Schöne Winterzeit

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Ein Schlag, dessen Schmerz sich über meine ganze Wange ausbreitete. Ja, ich erinnere mich wieder daran, wie es sich anfühlte - die Silhouette einer männlichen Gestalt erschien vor meinem inneren Auge. Das Gesicht war von Wut und die Augen von Verachtung gezeichnet. Ich glaubte immer daran, dass er für das, was ich war, Verständnis zeigen würde, doch letztendlich wurde ich eines besseren belehrt. Er war sehr stark, was selbstverständlich nicht verwunderlich war, doch nahm er trotzdem keinerlei Rücksicht auf mich.

Ihr gegenüber blieb ich still, sie liebte ihn und daran sollte sich nichts ändern - selbst wenn der Hass zunehmend in mir brodelte.


Yuna hatte keine Kontrolle darüber, dass diese Erinnerung immer und immer wieder in ihr hervorgerufen wurde. Sie war sehr überrascht, wie schnell diese Erinnerungen wieder ins Gedächtnis kamen, während sie noch vieles aus ihrer Vergangenheit vergessen hatte. Erst durch Sakuras Ohrfeige wurden diese wieder zurück ins Leben gerufen – und dann auch noch solche, nach denen sie sich am wenigsten gesehnt hatte. Vereinzelt liefen ihr die Tränen über die Wangen, die sie aber schnell wieder wegwischte, da Agatha sich in der Nähe aufhielt und nach ihrem Namen rief. Irgendwann hatte sie es sogar geschafft, Yuna einzuholen, aber die neue Schülerin reagierte nicht darauf, da sie eher damit beschäftigt war, ihre Emotionen schnell wieder unter Kontrolle zu bringen.

Selbst als sie in ihrem gemeinsamen Zimmer ankamen, sprang Yuna in ihrem Bett und blieb weiterhin stumm. Ihr wäre es am liebsten, sich zu dem jetzigen Zeitpunkt an einem Ort aufzuhalten, wo keiner in ihrer Gegenwart anwesend war. Aber die Ausgangssperre verhinderte diese Option, sodass Yuna nichts anderes übrig blieb, als sich von ihrer neuen Freundin helfen zu lassen. Wenn auch nur widerwillig.

Agatha machte sich dafür selbst verantwortlich, dass die Situation so ausfiel und hasste sich zugleich dafür, sich nicht eingemischt zu haben, bevor es überhaupt dazu so weit kommen konnte.

»Es ist meine Schuld. Ich stand nur da und habe dir nicht helfen können, Yuna. Hätte ich früher eingegriffen, wärst du nie verletzt worden. Du hast jedes Recht dazu, sauer auf mich zu sein«, sagte sie entschuldigend und verbeugte sich mehrere Male vor ihr. Bei ihrer letzten Verbeugung hielt sie inne und hoffte inständig auf eine Antwort, die ihr jedoch verwehrt blieb. Yuna verzog nicht mal die Miene, sondern lag nur angewurzelt im Bett und starrte die Zimmerdecke an. Agatha raufte sich durchs Haar.

»Yuna, bitte rede mit mir«, murmelte sie mit zittriger Stimme und berührte sie behutsam an der Schulter, doch bewegte sich weiterhin kein Muskel. Mit einem verzweifelten Seufzer gab Agatha nach. Ihr fiel nichts mehr ein, was sie noch tun könnte und entschied sich vorerst, das Zimmer mit dem Gewissen, ihre Freundin für einen Moment alleine zu lassen, zu verlassen.

Als die Tür in ihren Riegel zufiel, setzte sich Yuna mit einem erleichterten Seufzer wieder auf. Es tat ihr selber leid, dass sie ihre neu gewonnene Freundin Agatha so kalt ließ, aber wie sonst hätte sie mit ihr reden können, ohne in Tränen zu verfallen? Dies schien ihr absolut unmöglich, sodass ihr nichts anderes blieb, als regungslos die Decke anzustarren und zu versuchen, nicht emotional zu werden. Jedenfalls war sie nun alleine und hatte die Möglichkeit, in sich zu kehren, doch das blieb nicht von langer Dauer, als plötzlich die Tür schlagartig aufgerissen wurde und eine besorgte Vertrauensschülerin zusammen mit Agatha auf sie zustürmte.

»Yuna!«, rief Yuki besorgt und fiel ihr sofort um den Hals, »tut mir so leid! Euch beiden! Die Day-Class gab mir keine Chance, sie für einen Moment aus den Augen zu lassen. Hätte ich irgendwie eingreifen können, wäre es nie zum Streit gekommen!«

›Warum entschuldigen sie sich?‹, dachte Yuna und sah nebenbei zu, wie sich Agatha und Yuki die Schuld gaben. Sie blickte nicht durch, wie zwei Menschen sich die Mühe dafür gaben, jemandem wie ihr zu helfen – dabei kannten sie sie nicht einmal 24 Stunden lang.

Ich werde dir folgen, bis ans Ende der Welt ♡Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt