sie auch war - zusammen kam. Im Sommer war alles leicht, doch im Winter wirkte alles irgendwie perfekt.
"Man, meine Mom dreht schon wieder am Rad", seufzte Vic und strich sich ein paar Strähnen hinter ihr Ohr, sodass ihre Goldarmbänder klimperten. Sie hatte neuerdings meine Scmucksammlung für sich entdeckt und ließ es sich nicht nehmen, das ein oder andere Teil mitgehen zu lassen. Wenn ich sie nicht so lieben würde, dann hätte ich ihr alles längst schon wieder abgenommen. Sie war wie eine kleine Schwester für mich, die ich nie hatte. Zwar lagen zwischen uns zehn Jahre Unterschied, aber ich könnte mir kein besseres Verhältnis zu meiner Cousine vorstellen. Klar, sie hatte ganz andere Probleme im Kopf, doch zumindest tickten wir ziemlich ähnlich, was alles etwas leichter machte.
"Sei lieber nett zu deiner Mom", erinnerte ich sie daran und warf ihr einen eindringlichen Blick zu. Vic war sechzehn und steckte noch vollkommen in der Pubertät. Ich weiß noch, wie ich meinen Dad und meine Tante auf Hochtouren gebracht hatte als ich in ihrem Alter war. Ich wollte nicht, dass sie das nochmal durchmachen müssen.
Meine Cousine verdrehte die Augen, genauso wie sie es immer tat, wenn sie dachte, dass ich überreagierte. Später wird sie es mir noch danken.
"Ich meine es ernst, Vic", entfernte ich und stemmte leicht die Hände in die Hüfte. Ich würde alles dafür geben, einen einzigen Tag mit meiner Mutter verbringen zu können.
"Schon gut, lass uns lieber über etwas anderes reden", versuchte sie schnell das Thema zu wechseln. "Wie zum Beispiel über dich und einen gewissen und ziemlich charmanten New Yorker."
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The Warren-Deal | (Broken Billionaires, #1)
Romantizm𝑪𝒂𝒓𝒕𝒆𝒓 Das Multimilliarden-Unternehmen meiner Familie erschafft die Zukunft der Welt, doch als Vorstandsmitglied gibt es nichts wichtigeres als die Zukunft der Firma zu sichern. Meine Aufmerksamkeit sollte dabei vollkommen auf dem Wohlergehen...