Kapitel 7

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Ich legte mich an diesem Abend mit einer Mischung aus Nervosität, Wut und Angst in mein Bett. Erwin schlief im Zimmer nebenan. Etwas was ich schon lange nicht mehr empfunden hatte war Angst. Das letzte mal war, als ich mir die Überlebenden vom Fall der Mauer Shingshina ansah und nach den Gesichtern meiner Familie oder der von Tom Ausschau hielt. Es war ein furchtbares Gefühl, ich hasste es. Heute hatte ich vor nichts mehr Angst, vor keinem Titan, vor keinem Menschen und doch lag ich hier und fürchtete mich vor dem morgigen Tag. Erwin würde bei mir bleiben, er würde mich beschützen wenn etwas passierte. Ich schüttelte den Kopf, ich konnte mich selbst verteidigen. Ich brauchte niemanden.

Der nächste Morgen riss mich mit einer Gewalt aus dem Schlaf. Ich lag steif in meinem Bett und hörte durch die geschlossenen Fenster die Stimme von Shadis. Er übernahm heute meine Stunden, Erwin hatte es irgendwie geschafft, dass ich heute "frei" bekam.

Ich wusch mich heute extra, da ich nicht wollte dass der Arzt irgendetwas schlechtes von mir dachte. Als ich nach unten ging standen drei Rekruten vor mir, Reiner, Jean und Eren. Eren hatte eine blutende Nase und schaute genervt auf den Boden. "Was macht ihr hier?" fragte ich ein wenig überrascht. "Die beiden haben sich schon wieder geprügelt." erklärte Reiner und ich wusste nicht wie ich darauf reagieren sollte. "Und deswegen seid ihr hier?" fragte ich und schaute Jean an, er mied meinen Blick. Anscheinend konnte er sich daran erinnern was gestern passiert war. Reiner nickte und schob beide einen Schritt nach vorne. Ich schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Ich dachte schon, dass dieser Tag nicht noch schlimmer werden konnte. "Reiner du kannst gehen und ihr beiden kommt mit mir." Reiner nickte knapp und ging dann wieder nach draußen. Ich ging im Erdgeschoss den Gang entlang. Wir kamen an offenen und geschlossenen Zimmern vorbei und in einem konnte ich sogar Erwin sitzen sehen. Eren und Jean hatten ihn offenbar auch gesehen und flüsterten miteinander. Fast am Ende des Ganges ging ich in einen leeren Besprechungsraum und schloss die Tür nachdem die beiden auch herein getreten waren. "Also gut, warum habt ich euch diesmal geprügelt?" fragte ich und lehnte mich so an den Tisch, dass ich noch groß genug war um den beiden in die Augen zu schauen. Beide hatten plötzlich rosige Wangen. "Wenn ihr es nicht schafft zusammen mit mir zu reden, dann rede ich einzeln mit euch." sagte ich streng, langsam ging mir die Geduld aus. "Weil er lügt." sagte Eren. Ich hob die Augenbrauen. "Connie hat mich und Sie gestern gesehen und es allen erzählt. Ich habe nur gesagt, dass ich mich an kaum etwas erinnern kann." ich schaute wieder zu Eren. Er sagte nichts. "Also erst einmal sagt ihr mir wo der Alkohol herkam. " sagte ich und die beiden warfen sich Blicke zu. "Entweder das oder ihr dürft Kommandant Erwin erzählen, warum sich zwei so ausgezeichnete Rekruten prügeln." grinste ich. Ich hatte in ihrem Alter leider nicht mehr das Glück über solche Sachen nachzudenken, in diesem Alter hatte mein Vater mich bereits an Tom versprochen und der einzige Mann über den ich nachdenken durfte war er. "Wir haben ihn aus dem Lager für die Erwachsenen mitgehen lassen." sagte Jean dann. Ich nickte. "Okay, dann keine Prügelei mehr." sagte ich und stand wieder auf. "Warum ist Kommandant Erwin hier?" fragte Eren neugierig und ich legte meine Hände auf ihre Schultern um sie wieder hinaus zu führen. "Weil ich eine wichtige Angelegenheit zu erledigen hab." sagte er als Jean die Tür öffnete. Den Weg nach draußen verbrachte Eren damit, Erwin seine Bewunderung zuzusprechen. Jean ging neben mir her und spielte nervös mit seinen Fingern. "Es tut mir leid, was gestern passiert ist." sagte er leise. Ich drehte mich nicht zu ihm. "Mir auch." sagte ich nur und dann schickte ich die beiden zurück zu den anderen Rekruten. "Bist du so weit?" fragte Erwin. Mein Herz raste, ich hatte das ganz vergessen. Ich schaute zu ihm nach oben, ich war wie erstarrt. Umso mehr Zeit verging umso mehr Angst bekam ich. Ich habe mich in den letzten Jahren immer mehr zurück gezogen. Ich traf mich nicht mit Männern, ich ging auf keine Dates und hatte schon lange keinen Gedanken mehr daran verschwendet etwas sexuelles zu tun. "Ich werde bei dir sein." sagte er etwas leiser und legte mir die Hand auf den Rücken. Ich konnte mich nicht gegen ihn wehren, wir gingen den anderen Gang hinunter und er klopfte an eine der Türen. "Ja bitte?" hörte ich die gedämpfte Stimme des Arztes. Ich schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück. "Nein, ich kann das doch nicht." ich wollte gehen, als mich Erwin am Arm zurück hielt. "Es wird dir nichts passieren." etwas in mir vertraute diesem Mann, ich vertraute ihm jedes mal mein Leben an, wenn wir die Mauern verließen, er würde außerdem bei mir bleiben. Sein Blick schrie förmlich das was ich mir dachte 'Vertrau mir, wie du es immer tust'. Ich atmete dann also tief durch und trat mit ihm durch die Tür. Der Arzt saß bereits auf seinem Stuhl vor ihm eine Liege. Der kleine Tisch neben der Liege war voll mit irgendwelchen Zangen oder anderen Gerätschaften. Erwin schloss die Tür hinter sich, das Geräusch erschreckte mich so sehr, dass ich zu ihm herumfuhr. Er schaute ernst und legte mir wieder die Hand auf den Rücken, das beruhigte mich. "Also gut... damit es ihnen nicht so schwer fällt unterhalten wir uns doch." er lächelte freundlich und wies auf die Liege. Ich schaute verunsichert zu Erwin, er nickte ermutigend und ich tat was der Arzt sagte. Mir war klar wie lächerlich das alles war, mein Leiter musste mit mir bei einem Arzt sitzen, weil ich mich fürchtete. Ich verschwendete nur seine Zeit. "Ich habe von einem Vorfall gehört, wieso fangen wir nicht damit an?" meine Wangen färbten sich gerade so rot wie die von Eren und Jean vorhin. Es war unfassbar peinlich und schmerzhaft, am liebsten wollte ich das einfach nur vergessen. Doch ich musste das hier so schnell wie nur möglich hinter mich bringen, also begann ich zu reden. "Ich habe den Rekruten gezeigt wie man die 3D-Manöver verwendet, als ich dann wieder am Boden war hatte ich so einen stechenden Schmerz im Bauch und habe einfach angefangen zu bluten. Meine gesamte Uniform war ruiniert." erklärte ich und mied beide Blicke. "Wie genau hat sich der Schmerz angefühlt?" fragte der Arzt weiter und schrieb sich das auf. "Es war als würde man ein Baby verlieren." diesmal schaute ich auf. Die Augenbrauen des Arztes hoben sich. "Haben Sie schon einmal ein Baby verloren?" ich nickte. "Ja drei." antwortete ich ehrlich. "Wie alt waren Sie?" fragte er und nahm seine Brille ab. Ich schluckte. "Ich hatte damals einen Verlobten, ich lernte ihn mit 14 kennen und habe ab da schon Bett mit ihm geteilt. Das erste mal also mit 14, dann mit 16 und mit 17. Die letzten beiden Baby's wurden aus mir heraus geprügelt." sagte ich gleich dazu damit nicht noch mehr Fragen aufkamen. Der Arzt nickte und schrieb weiter auf. "Haben Sie jemals sexuelle Gewalt erlebt?" ich schluckte erneut. Ich musste hier mehr als nur meinen Stolz überwinden. "Ich hatte noch nie freiwillig-" da brach ich ab. Der Arzt schaute mich an und erkannte wie sehr ich mich hier bemühen musste sitzen zu bleiben. "Gut, das wars mit den Fragen, Sie können sich jetzt frei machen." sagte er und ging hinüber zu seinem Schreibtisch. "Mara." sagte Erwin, als ich noch immer saß. Ich stand mit klopfendem Herzen auf. Ich wollte auf keinen Fall, dass Erwin mich entblößt sah, ich wollte mich gar nicht ausziehen. Dennoch trat ich hinter den Raumteiler und machte mich komplett frei, bis auf meine Socken trug ich nur noch mein Hemd und einen BH. Glücklicherweise war mein Hemd so lang, dass Erwin und der Arzt nichts sehen konnte. Als ich wieder hervor trat stand Erwin am Kopf der Liege und der Arzt zog sich Handschuhe an. Ich zupfte mein Hemd noch ein wenig mehr hinunter. Erwin schaute weder auf meine Beine noch zeigte irgendetwas in seinem Gesicht, dass er sich unwohl fühlte. Er nickte mir wieder aufmunternd zu. Ich versuchte zu Lächeln als der Arzt wieder das Wort ergriff. "Sie können sich hinlegen und die Beine spreizen." ich schluckte aber tat was er mir sagte. Es war ungewohnt, beschämend und fremd.


Nach der Untersuchung hatte ich mich den restlichen Tag in meinem Zimmer eingesperrt. Ich ließ niemanden herein, nicht einmal Petra. Erwin hatte ihr extra geschrieben, dass sie für mich da sein sollte. Ich hasste diese Welt. Sie war nichts als grausam. Sie hatte mich zu dem gemacht was ich heute war, ein Monster. Ich ließ Menschen sterben, ich tötete, ich schlachtete riesengroße Wesen weil sie eine Gefahr für noch mehr Menschen waren. Für grausame Menschen, solche wie Tom. Es war unfair. Hier gab es nichts als Gewalt, Angst und Tod. Ich selbst hatte schon genug von allem. Die einzigen die mir etwas bedeuteten waren die Rekruten und mein Team. Petra war mir wichtig, sie war meine beste Freundin. Sie lebte nicht weit von hier, war aber immer zu mir in meine Stadt gekommen. Sie hatte mich aus diesem Loch rausgeholt. Hat mir den Aufklärungstrupp gezeigt und mir geholfen zu dem zu werden was ich heute war. Eine der stärksten Soldatinnen die der Aufklärungstrupp je hatte. Levi hatte mich auch immer unterstützt, er zeigte mir wie man kämpfte, wie man keine Gnade zeigte und, dass man einfach niemals sicher war. Und Erwin, er hatte sich in mein Leben gedrängt, mich gerettet. Er zeigte mir, dass man niemanden vertrauen konnte, dass alles vergänglich war und man keine Rücksicht nehmen durfte. Auf seinen Schultern lastete das schon seit Jahren, hinter ihm hatte sich ein Leichenberg aufgestapelt der nicht mehr beeindruckend sondern viel mehr beängstigend war. Ich vertraute ihm jedoch bedingungslos, ich war bereit blind in den Kampf zu ziehen wenn er das verlangte. Ich würde mein Leben für ihn geben, wenn es darauf ankommen würde. Genauso wie für Hange. Sie war die einzige Person, die keine Angst vor Titanen hatte, sie bewunderte jeden als wäre er ein persönliches Geschenk nur für sie. Das Blut, das von den Uniformen verdampfte war wie ein Raub für sie. Dadurch konnte sie die Titanen weder erforschen, noch Trophäen behalten. Diese ganzen Menschen, meine Kollegen und Vorgesetzten waren für mich mehr Familie als meine eigene. Manchmal dachte ich noch daran, wie es wohl sein würde, wenn irgendwann mal jemand von ihnen auftaucht und überlebt hatte. Ich hatte schon vollends damit abgeschlossen, dass ihre Leichen irgendwo in Shingshina verwesten. Ich saß auf meinem Fensterbrett, meine Uniform hatte ich abgelegt. Von hier aus konnte ich die Wiese sehen auf der die Rekruten trainierten. Als Jean in mein Blickfeld fiel musste ich wieder an den Schlag denken den ich ihm verpasst hatte, es war zwar nichts neues, dass die Rekruten was einstecken mussten, aber ich war nicht so. Ich mochte es nicht zu guten Menschen gewalttätig zu sein. Als er das zu mir sagte hatte ich einfach die Fassung verloren, es war als ob alle schlechten Erinnerungen von meiner Verlobung auf einmal wieder hochkommen würden. Ich ließ meinen Kopf auf meine Knie sinken und schämte mich. Wie konnte ich mir nur wieder überwältigen lassen? Plötzlich flog die Tür auf, ich ließ mich vom Fensterbrett gleiten und wollte denjenigen angreifen, als ich sah wer da überhaupt vor mir stand. Shadis stand vor mir, er sah furchtbar wütend aus. "Was machst du hier oben? Du solltest nach deiner Besprechung heute gleich zu den Rekruten gehen." ich schaute ihn jetzt ebenso wütend an. "Also erstmal geht man nicht ungefragt in das Zimmer einer jungen Frau und zweitens bin ich mir mehr als sicher, dass Kommandant Erwin ihnen gesagt hat, dass ich heute frei habe." während ich ihn anschrie ging ich immer weiter auf ihn zu, bis er außerhalb meines Zimmer's stand und dann schlug ich ihm die Tür vor der Nase zu.

A Nightmare that came true   /Attack on titanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt