Das schwache Herz eines Menschen

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Entlang eines dunklen, langen Foyers, das mit nicht mehr als nur zwei Kerzenhalter, die die Wände schmückten, beleuchtet war, erklangen winzige Schritte eines kleinen Mädchens, das im langen Gang umherirrte, bis sie schließlich das Zimmer fand, dessen Tür einen Spalt weit geöffnet war. In diesem Zimmer, das nicht weniger dunkel war als der lange Gang, saß eine Frau mit schulterlangem gelocktem Haar, dessen Farbe weißem Flieder ähnelte. Sie lag seitwärts auf einem langen, dunkelroten Sofa und schien ein Buch zu lesen, während sie dem Klang von Regentropfen lauschte, der die Stille erfüllte. Die Frau liebte im Gegensatz zu den meisten den Regen, da der sinnliche Klang der Tropfen ihre Seele zu beruhigen vermochte.

»Mutter?«, drang der zögerliche Ruf eines kleinen Mädchens hervor, das sich hinter der Tür versteckte und nur mit dem Kopf durch den Türspalt lugte.

»Ja, mein Kind?«, entgegnete die Frau ruhig und schloss das Buch, das sie daraufhin zur Seite legte. Ihr Blick schweifte zu der Tür, wo sie ihre vierjährige Tochter mit dem langen, blauen Haar und den eisblauen Augen begegnete, die vor Erschöpfung gerötet waren. Die Frau setzte sich aufrecht hin und glättete die Falten ihres violetten Kleides, ehe sie den Arm nach dem Kind ausstreckte. »Komm zu mir.«

Das Mädchen gehorchte und trat hinter der Tür hervor, um diese mit viel Mühe und Kraft hinter sich zu schließen. Allein diese Geste zeigte der Frau, dass keine Worte notwendig waren, um zu wissen, warum ihre Tochter sie um diese späte Stunde besuchte. Das Mädchen tapste schließlich auf sie zu und streckte ihr die Arme entgegen, um sich von ihr auf das gemütliche Sofa setzen zu lassen. ›Sie war so stark!‹, dachte das Kind mit purer Bewunderung darüber, dass ihre Mutter eine Stärke besaß, die ihr verwehrt blieb. Unweigerlich stiegen ihr die Tränen auf.

»Geht es dir wieder nicht gut, Asuna?«

Das Kind schüttelte den Kopf und verbarg ihre Tränen in den winzigen Händen. Die Frau beugte sich zu ihrer Tochter hervor, um ihr den Rücken zu streicheln.

»Es dreht sich alles. Mir ist schlecht!«

»Ich weiß.« Ihre Antwort war nicht mehr als ein Wispern, das ihre Tochter mit Sicherheit nicht hören konnte. Dafür war sie viel zu aufgewühlt und erschöpft. Es war eine Situation, die zu ihrem Bedauern viel zu oft vorkam und sie in ihren schwachen Momenten oft zum Verzweifeln brachte. Ihre kleine Tochter, Asuna, war als Mensch geboren worden und litt nun unter dem, was die Menschen als Anämie bezeichneten. Die Frau machte sich oft Vorwürfe, ihrer Tochter nicht die Kraft gegeben haben zu können, die sie hätte besitzen sollen. Es war wie ein Fluch, der sie eines Tages heimgesucht hatte und in der kleinen Asuna innewohnte. Und dieser Fluch musste unter allen Umständen verborgen bleiben. Dazu musste ihre Tochter jedoch in der Gegenwart anderer so stark wie das sein, was sie hätte werden sollen – ein Vampir.

»Weine nicht, mein Kind. Ich werde dir helfen.«

»Nein, nicht schon wieder!«, rief sie und schüttelte vehement ihr kleines Köpfchen. Sie wollte nicht erneut das Blut ihrer Mutter trinken, das so furchtbar unangenehm schmeckte. Auch diesmal fragte sie ihre Mutter nach einer alternativen Lösung, wo sie diesen schrecklichen Geschmack nicht auf der Zunge spüren oder mit ansehen musste, wie sich ihre Mutter verletzte. Letzteres konnte sie schlicht und weg nicht ertragen.

Die Frau nahm das Gesicht ihrer kleinen Tochter in die Hände und bat sie eindringlich, sie anzusehen. »Mir geht es nicht schlecht, wenn ich dir helfe, mein Kind.«

»A-Aber du-«

»Meine Wunden verheilen schnell. Das habe ich dir schon mal erzählt, oder nicht?«

Das kleine Kind nickte leicht und wendete den Blick von ihr ab. Die Frau lächelte und war stolz, dass ihre kleine menschliche Tochter bereits in ihren jungen Jahren vieles verstand. Sie schnitt sich daraufhin mit dem Fingernagel in ihr Handgelenk, bis genügend Blut aus der Wunde quoll, und streckte dem Kind ihr Handgelenk entgegen. Nur widerwillig nahm sie diese Forderung an, und trank das Blut, das alles andere als ›süß‹ oder ›appetitanregend‹ war, so wie es ihre Mutter stehts beschrieben hatte.

Ich werde dir folgen, bis ans Ende der Welt ♡Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt