Wiedererlangte Erinnerungen

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›Immer wieder kehrte das Bild der grell leuchtenden blauen Augen auf, die mich anstarrten. Augen, die von Kristalliten gefüllt waren und eine Macht ausstrahlten, die weit über die Macht der Vampire ausging. Nein, ein Mensch konnte das nicht gewesen sein, auch wenn in den Augen eine Trauer widerspiegelte, die innerlich vor Verzweiflung schrie.

»Du wirst jetzt schlafen.«

Die Worte einer jungen Frau, die ich zuletzt vernahm, bevor mein Bewusstsein mir entglitt.

Diese Stimme...‹


Vierundzwanzig Stunden zuvor.

Die Tage vergingen wie im Flug und die Nächte wurden länger – der Winter zeigte sich in seiner vollen Blüte, nachdem Yuna und ihr Bruder in jener Nacht ihr Lied spielten. Aber auch die Zeit der Halbjahresprüfungen rückte näher, was jeden Beteiligten der Day-Class in Angst und Schrecken versetzte – außer Yuna. Die junge Vertrauensschülerin hatte mit am wenigsten Probleme, was die Prüfungsvorbereitung anging, und nutzte die Hilfsbereitschaft, um ihren Mitschülern auf die Sprünge zu helfen. Vor allem Yuki suchte verzweifelt Hilfe in der Mathematik, weswegen sie sich zusammen mit Sayori und Agatha in der Küche des Wohnheims aufhielten und am Tisch lernten, während der Rektor die Nachtschichten übernahm. Aber egal wie sehr Yuna sich anstrengte, vor allem Yuki etwas beizubringen, es führte zu keinem Erfolg. Dies hielt Yuna so lange durch, bis sie schließlich seufzte und im Essensschrank etwas herauskramte, das nach zwei Packungen Kekse allerlei aussah.

»Was hast du da?«, fragte Sayori, die währenddessen beobachtete, wie Yuki den Kopf auf die Hände stemmte und ihre Gedanken nicht sortiert bekam.

»Nervennahrung.«

Diese Art von Nervennahrung reichte zum Glück aus, um in den darauffolgenden Stunden die Lernziele zu erfüllen. Selbst bei Yuki gingen die Mundwinkel nach oben, als bei ihr endlich das Licht aufging, wonach Yuna sich seit Stunden sehnte. Sie entschied sich daraufhin, mit dem Lernen aufzuhören, damit jeder von ihnen fit für die kommende Prüfung war. Agatha musste sich die gesamte Zeit über das Grinsen beim Anblick von Yunas entspannter Haltung verkneifen, die sie seit Tagen mit sich führte. Es freute sie sehr, dass dieser Spuk mit Maria vorbei war, auch wenn ihr Aufenthalt in der Akademie immer noch ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend bereitete. Sie hoffte, dass sie keine neuen Überraschungen mehr erwartete.


Am selben Vormittag schienen jedenfalls noch nicht mal die Prüfungen Yunas innere Ruhe aus der Bahn zu bringen. Nicht mal einen Hauch von Nervosität, die jeden anderen Day-Class Schüler wachhielt, hatte sie auch nur spüren können. Yuna machte sich stattdessen Gedanken um ein ganz anderes Problem, das sie bis jetzt übersehen hatte: Das Kleid für den Winterball. Sie schlug sich allein bei dem Gedanken die Hand vor die Stirn, eine Einladung zum Winterball angenommen zu haben, ohne dabei an das Kleid gedacht zu haben.

Aber Moment. Eine Einladung? Yuna errötete und hielt sich die Hände an die Wangen, die förmlich glühten. Eine Einladung! Sie vergaß, dass Aido sie eingeladen hatte. Hieß das etwa, dass es sich hier um eine Verabredung handelte? Zu zweit? Yuna legte ihr langes Haar nach vorn, um die knallroten Wangen besser zu verbergen. Agatha wusste selbstverständlich von dieser aufregenden Neuigkeit und auch, wann Yuna an diesen Night-Class Schüler dachte.

»Pssst, Yuna«, flüsterte sie und beugte sich zu ihr nach vorn, »nach den Prüfungen gehen alle Day-Class Schülerinnen in die Stadt. Lass uns mitgehen. Dann findest du auch mit Sicherheit ein schönes Kleid für deine Verabredung.« Die letzten Worte quietschte sie dabei so laut, dass Yuna schnell zurückwich und mit einem schmerzhaften Gesichtsausdruck ihr Ohr massierte.

Ich werde dir folgen, bis ans Ende der Welt ♡Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt